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"Das System Assad kann nicht zurück"

2. November 2011

Seit acht Monaten rebellieren die Syrer gegen ihren Präsidenten, doch Bashar Al-Assad bleibt hart. Der syrische Philosoph Sadik Al-Azm erklärt im Interview mit DW-WORLD.DE, warum das System Assad trotzdem am Ende ist.

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Der syrische Philosoph Sadik Al-Azm (Foto: Miguel Leyva)
Bild: Miguel Leyva

DW-WORLD.DE: Warum ist Bashar Al-Assad noch immer an der Macht?

Sadik Al-Azm: Er hat eine starke Armee, die ihm gegenüber sehr loyal ist und den Aufstand in Syrien skrupellos niederschlägt. Dazu kommt, dass die anderen arabischen Staaten sehr zurückhaltend reagieren. Sie befürchten, dass die Unruhen auch vor ihrem Land keinen Halt machen, und sind sehr nachgiebig mit Assad. Mich persönlich überrascht außerdem, dass das Militär und die Bourgeoisie so stark zusammenhalten. Die Händler und Kaufleute haben Absprachen mit dem Regime getroffen und bislang nicht die Seite gewechselt.

Warum nicht?

Vermutlich, weil ihre Geschäfte gut laufen und es ihnen gut geht. Sie haben von der wirtschaftlichen Liberalisierung unter Assad profitiert: Es gibt keinen wirklich freien Markt, aber alles läuft über Beziehungen – und deshalb wollen sie nicht, dass sich etwas ändert. Ich habe erwartet, dass sie sich von dem Regime lossagen. Aber es scheint, als wären ihnen die Geschäfte wichtiger.

Saudi-Arabien und der Golf-Kooperationsrat wollten die Mitgliedschaft Syriens in der Arabischen Liga einfrieren. Warum ist es dazu nicht gekommen?

In Krisensituation tendieren diese Regime dazu, sich gegenseitig zu unterstützen. Sie haben kein Interesse daran, dass das Volk einen weiteren arabischen Herrscher aus dem Amt jagt. Gleichzeitig wollen die herrschenden Familien am Golf das Feuer löschen, bevor es sich ausbreitet – obwohl ich glaube, dass sie Assad weder mögen noch respektieren.

Demonstranten in der syrischen Stadt Aleppo (Foto: dpa)
Widerstand gegen Assad - Demonstranten in AleppoBild: picture-alliance/dpa

Fühlen sich die Syrer im Stich gelassen?

Das Gefühl, im Stich gelassen worden zu sein – und zwar sowohl von den Arabern als auch vom Westen – ist auf jeden Fall da. Man merkt das auch an den Protestrufen der Demonstranten: Wir können uns auf niemanden verlassen – nur auf Gott! Die Menschen sind wirklich ziemlich verzweifelt, auch wenn sie eine erstaunliche Entschlossenheit an den Tag legen.

Was muss passieren, damit Assad stürzt?

Die Situation ist sehr festgefahren. Aber in gewisser Hinsicht ist das Regime schon erledigt – so, wie es mit den Syrern umgegangen ist. Das System Assad kann nicht zurück zu dem, was es einmal war – nach allem, was passiert ist. Ich habe das Gefühl, dass die Vorstellung, das Ausland könne intervenieren, an Stärke gewinnt. Anfangs war es nur ein Raunen. Aber der Aufstand entwickelt sich, die Repression wird stärker, und immer mehr Leute, die sich an der Revolution beteiligen, sprechen sich für eine solche Intervention aus. Ich möchte nicht einmal ausschließen, dass das trotz eines Vetos von Russland und China geschehen könnte, wenn die Menschen in Syrien noch stärker unterdrückt werden und die Situation noch weiter ausartet.

Autorin: Anne Allmeling
Redaktion: Friederike Schulz

Sadik Al-Azm ist einer der bekanntesten Philosophen Syriens und zurzeit Käte-Hamburger-Fellow an der Universität Bonn.