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Das Leiden der Hausärzte

Monika Dittrich20. Mai 2008

Michael Kapp ist Hausarzt in Köln. Er liebt seinen Beruf. "Ich bin ja hier im Stadtteil so etwas wie der Pfarrer", sagt er. Nur die Arbeitsbedingungen, die findet er miserabel.

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Michael Kapp mit einem Patienten (Quelle: DW)
Michael Kapp hat eine treuen PatientenstammBild: Monika Dittrich

Michael Kapp ist einer, dem man gleich vertraut: freundlicher Blick, Augenkontakt, fester Händedruck. Statt weißem Kittel trägt er ein kariertes Hemd. Seine Patienten sprechen ihn mit "Herr Doktor" an. Und sie wissen, was sie an ihrem Doktor haben: Er kennt die Familienverhältnisse und Krankengeschichten seiner Patienten seit Jahren, er kommt zu ihnen nach Hause, wenn sie bettlägerig sind, und auch am Wochenende ist er erreichbar.

"Ich liebe meine Arbeit sehr", sagt der Kölner Hausarzt mit einem überzeugenden Blick. Doch das "aber" schwingt schon in der Stimme mit: "Die Arbeitsbedingungen sind wirklich miserabel." Damit meint Michael Kapp vor allem die Bezahlung.

Punkte statt Euro

Als niedergelassener Arzt mit Kassenzulassung erhält er sein Geld über den Umweg der Kassenärztlichen Vereinigung. Die wiederum handelt mit den Gesetzlichen Krankenkassen die Honorare aus. Doch für die meisten ärztlichen Leistungen gibt es gedeckelte Budgets, deren Höhe am Beginn des Quartals noch nicht einmal feststeht. Die Ärzte rechnen nicht nach festen Euro-Beträgen ab, sondern nach Punkten. Und je mehr Punkte die Ärzte insgesamt abrechnen, desto weniger ist der einzelne Punkt wert.

Deshalb sind die Budgets der Praxen meistens sehr schnell erschöpft: In den ersten vier Wochen eines dreimonatigen Quartals verdiene er noch Geld, sagt Kapp. "Danach behandele ich die Patienten, ohne einen einzigen Cent dafür zu bekommen."

Privatpatienten müssen sein

Wartezimmer-Tür (Quelle: DW)
Privatpatienten müssen weniger lang wartenBild: Monika Dittrich

Im Durchschnitt erhalte er 12.000 Euro pro Monat von der Kassenärztlichen Vereinigung. "Davon gehen 3000 Euro an mein Personal, 3000 Euro brauche ich für laufende Kosten und mit 3000 Euro zahle ich die Praxis ab." Dann blieben noch 3000 Euro für ihn übrig – allerdings vor Steuern, vor Rentenzahlungen oder Krankenkassenbeiträgen. "Ohne Privatpatienten wäre es völlig ausgeschlossen, diesen Betrieb zu führen."

Die privaten Krankenversicherungen rechnen nämlich nicht nach Budgets oder Punkten ab, sondern bezahlen die tatsächlich erbrachten medizinischen Leistungen – und zwar meistens wesentlich besser als die gesetzlichen Krankenkassen. Rund 100 Privatpatienten betreut Michael Kapp, neben den 800 Kassenpatienten. Doch die Privaten machten 20 Prozent seiner Einnahmen aus. Dank dieser Patienten könne er auch ab und zu neue medizinische Geräte anschaffen.

Da liegt die Frage nahe, ob die Privatpatienten bevorzugt behandelt werden? "Das muss ich machen", gibt der Hausarzt zu. "Ohne meine Privatpatienten könnte ich meine Praxis morgen dicht machen." Damit die Privatpatienten zu ihm kämen, müsse er eben auch gewisse Serviceleistungen anbieten. "Da ist es dann auch mal so, dass ein Privatpatient weniger lange warten muss, als ein Kassenpatient."

Mehr Steuergelder nötig

Im kommenden Jahr wird das Honorarsystem für Ärzte umgestellt, die Punkte sollen durch feste Euro-Beträge ersetzt werden. Es heißt, damit sei eine enorme Verbesserung für die niedergelassenen Ärzte verbunden. Denn künftig würden die Kassen und nicht mehr die Ärzte die Last tragen, wenn mehr Menschen häufiger krank werden. Doch Kapp glaubt nicht an diese Versprechungen. "Wir haben schon so oft gehört, dass wir besser gestellt werden sollen. Und dann stehen die Hausärzte doch jedes Jahr mit Umsatzeinbußen da." Seiner Meinung nach muss wesentlich mehr Geld ins Gesundheitssystem gepumpt werden – und zwar nicht aus Versicherungsbeiträgen, sondern aus Steuermitteln.

Michael Kapp lachend (Quelle: DW)
Ihm macht die Arbeit trotzdem SpaßBild: Monika Dittrich

"Schauen Sie sich doch die demographische Entwicklung an: Wir werden immer älter, und damit auch öfter krank. Und das kostet eben viel Geld." Auf der Seite der Beitragszahler stünden aber immer weniger junge Leute. "Wenn man dem System nicht mit Steuermitteln unter die Arme greifen will, dann muss man aber auch klar sagen: Jetzt wird rationiert." Besonders regt sich Kapp über die Politiker auf: Die beschnitten zwar seit Jahren das Gesundheitssystem, doch den Menschen werde immer weisgemacht, sie bekämen die Versorgung, die sie brauchten. "Dabei sehen die Patienten doch, wie lange sie auf einen Termin warten müssen oder dass sie ihre gewohnten Medikamente nicht mehr verschrieben bekommen. Und wir Ärzte sollen dann vermitteln."

2400 Auswanderer

Darauf hätten viele seiner Kollegen schon längst keine Lust mehr, erzählt Kapp. Einige Ärzte aus seinem Bekanntenkreis seien deshalb ins Ausland gegangen, wo sie wesentlich mehr Geld verdienten. Tatsächlich gibt es in Deutschland eine erhebliche Abwanderung von Ärzten: Im vergangenen Jahr suchten mehr als 2400 Mediziner ihr Glück im Ausland. Die beliebtesten Ziele sind die Schweiz, Österreich, die USA und Großbritannien.

Michael Kapp denkt nicht daran, wegzugehen. Das Vertrauensverhältnis zu seinen Patienten sei über Jahre gewachsen, und vor allem mache ihm die Arbeit Spaß. "Ich hoffe nur, dass ich dafür auch irgendwann angemessen bezahlt werde."