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Judoka Saeid Mollaei: Schicksalsort Tokio

Sarah Wiertz Tokio
27. Juli 2021

Er will einfach nur Judoka und Sportler sein. Dafür musste der Iraner Saeid Mollaei lange kämpfen. In Tokio belohnt er sich selbst mit der Silbermedaille. Seine Geschichte beginnt und endet im Budokan.

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Tokio - Olympia - Judo
Bild: Vincent Thian/picture alliance/AP

Das Nippon Budokan ist als spirituelle Heimat der japanischen Kampfsportart bekannt - besonders für Judo. Hier hat die Sportart bei den ersten Spielen in Tokio 1964 ihr olympisches Debüt gefeiert. Die achteckige Haupthalle im Kitanomaru-Park ist dem Horyu-ji-Tempel in Mara nachgebildet und vermittelt ein Flair der Kraft und Ruhe.

Für Judoka Saeid Mollaei ist es ein ganz besonderer Ort. "Ich möchte diese Medaille zu allererst mir selbst widmen. Dann meiner Familie und dann all denen, die mich unterstützt haben", sagte der frisch gekürte Olympia-Zweite auf der Pressekonferenz gegenüber der Deutschen Welle. Souverän hatte sich der Iraner in der Gewichtsklasse bis 81 Kilogramm über vier Duelle bis in Finale gekämpft - dort unterlag der Favorit jedoch dem Japaner Takanori Nagase.

Warum tritt Mollaei nicht gegen israelische Sportler an?

Das Budokan, in dem während der Olympische Spielen rund 11.000 Zuschauer die Judokas anfeuern, zujubeln und unterstützen sollten, kennt Mollaei nur zu gut. Zwei Jahre ist es her, dass es hier bei den Weltmeisterschaften als amtierender Champion das Halbfinale verlor - eine Niederlage, die sein Leben verändern sollte.

Mollaeis Trainer bekam zuvor einen Anruf vom stellvertretenden iranischen Sportminister mit einer eindeutigen Anweisung: Mollaei solle nicht weiterkommen, er könne im Laufe des Wettkampfs schließlich mit Sagi Muki auf einen israelischen Gegner stoßen. Seit Jahrzehnten verbietet der Iran seinen Sportlern gegen Athleten aus Israel anzutreten, da er das Land als Staat nicht anerkennt. Mollaei kämpfte jedoch weiter und besiegte auch den nächsten Gegner.

Kurz vor dem Halbfinale kam dann ein Mitarbeiter der iranischen Botschaft zu Mollaei in die Aufwärmhalle und teilte ihm mit, dass Sicherheitskräfte am Haus seiner Eltern seien. Der Judoka brachte seinen Pass in Sicherheit, ging auf die Matte - und verlor knapp gegen den Belgier Matthias Casse, ein Finale gegen Muki war damit abgewendet. "Man soll im Leben mutig sein. Aber mir gingen tausend Fragen durch den Kopf. Was passiert mit mir oder meiner Familie? Also habe ich auf den Befehl gehört", erzählte Mollaei später. Den Weltmeistertitel gewann der Israeli Muki.

Warum startet Mollaei für die Mongolei?

Auf Instagramm gratulierte Mollaei seinem Nachfolger. In Israel wird er für diese Geste gefeiert. "Danke, Saeid. Du bist eine Inspiration als Mensch und als Athlet", reagierte Muki gerührt. Das Ayatollah-Regime reagierte erzürnt. Nach der WM setzte sich Mollaei daher nach Deutschland ab. Sein Traum von Olympia-Gold rückte so zunächst in weite Ferne, denn sein Heimatland würde ihn nie wieder für ein Turnier nominieren.

KSV Esslingen Saeid Mollaei
Saeid Mollaei kämpft in der deutschen Bundesliga für die KSV Esslingen bei StuttgartBild: Robin Rudel/Pressefoto Rudel/picture alliance

Der Internationale Judoverband (IJF) unterstützte Mollaei bei seinem Ziel, bei den Olympischen Spielen zu starten - entweder im Flüchtlingsteam oder als Athlet einer anderen Flagge. Mollaei nahm das Angebot des mongolischen Staatpräsidenten Chaltmaagiin Battulga an, künftig für den zentralasiatischen Staat anzutreten. Auf die Olympischen Spiele in Tokio angesprochen, sagte Mollaei: "Ich komme wieder und werde mein Recht zurückverlangen."

Warum ist der Budokan für Mollaei wo wichtig?

Im Februar reiste er nach Israel, um beim Grand-Slam-Turnier anzutreten. Damit war er der erste Sportler aus dem Iran, der seit der Islamischen Revolution 1979 an seinem Turnier in Israel teilnahm. Zwar ist Mollaei mittlerweile auch im Besitz eines mongolischen Passes, aber laut iranischem Recht kann die iranische Staatsbürgerschaft nicht abgegeben werden. Für Mollaei ist es eine Befreiung. "Ich bin sehr glücklich. Jetzt bin ich wie jeder andere Sportler. Ich bin frei, keine Probleme, keine Politik - einfach nur Sportler." Auch die letzten beiden Monate vor den Olympischen Spielen verbrachte er in Israel, um mit dem Weltranglisten-Sechsten Muki, mit dem er mittlerweile eng befreundet ist, zu trainieren.

Tokio - Olympia - Judo
Finale verloren, aber Silber gewonnen: Saeid Mollaei (r.) mit Gegner Takanori Nagase (l.)Bild: Vincent Thian/picture alliance/AP

Nun ist Mollaei zurück in Tokio, an dem Ort, an dem die Geschichte beginnt, im Nippon Budokan. Im Hablfinale wäre er auf Muki getroffen, doch dieser verlor eine Runde zuvor. Mollai schaffte es bis ins Finale - und zum Gewinn der olympischen Silbermedaille. "Ich habe vieles durchgemacht, ich kann meine Familie nicht sehen. Aber jetzt, nach zwei Jahren harter Arbeit bin ich nun wieder hier", erklärt Mollaei auf Frage der DW. "Denn ich habe nie wirklich Abschied von diesem Ort genommen."

DW Kommentarbild Sarah Wiertz
Sarah Wiertz Teamleiterin Sport Online