Boykotte gegen israelische Judoka
26. Juli 2021Der algerische Judoka Fethi Nourine hatte bei den Olympischen Spielen in Tokio am Montag für einen Skandal gesorgt. Der 30-Jährige zog seine Teilnahme in der Klasse bis 73 Kilogramm zurück, um im Falle eines Sieges in seinem ersten Kampf nicht in der zweiten Runde gegen den Israeli Tohar Butbul antreten zu müssen. Nourines Verhalten stehe "im totalen Gegensatz zur Philosophie" des Verbands, teilte die Internationale Judo-Föderation (IJF) mit und suspendierte den Judoka und seinen Trainer Amar Benikhlef. Das algerische Olympische Komitee erkannte den beiden ihre Akkreditierungen ab und ordnete ihre Rückreise an.
Das Szenario ist den israelischen Athleten bekannt: Ein Gegner, dessen Land keine diplomatischen Beziehungen zu Israel unterhält, taucht einfach nicht auf und beschert dem Israeli einen automatischen Sieg. In anderen Fällen verlieren sie absichtlich oder täuschen eine Verletzung vor. Und wenn es doch zum Duell kommt, vermeiden es viele, sich anschließend die Hand zu geben.
Von Tennis bis Snooker
Die meisten solcher Vorfälle betreffen Sportler aus der Islamischen Republik Iran, aber es gibt auch welche aus Saudi-Arabien, dem Libanon, Algerien und Tunesien. Einige dieser Länder haben Israel seit der Gründung des jüdischen Staates im Jahr 1948 nicht anerkannt. Im Falle des Irans haben die Führer des Landes offen zu dessen Zerstörung aufgerufen.
Die Liste der Sportarten, in denen israelische Konkurrenten so behandelt wurden, reicht von Snooker bis Tennis, von Ringen bis Fechten; sogar die israelische paralympische Fußballmannschaft wurde schon von ihren iranischen Kollegen boykottiert. Die Sportart, die in dieser Hinsicht sowohl in Israel als auch international die meisten Schlagzeilen macht, ist jedoch Judo. Wie der Iran ist auch Israel eine Judo-Hochburg. Von den neun olympischen Medaillen des Landes wurden fünf im Judo gewonnen.
Empathie mit den Gegnern
Yoel Razvozov war mehr als ein Jahrzehnt lang einer von Israels Top-Judokas, gewann Silber bei den Europameisterschaften 2004 und 2005 und nahm an den Olympischen Spielen 2004 in Athen teil. Razvozov sagte, dass er seinen potenziellen Konkurrenten nie die Schuld gab, wenn sie es vermieden, gegen ihn aufgrund seiner Nationalität anzutreten. "Am meisten taten mir meine Gegner leid", sagte Razvozov der DW. "Genau wie ich, wollten sie konkurrieren und Medaillen gewinnen. Ich konnte ihre Tränen und Frustration sehen. Sie wurden von ihrem Land gezwungen."
Dabei, so Razvonov, brauche man als Spitzensportler alle Konzentration der Welt. "Sobald man sich mit Politik und Medieninteresse beschäftigen muss, leidet oft die Konstanz im Wettkampf und die Leistung." Nach dem Ende seiner Karriere kandidierte Razvozov erfolgreich für das israelische Parlament, die Knesset. Als Parlamentarier gründete er eine Task Force, die sich mit Boykotten gegen israelische Sportler befassen sollte. Die Task Force greift, wenn ein israelischer Athlet einem Boykott ausgesetzt ist, auch zum Mittel formeller Beschwerden bei Turniersponsoren. "Diese Drohung funktioniert. Wenn sie einen israelischen Athleten demütigen, und in meinen Augen ist das Nichtabspielen unserer Nationalhymne eine Demütigung, müssen sie wissen, dass wir Maßnahmen ergreifen werden", sagte Razvozov.
Ergebnisse kommen "Schritt für Schritt"
Es sind jedoch nicht nur Politiker, die aktiv gegen den Boykott israelischer Sportler im sportlichen Wettkampf kämpfen. Mit dabei ist auch der ehemalige Judoka Moshe Ponte, der seit acht Jahren Vorsitzender des israelischen Judoverbandes ist. "Wir sagen dem Internationalen Judo-Verband (IJF) immer, dass dies kein sportliches Verhalten ist", sagte Ponte gegenüber der DW und fügte hinzu, dass solche Boykotte "eine Peinlichkeit" für den internationalen Judosport seien. Er räumt aber auch ein, dass es nicht schnell zu Veränderungen kommen wird. "Diese Dinge sind immer ein Prozess, Schritt für Schritt", sagte er.
Ein wichtiger Schritt kam 2018, als die IJF den Grand Slam, der in Abu Dhabi stattfinden sollte, aussetzte. Bei der Veranstaltung im Vorjahr durften israelische Athleten nicht unter ihrer Nationalflagge antreten oder ihre Hymne spielen lassen. Die lokalen Organisatoren bestätigten, dass dies 2018 nicht der Fall sein würde und die israelische Nationalhymne wurde zum ersten Mal in den Vereinigten Arabischen Emiraten gespielt, nachdem Sagi Muki die Goldmedaille in der Kategorie unter 81 Kilogramm gewonnen hatte.
Bei dieser Veranstaltung gab der iranische Judoka Saeid Mollaei, der als Favorit für das Finale galt, in dem er gegen Muki angetreten wäre, nach weniger als einer Minute in seinem Halbfinale auf und sagte, er sei verletzt worden, was viele israelische Medien als "inszeniert" bezeichneten.
Ein weiterer aufsehenerregender Fall, in den Muki und Mollaei verwickelt waren, ereignete sich ein Jahr später, als beide als Favoriten das Finale in ihrer Gewichtsklasse bei den Weltmeisterschaften in Tokio erreichten. Diesmal verlor Mollaei absichtlich in seinem Halbfinale, um nicht gegen Muki anzutreten, der daraufhin die Goldmedaille gewann.
Danach entschied sich Mollaei, nicht in den Iran zurückzukehren, sondern reiste nach Deutschland, wo ihm einige Wochen später Asyl gewährt wurde. Muki und Mollaei trafen sich später in China, wobei der Iraner den Israeli als "meinen besten Freund" bezeichnete. Der Vorsitzende des israelischen Judoverbands, Ponte, bezeichnete Mollaei als "Held", weil er diese Haltung eingenommen habe.
Entschlossenes Handeln erforderlich
Ponte hatte bereits vor den Olympischen Spielen von Tokio ein entschiedenes Handeln gefordert: "Sie müssen wissen, dass sie ein Problem haben werden, wenn sie sich entscheiden, nicht gegen uns anzutreten", sagte er. Yoel Razvozov ist der gleichen Meinung: "Sport sollte frei von Politik sein", sagt er. "Wenn ein Land solche Sanktionen gegen israelische Sportler verhängt, müssen es auch die Konsequenzen tragen."
Wenig überraschend ist auch das Israelische Olympische Komitee (Olympic IL) gegen Boykotte und spricht sich gegen eine Vermischung von Politik und Sport aus. "Wir als israelisches Olympisches Komitee weisen unsere Athleten an, sich nicht politisch zu äußern", sagte Gilad Lustig, Generalsekretär des Olympic IL, der DW. "Wir sind sehr kritisch gegenüber Ländern, die versuchen, israelische Athleten aus bestimmten Wettbewerben zu drängen. Dankenswerterweise zeigt das Internationale Olympische Komitee unter der Leitung von Dr. Thomas Bach null Toleranz gegenüber solchen Versuchen."
"Möge der beste Judoka gewinnen"
Lustig und Ponte sind sich einig, dass für israelische Athleten ein Boykott des Gegners niemals eine Option sein wird, egal woher sie kommen. "Sei es in arabischen Ländern, in Ländern, die sich als unsere Feinde betrachten oder wo auch immer. Wir werden überall gerne hingehen", sagt Ponte. "Wenn sie uns nicht die Hand schütteln wollen, ist das ihre Entscheidung. Aber das Wichtigste ist, dass man antritt und sein Bestes gibt. Und dann möge der beste Judoka gewinnen."
Adaption: Tobias Oelmaier