Erster AfD-Eklat im Bundestag?
2. Oktober 2017Es sind ganz praktische Fragen, die im frisch gewählten Bundestag derzeit zu beantworten sind. Einerseits recht einfache wie die, wann die konstituierende, also die gründende Sitzung stattfinden soll. Spätestens 30 Tage nach der Wahl muss es soweit sein, das schreibt das Grundgesetz vor. Schon schwieriger wird es bei der Frage, welche Fraktion wo im Plenum sitzen wird, und wer im Bundestag das Präsidium, also die Chefposten, übernehmen soll. Keine andere Fraktion möchte die 93 Abgeordneten der rechtspopulistischen AfD als direkte Nachbarn haben. Und im Präsidium des Bundestags wollen die AfD ebenfalls viele nicht vertreten sehen.
Bundestagspräsident soll Wolfgang Schäuble werden. Die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat ihren Bundesfinanzminister für das protokollarisch zweitwichtigste Amt im Staat vorgeschlagen und wie es aussieht, ist dieser Vorschlag mehrheitsfähig. Das ist wichtig, denn der Bundestagspräsident wird, genauso wie seine Stellvertreter, in der konstituierenden Sitzung von allen Parlamentariern mehrheitlich gewählt. Bei 709 Abgeordneten muss ein Kandidat also mindestens 355 Ja-Stimmen erhalten.
Die AfD und die Religionsfreiheit
Grundsätzlich sieht die Geschäftsordnung des Bundestags vor, dass jede Fraktion durch mindestens einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin im Präsidium vertreten sein soll. Auch die rechtspopulistische AfD erhebt daher Anspruch auf einen Stellvertreterposten. Sie hat ihren Bundestagsabgeordneten Albrecht Glaser vorgeschlagen. Der 75-jährige kommt aus Hessen und war dort für die CDU Kommunalpolitiker in der Stadt Frankfurt, bevor er zur AfD wechselte.
Glaser spricht Muslimen das Grundrecht auf Religionsfreiheit ab. Der Islam sei eine politische Ideologie und keine Religion. Zwischen Muslimen und Islamisten könne nicht unterschieden werden.
"Wir sind nicht gegen die Religionsfreiheit. Der Islam ist eine Konstruktion, die selbst die Religionsfreiheit nicht kennt, und die sie nicht respektiert, und die da, wo sie das Sagen hat, jede Art von Religionsfreiheit im Keim erstickt. Und wer so mit einem Grundrecht umgeht, dem muss man das Grundrecht entziehen", so Glaser im Frühjahr bei einer AfD-Parteiveranstaltung.
Keine Mehrheit für Glaser absehbar
Ein Standpunkt, die viele Politiker auf die Barrikaden bringt. Führende Bundestagsabgeordnete von SPD, FDP, Grünen und Linkspartei haben angekündigt, Glaser nicht wählen zu wollen. "Wer die Religionsfreiheit infrage stellt, hat sich disqualifiziert", urteilt Grünen-Chef Cem Özdemir. Ein geeigneter Kandidat für den Parlamentsposten müsse sich klar zur Verfassung bekennen. Glaser stehe für eine Reihe von Positionen, "die eine Zumutung für mich darstellen", sagte FDP-Parlamentsgeschäftsführer Marco Buschmann. Die Fraktionen seien gehalten, Kandidaten vorzuschlagen, die mehrheitsfähig sind.
Der Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt warnte hingegen davor, Glaser zu stigmatisieren. Das stärke die AfD nur. Er sei überzeugt, dass sich im "demokratischen Umgang" im Parlament "bestimmte Dinge auch entwickeln" könnten. So müsse Glaser als Bundestagsvize dann beispielsweise erlernen, mit muslimischen Abgeordneten fair und korrekt umzugehen, so Patzelt.
Ob das ausreicht? Auch aus der Fraktion der Linken hieß es, Glaser könne nicht mit Unterstützung rechnen. "Für mich steht fest, dass ich Herrn Glaser nicht wählen werde", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch. SPD-Parlamentsgeschäftsführer Carsten Schneider erklärte, potenzielle Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten müssten "natürlich auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und insbesondere die Grundrechte respektieren".
AfD beharrt auf Glaser
Doch in der AfD stoßen die Vorbehalte gegen Albrecht Glaser auf taube Ohren. Fraktionschef Alexander Gauland erklärte, die Fraktion halte an ihrem Kandidaten fest. "Der Meinung von Herrn Glaser sind wir alle." Sein Standpunkt sei nichts Besonderes. "Von daher ist das völlig klar", so Gauland.
Ein erster Eklat im Parlament ist also absehbar. Da die AfD 93 Abgeordnete stellt, müsste ihr Kandidat mehr als 260 Stimmen aus den anderen Fraktionen bekommen. Sind es weniger, wird er nicht zum Vizepräsidenten des Bundestags gewählt. So erging es im Jahr 2005 dem Linken-Politiker Lothar Bisky. Im Bundestagspräsidium blieb daraufhin ein Stellvertreterposten so lange unbesetzt, bis die Linke statt Bisky Petra Pau als Kandidatin vorschlug. Sie wurde vom Bundestag mehrheitlich gewählt.
Begehrter Posten
Bundestagspräsident zu werden oder einer seiner Stellvertreter, ist ein begehrter Job - auch finanziell. Laut Abgeordnetengesetz erhält der Präsident das Doppelte dessen, was einem normalen Abgeordneten zusteht, also etwas mehr als 18.200 Euro pro Monat. Die Vizepräsidenten erhalten eine halbe Abgeordneten-Diät zusätzlich. Dazu kommen diverse Pauschalen, wie Aufwandsentschädigungen, die ein paar tausend Euro zusätzlich ausmachen.
Doch die Bezahlung ist nur das Eine. Wer im Präsidium des Bundestags sitzt, der hat eine herausragende politische Bedeutung im Parlament. Er oder sie leitet Bundestagssitzungen und wacht über die Einhaltung parlamentarischer Regeln. Vom Präsidium aus werden Rügen erteilt oder Parlamentarier des Plenums verwiesen. So geschehen im Februar 2010, als Bundestagspräsident Norbert Lammert die gesamte Linksfraktion aufforderte, das Plenum zu verlassen, nachdem dort Transparente hochgehalten worden waren.
Was würde ein von der AfD gestellter Vorsitzender machen, wenn sich beispielsweise einer seiner Parteikollegen rechtsradikal in einer Debatte äußern würde?
Auftakt für viel Streit im Parlament?
Der AfD-Abgeordnete Albrecht Glaser beharrt jedenfalls auf seiner Kandidatur. "Ich bin ein Musterdemokrat", betonte er. Die Aufregung um seine Äußerungen über den Islam hält Glaser für "ein politisches Spiel, mit dem Ziel, die AfD herauszuhalten". Ein ähnliches Vorgehen der anderen Parteien erwarte er demnächst bei der Besetzung der Ausschüsse im Bundestag.
Tatsächlich wird in den Parteien schon kräftig darüber diskutiert, welche Fraktion in welchen Ausschüssen den Vorsitz erhalten könnte und welche Rolle die AfD spielen wird. Denn in den Ausschüssen findet die hauptsächliche parlamentarische Arbeit, aufgeteilt nach Themengebieten statt. Gesetzesvorlagen werden inhaltlich beraten und Beschlüsse im Plenum vorbereitet. 23 ständige Ausschüsse gab es im Bundestag in den letzten vier Jahren. Wie sie besetzt werden, entscheiden die Fraktionen untereinander ihrer Stärke entsprechend. Es gibt also noch viel Raum für Auseinandersetzungen mit der AfD.