Kunst aus Afrika
13. Februar 2013DW: Herr Professor Hassan, in den letzten Jahrzehnten ist das Interesse an zeitgenössischer afrikanischer Kunst in Europa stark gewachsen. Wie erklären Sie sich das?
Salah Hassan: Ich glaube, das liegt vor allem daran, dass die Bedingungen in Europa selbst sich verändert haben. Anders als viele Leute, die da eine sehr pessimistische Einschätzung haben, denke ich, dass es eine Offenheit gibt, besonders im Bereich der Kunst. Natürlich wurde die beeinflusst durch die Debatte über Multikulturalismus und geistige Offenheit. Aber ich glaube, ein anderer Faktor, der oft unterschätzt wird, ist die Stärke der afrikanischen Kunst selbst. Das ist eine sehr späte Entdeckung, aber die Arbeiten sprechen für sich.
Ich glaube insgesamt, dass Afrika eine neue Sichtbarkeit gewinnt. Denn der Bereich der Kunst, der Museen hat sich verändert. Das Interesse an den afrikanischen Arbeiten wurde auch deswegen größer, weil es eine verstärkte Forschung dazu gibt.
Würden Sie sagen, dass die afrikanische Kunst heute mit der westlichen Kunst kompatibler geworden ist?
Die afrikanische Kunst war immer stark. Man wusste nur nicht, dass es sie gab. Denn im westlichen Denken – zumindest bei den tonangebenden Museumsleuten – hielt man zeitgenössische afrikanische Kunst nur für eine zweitklassige Kopie europäischer Kunst. Es gab kein Verständnis dafür, dass die Verbindungen zwischen Europa und Afrika im Umfeld einer Ungleichheit stattgefunden haben, die mit dem Kolonialismus zusammenhängt. Das hat die Leute daran gehindert, die afrikanische Kultur wahrzunehmen – selbst dann, wenn sie vom Westen geprägt ist. Es gab immer neue Einflüsse, die aufgenommen, erneuert und verjüngt wurden. Die afrikanische Kunst hat sich immer verändert.
Bedeutet das denn, dass in Afrika eine neue Art von kosmopolitischer Kunst entsteht?
Die Kunst war immer kosmopolitisch. Die Definition von Kosmopolitismus ist ja nicht unbedingt an den Westen geknüpft. Es gab immer einen Austausch im Süden: es gab Verbindungen über den indischen Ozean, mit Indien und anderen Teilen Asiens und der Arabischen Welt. Aber es gab auch die Verbindung mit Europa – und die war schädlich. Einmal wegen des Kolonialismus, aber auch wegen des Kapitalismus, des globalen kapitalistischen Systems.
Aber wenn wir uns mit der Moderne befassen, mit zeitgenössischer Kunst oder Kosmopolitismus, dann müssen wir das als Austausch in zwei Richtungen betrachten – das ist mir wichtig.
Glauben Sie, dass es tatsächlich einen solchen wechselseitigen Austausch gibt?
Es gibt zwar eine Ungleichheit der Macht, aber ob es dem Westen passt oder nicht, es ist keine Einbahnstraße. Schauen Sie sich Berlin an oder Deutschland: Alle Leute reden davon, dass es da eine Kultur gibt, die sich nicht festlegen lässt. Ist sie jetzt rein deutsch oder ist sie europäisch? In Deutschland leben so viele Leute auf Zeit - oder als Migranten. Die deutsche Kultur hat doch einen langjährigen Kontakt zu den früheren Kolonien, zu Leuten aus Afrika. Oder zu Emigranten aus anderen Teilen der Welt, zum Beispiel aus der Türkei. Und davon wird die deutsche Kultur geformt.
Was ist deutsche Kultur? Das ist ein Amalgam aus all diesen Elementen, die im Dialog miteinander stehen. Egal ob es um Essen oder um Kunst geht. Auf jeden Fall wird das durch die Geschichte mitbestimmt. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen sich wirklich mal Gedanken darüber machen, was deutsche oder europäische Kultur tatsächlich ist. Denn sie ist für alle Zeiten verwoben mit dem Rest der Welt.
Der Kunsthistoriker Salah Hassan stammt aus dem Sudan. Seit den 1980er Jahren lebt er in den USA. Heute ist er Goldwyn Smith Professor, Direktor des Instituts für Vergleichende Moderne und Professor für Afrika-Studien an der Cornell University, Ithaca, New York.