'Mehr Lächeln'
31. März 2008"Das System ist ganzheitlich. Es betrachtet nicht nur den Körper, sondern auch den Geist. Ich bin selbst ein alter Patient der tibetischen Medizin. Ich weiß also, dass zur Vorbeugung tibetische Medizin sehr gut ist. Aber für akute Fälle ist sie hoffnungslos, da ist eine krankheitsbezogene Medizin wesentlich besser."
So skizzierte der Dalai Lama 2007 bei seinem Besuch in Freiburg die Medizin in Tibet. Die Tibeter gehen davon aus, dass das, was wir wahrnehmen, gar nicht die Wirklichkeit ist, sondern nur ein Bild davon ist. Sie kennen zwei Wirklichkeiten, eine die unsere Sinne wahrnehmen und eine zweite metaphysische, der man sich nur durch Lernen und Meditieren nähern kann.
Geist spiegelt sich im Körper
Die Kasseler Allgemeinmedizinerin Katrin Jäger hat sich mit der tibetischen Medizin beschäftigt und zwei Kapitel eines über 800 Jahre alten medizinischen Standardwerkes übersetzt. Sie skizziert die tibetische Sicht der Wechselwirkungen von Geist und Körper: "Das Geistige spiegelt sich im Körper. Es ist anders, als bei uns, wo wir die Emotionen als relativ losgelöst vom Körper betrachten." In der tibetischen Vorstellung hat das, "was ich mit dem Geist tue, seine Folgen auf sehr lange Sicht gesehen auch auf den Körper."
Ein sehr simples Beispiel wären Lachfalten, die man nicht durch dauerndes Grübeln bekommt. Aber es genügt nicht nur das Richtige zu denken, um wieder gesund zu werden. Man stelle sich vor, "jemand ist Krebspatient, und weil es doch seine Ursache im Geiste hat, dann muss er jetzt nur den richtigen Geisteszustand haben, damit er wieder gesund ist. So ist es nicht zu verstehen."
Selbstverständnis beeinflusst Gesundheit
Sondern das Selbstverständnis prägt den Lebenswandel. Ein Mensch, der versucht die Ordnung der Welt zu verstehen und in ihr seinen Platz auszufüllen, führt ein anderes Leben, als jemand, der die Welt als feindlichen Ort empfindet, an dem man ständig kämpfen muss. Dass die Einstellung zur Welt auch Einfluss auf die Lebensweise und die Gesundheit hat, liegt nahe. Es scheint, als hätten die Tibeter erkannt, dass es verschiedene Wege zur Gesundheit gibt und sie deshalb alle gelten lassen. "Die tibetische Kultur hat die Toleranz besessen alles was geschichtlich mal existiert hat im Rahmen der Medizin auch weiterhin bei zu behalten, ohne sich gegenseitig zu konkurrieren", sagt Jäger. Die Tibeter selbst nutzen westliche Medizin für akute Beschwerden und ihre tibetische Medizin für chronische Krankheiten, oder schwierige Lebenslagen.
Traditionell ging in Tibet der eigentlichen Ausbildung zum Arzt eine religionsphilosophische Grundausbildung voraus. Das ist heute im Exil nicht immer möglich. Die "professionelle Distanz", die ein Psychotherapeut oder Psychiater bei uns zu wahren versucht, ist dem tibetischen Arzt fremd. Ihre religiöse Grundausbildung schule ihn in seinem Mitgefühl, seiner Empathie für den Patienten, erläutert Jäger. "Das wird gerade von chronisch Kranken, die sonst nichts mit Religion zu tun haben, sehr stark und dankbar wahrgenommen."
Mitgefühl entscheidend
Mitgefühl und Mitempfinden sind die wichtigste Quelle für ein gesundes Leben, so die Erkenntnis des Freiburger Arztes und Professors für Psychosomatik, Joachim Bauer. Ursache sind Nervenzellen, die im Gehirn spiegeln, was der Mensch sieht. Das ist die Grundlage aller sozialen Beziehungen und des Lernens. Mitempfinden muss vom kleinen Kind erlernt werden und kann später durch Meditation trainiert werden. In den Gehirnen erfahrener tibetischer Mönche konnten mithilfe bildgebender Verfahren in den entsprechenden Hirnbereichen starke Veränderungen gegenüber Menschen ohne Meditationserfahrung nachgewiesen werden. Eine Erkenntnis, die auch ohne westliche Wissenschaft schon lange zum Wissen des Dalai Lamas gehört: "Das Wertvollste in unserem Leben ist Mitempfinden", sagt er. "Es gibt uns all das, was wir wollen: Glückliches Leben, Gesundheit, mehr Freunde, mehr Lächeln."