Der Kreml möchte Stabilität
2. Dezember 2003Seit Anfang November läuft in Russland der Wahlkampf auf Hochtouren. Dutzende Parteien und Hunderte von Einzelkandidaten bewerben sich um die 450 Abgeordnetensitze in der Staatsduma, die ähnlich wie in Deutschland je zur Hälfte über Parteilisten und über Wahlkreise vergeben werden. Nach einer aktuellen Meinungsumfrage des unabhängigen Forschungsinstituts WZIOM-A sind jedoch 70 Prozent der Russen nicht am Wahlkampf interessiert. Rund 26 Prozent planen gar, nicht an der Wahl teilzunehmen.
Gelenkte Demokratie
Ein Grund für das Desinteresse ist der politische Kurs von Präsident Wladimir Putin. Seit Sommer 1999 - damals noch als Ministerpräsident - hat Putin die Zügel im Land wieder angezogen. Politische Konkurrenten und kritische Medien wurden unter Kontrolle des Kremls gebracht. Politische Alternativen zu Putin erscheinen daher heute schwer vorstellbar.
Gleichzeitig sind viele Russen mit dem Präsidenten zufrieden, wie seine hohen Popularitätswerte in Umfragen immer wieder zeigen. Denn er hat national und international den Eindruck eines politisch stabilen und wirtschaftlich wieder aufstrebenden Russlands erzeugt. Seit 1999 wächst die russische Wirtschaft mit Raten von rund fünf Prozent pro Jahr. Verantwortlich dafür sind vor allem die hohen internationalen Energiepreise, liberale Wirtschaftsreformen und eben auch gerade die - von Investoren gern geschätzte - politische Stabilität.
Viele Parteien, ein Präsident
Vor diesem Hintergrund wird bei den Parlamentswahlen ein Sieg der Pro-Putin-Partei "Geeintes Russland" erwartet. Geführt vom russischen Innenminister und Putin-Vertrauten Boris Gryslow gilt sie als die "Partei der Macht", also des Präsidenten und der Bürokratie. Nach aktuellen Meinungsumfragen könnte die Partei 25 bis 30 Prozent der Stimmen erhalten. Ihre künftige Fraktion sowie der gesamte Pro-Putin-Block im Parlament dürften durch die in Wahlkreisen direkt gewählten Einzelkandidaten noch größer werden. Denn eine Vielzahl der 225 Direktkandidaten sind parteipolitisch ungebunden und beeinflussbar. Zum Pro-Präsidenten-Block in der Duma gehört im weitesten Sinne auch die sich liberaldemokratisch nennende Partei LDPR des Nationalisten Wladimir Schirinowski. In wichtigen Parlamentsabstimmungen hat sie den Kurs von Putin mitgetragen. Umfragen erwarten für die LDPR sechs bis acht Prozent der Stimmen.
Noch sind die Wahlen aber nicht entschieden: In den Umfragen erhält die wichtigste Oppositionspartei - die Kommunistische Partei - zwischen 18 und 23 Prozent. Am Wahltag könnten sich die Kommunisten um Gennadi Sjuganow doch noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Partei "Geeintes Russland" liefern. Von den anderen Parteien und Wahlblöcken werden nur noch der Kreml-kritischen linksliberalen Jabloko-Partei und der rechtsliberalen "Union rechter Kräfte" Chancen eingeräumt, die Fünfprozenthürde knapp zu überwinden. Beide Parteien sind aber seit der Verhaftung des Yukos-Besitzers Michail Chodorkowski unter Druck geraten, der für finanzielle Unterstützung gesorgt hatte.
Bedeutungslose Wahl?
Für Putin sind die künftigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament von großer Bedeutung. Die Macht der Staatsduma im institutionellen Geflecht ist zwar im Vergleich zu der des Präsidenten bescheiden. Doch Putin konnte in den vergangenen Jahren seine ökonomischen Reformen wie die Steuer- oder die Landreform nur deshalb relativ geräuschfrei durchsetzen, weil er im Parlament über eine solide Mehrheit verfügte - im Unterschied zu seinem Vorgänger Boris Jelzin. Genau das hatte maßgeblichen Anteil am Eindruck der politischen Stabilität in Putins Russland.