Kampagne gegen Ehrenmorde und Gewalt
31. Januar 2006Anfang 2005 initiiert Güner Y. Balci im Berliner Mädchentreff "MaDonna" eine Postkartenaktion gegen so genannte Ehrenmorde. Die Journalistin spricht Jugendliche an, ob sie sich für die Kampagne fotografieren lassen würden. Der 17-jährige Sinan und sein ein Jahr jüngerer Freund Saithan sind sofort einverstanden. Sie finden es wichtig, öffentlich ein Zeichen gegen Gewalt und Unterdrückung zu setzen.
"Ehre ist, für die Freiheit meiner Schwester zu kämpfen!" lautet der Slogan der Karte, die Anfang 2005 in einer Auflage von 20.000 Stück in Umlauf gebracht wird.
"Pantherpreis" für Zivilcourage
Ihre Familien informieren die Jungen nicht. Sie gehen davon aus, dass Eltern und Verwandte "das gar nicht mitbekommen". Doch nachdem im Frühjahr 2005 der erste Artikel über die Aktion erscheint, wächst das Medieninteresse.
Im Herbst gewinnen Saithan und Sinan den "Pantherpreis" der Tageszeitung "taz", eine Auszeichnung für besondere Zivilcourage. Die beiden Jungs werden in der deutschen und europäischen Presse als Helden gefeiert, diverse Fernsehstationen laden sie ein. Eine ungewohnte Situation für die Schüler. Zugleich müssen sie sich erstmals mit zwiespältigen Reaktionen aus ihrem privaten Umfeld auseinandersetzen.
Von den Aktivitäten ihrer Söhne erfahren die Eltern per Zufall, durch einen Fernsehauftritt. "Sinans Vater dachte, Sinan sei bei mir, um Geburtstag zu feiern und meine Eltern dachten, ich wäre bei Sinan zum Geburtstag eingeladen. Dann haben sie uns plötzlich auf dem Bildschirm gesehen." Saithan hat Glück. Begeistert zeigen sich seine Eltern über die Medienpräsenz ihres Sohnes nicht, aber sie sind einverstanden mit seinem Engagement. "Meine Mutter ist stolz auf mich."
Sinans Familie hingegen reagiert verunsichert. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist den Eltern von Anfang an suspekt. Derzeit möchte der Vater nicht, dass sich sein 17-jähriger Sohn weiterhin in den Medien äußert.
Zeichen gegen Gewalt
Auch unter Gleichaltrigen sammeln Sinan und Saithan unterschiedliche Erfahrungen. In der Realschule, die Saithan besucht, wird das Thema auf Grund der Postkartenaktion ausführlich im Unterricht behandelt. Die Mitschüler, von denen 70 Prozent aus arabischen und türkischen Migrantenfamilien stammen, teilen Saithans ablehnende Meinung zu Zwangsverheiratungen und Ehrenmorden.
Sinan, der eine Hauptschule besucht, wird unterdessen von einigen Mitschülern angepöbelt. "Weil die das alles gar nicht richtig verstanden haben. Die denken, dass er damit sagt, dass es ihm egal ist, was seine Schwester macht", berichtet Saithan.
"Ehrenmorde und Zwangsverheiratungen sind in vielen Migrantenfamilien immer noch ein Tabuthema", erklärt Güner Y. Balci, die sich über die breite Diskussion freut, die das Projekt ausgelöst hat. Die Zivilcourage von Saithan und Sinan hätte dabei nicht zuletzt einen Signalcharakter für Gleichaltrige. "Häufig sind die Jungen aus Migrantenfamilien ähnlichen Zwängen ausgesetzt wie die Mädchen. Es ist ungemein wichtig, dass diese Jugendlichen sehen, dass es möglich ist, sich von bestimmten Konventionen zu lösen, die Unrecht sind."
Bundesweite Aktion
In diesem Jahr wird die Kampagne, die an eine ähnliche Aktion muslimischer Jugendlicher in Schweden angelehnt ist, bundesweit fortgeführt. Zukünftig sollen die Postkarten auch in arabischer und türkischer Sprache gedruckt und zudem gezielt in Männerdomänen wie Cafés und Sportvereinen verteilt werden.
Außerdem sind Plakataktionen mit dem gleichen Motiv geplant. "Es muss dabei klar gestellt werden, dass diese Morde nichts mit einer religiösen Pflicht zu tun haben", sagt Güner Y. Balci. Vielen Muslimen sei immer noch nicht bewusst, dass es sich bei Zwangsverheiratungen und Ehrenmorden um archaische, vorislamische Traditionen handele.
Über Saithan ist dieses Jahr ein Fernsehfeature geplant, an dessen Realisierung auch Güner Y. Balci beteiligt ist. "Wir wollen Saithan in seinem Alltag begleiten, und die Lebenssituation beleuchten, in der er und viele junge Migranten sich befinden."
Ob sich der 16-jährige Saithan dann souveräner als bisher in Szene setzen kann, bleibt abzuwarten. Er ist ein zurückhaltender Mensch, sogar ein wenig schüchtern. Auf die Frage, ob er weiterhin sein Gesicht gegen Gewalt und Unrecht zeigen möchte, antwortet er erst nach längerem Nachdenken: "Eigentlich schon. Sehr gerne." Später will er einmal Rechtsanwalt werden. Dann könnte er sich immer für Gerechtigkeit einsetzen.