Die AfD feiert ihren Einzug in den Bundestag
25. September 2017Auf den Wahlpartys der anderen Parteien sei schon nicht mehr viel los, berichtete der zuständige Leitungsmanager von der Telekom, wie anders sei es doch hier bei der AfD. Noch zweieinhalb Stunden nach dem Bekanntwerden der ersten Wahlergebnisse kämpften Journalisten und Fotografen um Interviews oder gute Bilder. "Russia Today" und einige andere internationale Pressevertreter waren darunter. Aus Platzgründen sind nicht alle reingelassen worden. Es gab laut AfD rund 1000 Anmeldungen, aber nur 150 Plätze im "Traffic"-Club. Die Location ist eine Mainstreamdisco in trendiger Lage, direkt am Alexanderplatz. Sonst eher bekannt für "Neon-Partys" und "Highheels on the Dancefloor".
Bis einige Tage vor der Wahl hatte die AfD den Ort ihrer "Wahlparty" geheim gehalten - aus Angst vor Demonstrationen. Die es dann aber trotzdem gab. Schon eine Stunde nachdem sicher war, dass die AfD mit rund 13 Prozent in den Bundestag einziehen werde, versammelten sich erste Demonstranten. Sie skandierten "Ganz Berlin hasst die AfD!". Die Polizei hielt sie auf sicheren Abstand. Dennoch waren die Demonstranten sehr gut hörbar. Denn der "Traffic"-Club hat eine große Terrasse ungefähr auf der Höhe einer zweiten Etage, auf der geraucht und gegrillt wurde.
Gewonnen und gleich auf Angriff
Das Wahlergebnis der AfD ist für die deutsche Demokratie nach 1949 ein einschneidendes Ereignis. Sie wird mit 94 Sitzen eine große Fraktion im Bundestag bilden - die drittstärkste sogar. Zum Vergleich, obwohl der wegen des anderen Wahlsystems etwas hinkt: In Frankreich hat der Front Nationale nur acht Sitze im Parlament. Deutschlands Rechtspopulisten sind nun prozentual ähnlich stark wie in den Niederlanden oder in Schweden.
Das Ergebnis war so ungefähr auch von den Demoskopen vorhergesagt worden. Wohl deshalb war die Freude bei der AfD zwar groß aber auch nicht überwältigend. Freudentränen waren nicht zu sehen. Man hatte damit gerechnet. Solide sei das Ergebnis, so Andreas Kalbitz, der nun wohl bald in Brandenburg Alexander Gauland ablösen wird, der als Spitzenkandidat in den Bundestag einziehen wird.
Gauland selbst wirkte zunächst äußerlich sehr gefasst. Erst als Alice Weidel, die andere Spitzenkandidatin, nach einer Stunde ankam und beim größten Blitzlichtgewitter des Abends zusammen mit Gauland auf die Bühne trat, lachte auch dieser Mal.
"Merkel jagen"
So "cool" Gauland bis dahin gewirkt hatte, seine ersten Worte waren das Gegenteil. "Wir werden das Land verändern" und "Frau Merkel jagen". "Wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen!". Und: Typisch für Populisten, die sich immer als "einzig wahre Stimme des Volkes" verstehen, versprach Gauland, nun würden die Themen der Menschen auf der Straße wieder im Bundestag eine Rolle spielen.
Gauland sieht sich in seinem Kurs der letzten Wochen bestärkt und die AfD-Politiker werden als Bundestagsabgeordnete politische Immunität genießen. Es wird dann schwieriger, ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung oder anderer Straftaten gegen sie anzustrengen.
"Ab morgen ... wird aufgeräumt"
Beatrixe von Storch, Berliner AfD-Chefin und nun auch im Bundestag, machte es Gauland sogleich nach. Der Slogan "Refugees Welcome" aus der Zeit der Flüchtlingskrise 2015/16 werde nun wieder ein "Spruch von linksradikalen Spinnern" werden, sagte sie und bekam tosenden Beifall.
Als Themen der AfD nannte von Storch die falsche Eurorettungspolitik und die "drohende Islamisierung". Ab morgen werde gearbeitet, so Storch. Woraufhin aus der Mitte des Raumes, wo sich junge AfDler zum Jubeln für die Kameras versammelt hatten, ergänzend ertönte "wird aufgeräumt". Diesen Spruch hat einst einer der ihren von der jungen AfD gesagt und damit die deutsche Öffentlichkeit erschreckt. Aber das ist typisch für die Nachwuchsorganisation der AfD - sie ist noch radikaler.
Radikal, gemäßigt oder schon draußen?
Etwas gemäßigter sprach dagegen Weidel. Sie appellierte an die Partei und die neuen Abgeordneten, mit "Demut und mit Sorgfalt" die Arbeit zu beginnen. Damit nahm Weidel ihre Rolle ernst, den gemäßigteren Flügel der Partei zu repräsentieren. Das, was Frauke Petry zuvor getan hat.
Es gehörte zu den Überraschungen des Abends, dass Petry eine so wenig tragende Rolle spielte. Immerhin ist sie, zusammen mit Jörg Meuthen, Parteivorsitzende. Doch ihr Vorhaben, die Partei auf einen pragmatischen Kurs zu trimmen, hat sie in der Partei in die Enge getrieben. Zunächst war sie sogar überhaupt nicht beim Event dabei - kein Teil der Choreographie. Spät kam sie dann doch noch und gab einige Interviews. Auf die Bühne aber trat sie nicht, um zu "ihrer Partei" zu sprechen. Noch vor einem Jahr war sie auch international DAS Gesicht der AfD, und nun wirkte sie wie ein nicht gern gesehener Gast. Erst später am Abend wurde bekannt, das Petry einer der großen Wahlsieger bei der AfD ist. Denn sie hat in ihrem Heimatland Sachsen ein Direktmandat gewinnen können.
Gefahr einer Spaltung nicht vorüber
So ließ die AfD an diesem für sie so historischen Abend gleich auch wieder in einen partei-internen Abgrund blicken. Die Partei kämpft mit zwei starken Flügeln, die jeweils unterschiedliche Vorstellungen dazu haben, wie radikal die AfD sein soll - und deshalb verschiedene politische Mileus anziehen.
Zwischen den Barhockern und Stehtischen machte zudem das Gerücht die Runde, Petry wolle zusammen mit ihren Anhängern eine eigene Partei gründen. Bestätigen wollte Petry das den Journalisten nicht. Allerdings äußerte sie ihre Zweifel, dass die Bundestagsfraktion mit ihrem wohl nun starken Protest-Charakter durchhalten werde. Sie verfolge dagegen noch immer den Plan, die Partei bis zur nächsten Wahl 2021 regierungsfähig zu machen.
Strategische Fragen
Das AfD-Publikum war eindeutig Männer-lastig. Sie tranken Bier und aßen Currywurst. Viele trugen Anzüge mit Krawatten und gaben ein eher bürgerliches Bild ab. Perlenketten waren bei den wenigen Frauen viele zu sehen. Typische CDU- oder FDP-Wähler sahen vor ein paar Jahren auch nicht anders aus.
Sie alle hörten genau hin, was die Spitzenkandidaten der anderen Parteien samt Merkel bei der sogenannten "Elefantenrunde" zu sagen hatte. Denn die Farbe oder Farben der Regierungskoalition werde auch strategische Folgen für die AfD haben, wie zu hören war.
Von den AfD-"Bodentruppen", von denen manche an klassische Skinheads erinnern, waren keine dort. Dafür hatte wohl der Einlass im Vorfeld gesorgt.
Schon in den nächsten Tagen wird klarer werden, wie es mit der AfD weitergeht. Am Montag ist eine Pressekonferenz des kompletten Führungsquaretts angesetzt. Am Dienstag und Mittwoch soll die konstituierende Sitzung der AfD stattfinden. Gauland und Weidel wollen die Fraktion anführen. Wird Petry das auch wollen? Der erste mögliche Kampf der neuen AfD-Fraktion im Bundestag könnte schon bald ausgetragen werden.