Freisprüche aufgehoben
28. August 2007Der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig hat am Dienstag (28.8.07) die Freisprüche gegen zwei Brüder der ermordeten Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü aufgehoben und damit der Revision der Bundesanwaltschaft stattgegeben. Diese hatte die Beweisführung des Landgerichts Berlin als lückenhaft bemängelt.
Den beiden Angeklagten wird jetzt erneut vorgeworfen, gemeinsam mit ihrem Bruder Ayhan ihre Schwester im Februar 2005 ermordet zu haben, weil sie den westlichen Lebensstil der jungen Frau missbilligten. Nicht zur Disposition stand der Schuldspruch gegen Ayhan, den dritten und jüngsten der Brüder. Dieser war wegen des Mordes an seiner Schwester zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Das Urteil gegen ihn ist rechtskräftig.
Die 23-jährige Mutter Hatun Sürücü, eine Deutsche kurdischer Abstammung, die sich dem rigiden islamischen Lebensstil ihrer Familie entzogen hatte, war am 7. Februar 2005 im Berliner Ortsteil Tempelhof auf offener Straße mit mehreren Schüssen in den Kopf regelrecht hingerichtet worden. Der Fall führte zu einer kontroversen Debatte unter anderem über Zwangsheirat und die Integration von Ausländern. In seinem Plädoyer vor dem BGH hatte Oberstaatsanwalt Hartmut Schneider erklärt, die Tat habe nicht nur Aufsehen erregt, sondern auch Abscheu. Eine solche Tat dürfe der Rechtsstaat nicht hinnehmen.
Neubewertung einer Zeugin
Nach der BGH-Entscheidung muss nun eine Schwurgerichtskammer des Berliner Landgerichts klären, ob die beiden Männer Mittäter oder Gehilfen ihres Bruders waren. Die Beweisführung werde auch in einem zweiten Prozess kompliziert werden, sagte der Vorsitzende Richter des 5. Strafsenats, Clemens Basdorf.
Im neuen Prozess müssen belastende Aussagen einer Zeugin erneut gewürdigt werden. Die Ex-Freundin des Todesschützen hatte ausgesagt, Ayhan habe ihr anvertraut, dass einer der beiden älteren Brüder die Mordwaffe besorgt habe. Der andere sei bei dem Mord in der Nähe des Tatorts gewesen, um dem Jüngsten beizustehen. Ayhan hatte in dem ersten Verfahren zwar bestätigt, dies seiner damaligen Freundin erzählt zu haben. Doch es entspreche nicht der Wahrheit. Er habe die Beteiligung seiner Brüder nur behauptet, um seine Freundin zu beruhigen.
Lückenhafte Beweiswürdigung
Das Landgericht Berlin stufte die die Aussagen der Hauptbelastungszeugin allerdings als bruchstückhaft ein. Überwiegend habe es sich um Information vom Hörensagen gehandelt. Die Verwicklung der beiden älteren Brüder in die Tat habe nicht zweifelsfrei bewiesen werden können.
Der BGH kritisierte am Dienstag, dass das Berliner Landgericht die Aussagen der Zeugin nicht verwertet habe. Die Richter hätten prüfen müssen, ob Ayhan damals tatsächlich seiner Freundin, der er uneingeschränkt vertraut habe, die Unwahrheit erzählte. Darüber hinaus weise die Beweiswürdigung der Berliner Richter weitere Lücken auf. Sie hätten etwa als belastendes Indiz berücksichtigen müssen, dass Ayhan seinem Bruder Alpaslan wenige Minuten nachdem Mord eine SMS geschickt hatte.
Flucht vor den Eltern
Hatun Sürücü war in Deutschland aufgewachsen und nach eigenen Angaben 1998 in der Türkei zu einer Ehe mit einem Cousin gezwungen worden. Sie brachte im Mai 1999 in Berlin einen Sohn zur Welt und weigerte sich, in die Türkei zurückzukehren. Ein halbes Jahr später verließ sie die Wohnung ihrer Eltern und begann eine Ausbildung als Elektrotechnikerin. Die alleinerziehende Mutter war dann im Februar 2005 von ihrem damals 18-jährigen Bruder getötet worden, weil er die vermeintlich verletzte Familienehre wiederherstellen wollte.
Ob sich die beiden beschuldigten Brüder tatsächlich einem neuen Verfahren stellen, ist offen. Sie halten sich Medienberichten zufolge derzeit in der Türkei auf. Mutlu Sürücü ist Deutscher und könnte eventuell ausgeliefert werden. Sein Bruder Alpaslan ist dagegen türkischer Staatsbürger. (stu)