Wie Games für politische Zwecke genutzt werden
19. Oktober 2020Wenn am 3. November der neue US-Präsident gewählt wird, geht ein Wahlkampf zu Ende, der geprägt war von der Corona-Pandemie, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben nachhaltig verändert hat. Wie in jeder Krise gibt es Verlierer und Gewinner. Die Videospielbranche profitiert davon, dass viele Menschen mehr Zeit Zuhause verbringen. Die Verkäufe von Spielekonsolen, Spieleabos und einzelnen Spielen haben während der Corona-Krise stark angezogen.
Auch das Spiel "Animal Crossing: New Horizons", erschienen im März 2020, zählt zu den Krisengewinnern. In dem Spiel reisen die Spielerinnen und Spieler auf eine virtuelle Insel, gehen dort fischen, schütteln Bäume bis Obst hinunter fällt, bauen ihre Häuser nach und nach aus und unterhalten sich mit sprechenden Tieren. Bis heute wurde es weltweit rund 22,4 Millionen mal verkauft.
Videospiele als Plattform für politische Botschaften
Diesen großen Erfolg nutzen politische Aktivistinnen und Aktivisten sowie Politikerinnen und Politiker, um virtuell - via Online-Games - bei den Menschen in ihrem Wohnzimmer vorbeizuschauen und Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu schaffen. Eine Black-Lives-Matter-Aktivistin schuf auf einer Insel in "Animal Crossing" ein Denkmal mit Porträts von George Floyd, Breonna Taylor und anderen Schwarzen, die Opfer von Polizeigewalt wurden. Virtuelle Black-Lives-Matter-Demonstrationen fanden auch in anderen populären Spielen wie "Die Sims", "Grand Theft Auto" oder "World of Warcraft" statt. Aktivisten der Hongkonger Demokratiebewegung verlegten ihren Protest während des Lockdowns in die virtuelle Welt von "Animal Crossing", indem sie Plakate mit dem Slogan "Free Hongkong, revolution now" gestalteten.
Die US-Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez ging mit ihrer Spielfigur im "Animal Crossing"-Universum auf Wahlkampftour und überbrachte den Inselbewohnerinnen und -bewohnern persönliche Nachrichten. Seit einigen Wochen können sich Spielende Wahlkampfschilder von Joe Biden und Kamala Harris in ihren virtuellen Vorgarten stellen. Offizielle Trump-Schilder gibt es im Spiel keine. Über eine Pressesprecherin ließ US-Präsident Donald Trump ausrichten, dass seine Kampagne ihre Ressourcen weiterhin dafür verwenden werde, in der realen Welt Wahlkampf zu machen - "mit echten Amerikanern".
Werbung in Videospielen
Zwar gibt es schon seit vielen Jahren Videospiele, die im Wahlkampf eingesetzt werden, doch waren jene nur für diesen einen Zweck programmiert worden, also reine Werbespiele mit geringer Reichweite für eine Partei, einen Kandidaten oder eine Kandidatin. Das ist bei In-Game-Werbung anders. Hier ist die Werbung Beiwerk und nicht der Hauptzweck. Doch bis heute ist Werbung in Videospielen generell eher eine Ausnahme.
"Kommerzielle Werbung hat in Videospielen nie das Ausmaß erreicht, das vor zehn Jahren euphorisch vorhergesagt wurde", sagt der Kommunikationswissenschaftler Christoph Klimmt. Das gelte erst recht für politische Werbung. Das liege vor allem an der technischen Hürde. "Videospiele sind sperrig. Die technische Integration von Werbung ist vergleichsweise aufwendig, weil es interaktive Softwareprodukte sind." Da überlegten sich die Kampagnen-Strategen genau, ob sich der Aufwand lohne.
Barack Obama setzte als Erster auf In-Game-Werbung
Es sei immer auch eine Geldfrage, berichtet Julius van de Laar, der 2008 hauptamtlicher Wahlkämpfer im Präsidentschaftswahlkampf für Barack Obama war. Obama war 2008 der Erste, der im US-Präsidentschaftswahlkampf auf In-Game-Werbung in Videospielen setzte.
Für seine Kampagne nutzte er damals 18 bekannte Videospiele, darunter das Basketball-Spiel "NBA Live 08" oder das Rennspiel "Burnout Paradise" als Werbeplattform. Obamas Konterfei war auf virtuellen Werbetafeln zu sehen. "Wir hatten ein unglaublich cleveres Wahlkampfteam. Und wir waren im 2008er Wahlkampf so gut finanziert, dass wir finanzielle Freiräume und Kapazitäten dafür hatten, solche Dinge einfach mal auszuprobieren."
In-Game-Werbung hat kaum Einfluss auf die Wahlentscheidung
Den Einfluss von In-Game-Werbung auf den einzelnen Spieler oder die einzelne Spielerin schätzen der Kommunikationswissenschaftler und der Wahlkampfmanager als sehr gering ein. Wer spielt, konzentriere sich auf die Action am Bildschirm, nicht auf Werbeschilder. Vielmehr handele es sich bei In-Game-Wahlwerbung um eine Earned-Media-Strategie. "Es geht darum, durch so eine taktische Maßnahme bestimmte Zielgruppen zu erreichen und zu zeigen, wie innovativ der Wahlkampf ist und darüber in den klassischen Medien Berichterstattung zu generieren", erklärt Julius van de Laar. "In-Game-Werbung ist ein schönes Gimmick."
Wieviel Politik vertragen Videospiele?
Doch Werbung kann auch stören, das weiß jeder, der einen Film im Privatfernsehen schaut, bei YouTube auf ein Video wartet oder eine Internetseite aufruft und erst einmal ein Banner wegklicken muss. Gerade eine kleine, aber umso lautere Gruppe von Videospielern ist sehr empfindlich, wenn es um ihre Lieblingsbeschäftigung geht. Das zeigt sich immer wieder in Shitstorms, die durch die sozialen Medien ziehen, wenn Spielern die Darstellung ihrer Helden nicht gefällt: Spiele sollten bitte frei sein von LGBTQ-Charakteren, frei von Schwarzen Charakteren, wenn sie im europäischen Mittelalter spielen, sie sollten Kriegsverbrechen ignorieren und am besten völlig unpolitisch sein.
Bislang erfüllen die meisten Spielefirmen diese Wünsche: "Die großen Entertainment-Konzerne, die sowohl den Film- als auch den Videospielemarkt prägen, haben ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Politik", sagt der Kommunikationswissenschaftler Christoph Klimmt. "Im Zweifelsfall versuchen sie, sich rauszuhalten."
"In Games schlummert gewaltiges politisches Potenzial"
Politische Komplikationen und schwer verständliche politikbezogene Inhalte würden intuitiv eher als störend wahrgenommen und dann eben von den Spieleentwicklern weggelassen, meint Klimmt. "Ich weiß nicht, ob man damit das Publikum so gut bedient. Es ist aber so, dass die Menschen, die viel Zeit und Geld für Videospiele aufwenden, vor allen Dingen Interesse an intensiven Spielerfahrungen haben und weniger mit politischer Komplexität und Weltverbesserung genervt werden wollen."
Politik und Videospiele müssen sich trotzdem nicht ausschließen. Politische oder gesellschaftliche Botschaften elegant mit dem Unterhaltungswert eines Spiels zu verknüpfen, sei eine kreative Aufgabe, sagt Christoph Klimmt. "Wenn man sie gut löst, dann schlummert in dem Bereich ein gewaltiges politisches Potenzial."