Kamerun: Geschichte neu erzählen
26. Januar 2013Es führt eine Brücke über den Fluss Sanaga. Im Herzen Kameruns, auf dem Weg zwischen den Großstädten Douala und Yaoundé, haben die deutschen Kolonialherren eine Eisenbahnbrücke errichten lassen. Mehr als 100 Jahre ist das nun her, und sie steht immer noch. Dass eine Konstruktion derart langlebig ist, grenzt für viele Kameruner an ein Wunder. Die meisten, die heute diese Brücke passieren, sind stolz auf das Bauwerk. Für sie ist es noch immer ein Zeichen eines technischen wie ökonomischen Fortschritts - und ein Symbol für Qualität.
Eine Zuschreibung, die gerne auf Deutschland als solches übertragen wird – obwohl das Land von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg unter deutscher Kolonialherrschaft stand. Ausbeutung und Gewalt waren an der Tagesordnung. "Die Deutschen haben so viele Leute umgebracht, so viel zerstört und so viel Unmut verursacht, dass die Leute sie damals weitgehend zum Teufel wünschten", sagt der Kameruner Germanistik-Professor David Simo, der sich intensiv mit der Geschichte befasst hat.
Hinrichtung eines Königs
Heute leitet er das deutsch-afrikanische Wissenschaftszentrum in Yaoundé. 2012 gegründet, will es einen Beitrag zur Aufarbeitung der Vergangenheit leisten. Denn nicht nur in Deutschland wird dieser Teil der Geschichte weitgehend ausgeblendet. Selbst in Kamerun haben die meisten Menschen nur rudimentäre Vorstellungen von dieser Zeit. In den Schulen wird oft nicht viel mehr vermittelt als die traurige Geschichte des Königs Rudolf Duala Manga Bell. Der – übrigens in Deutschland ausgebildete – Jurist hatte zunächst noch mit der Kolonialmacht zusammengearbeitet. Doch später wandte er sich scharf gegen eine geplante Enteignungs- und Umsiedlungs-Aktion. Daraufhin wurde er von den Deutschen erhängt.
Bis heute erinnert daran nur eine unscheinbare kleine Tafel am Ort seiner Hinrichtung in Douala - symptomatisch für die Marginalisierung der Geschichte. "Diejenigen, die das noch erlebt haben, hatten in ihren letzten Lebensjahren eine verklärte Beziehung zu dieser Zeit", sagt Simo. "Es geht um ihre Jugend, ihre Kindheit. Die schlechten Erfahrungen werden weitgehend getilgt, und es bleiben jene Momente, die daraus eine idyllische Zeit machen." Dazu kommt, dass während der französischen Herrschaft (1919-1960) die deutsche systematisch verdrängt werden sollte: "Es war fast verboten für Kameruner, überhaupt die deutsche Kolonialzeit zu erwähnen", sagt Simo. "Da ist eine Tradition entstanden, diese Zeit zu erwähnen, nur um die Franzosen zu ärgern - und in dieser Absicht erwähnt man nur positive Momente."
Geschichte glorifiziert
Heute beruht das gute Image der Deutschen vor allem auf dem Vergleich mit anderen europäischen Ländern, meint der Politikwissenschaftler Jean-Emmanuel Pondi, Professor an der Universität Yaoundé I. Besonders die nach wie vor starke Präsenz Frankreichs empfinden viele Kameruner als negativ. "Das führt dazu, dass man glaubt, die Vergangenheit wäre besser gewesen als die Gegenwart. Die heutige Generation erlebt die Performance Deutschlands ziemlich positiv, mit seiner Technologie, seiner Industrie. Ich glaube, dass sich Deutschland als Schwergewicht Europas positioniert."
Doch aus deutscher Sicht ist es schwer nachvollziehbar, wenn aus dem geschönten Image ein verklärtes Geschichtsbild entsteht. "Ich habe Schwierigkeiten, wenn Kameruner mit glorifizierenden Ideen der deutschen Kolonialzeit kommen", sagt Uwe Jung, Bibliotheksleiter am Goethe-Institut Yaoundé. "Man trifft immer wieder Leute, die sagen, hey, die Deutschen waren so toll. Ich versuche dann für Aufklärung zu sorgen und sage, dass es viele Dinge gibt, auf die man nicht stolz sein kann. Man muss vielleicht diese ganze Kolonialzeit noch mal neu bewerten, da ist vieles noch nicht geschehen."
Quellen und Bilder
Für ihn bedeutet das vor allem: Informationen, Wissen und Meinungen zusammenzubringen. "Leute, die sich für die gemeinsame Geschichte interessieren, sind eine wichtige Zielgruppe für unsere Bibliothek. Menschen, die sich für ihre Wurzeln interessieren, die etwas über ihre Großeltern erfahren wollen oder auch über ihre Kirche, die damals gegründet wurde." Das Goethe-Institut stellt Informationen zur Verfügung – darunter wissenschaftliche Texte aus Bibliotheken in Deutschland, die sich per Internet beschaffen lassen. Unterstützung leistet "Goethe" auch beim Quellenstudium. Viele Dokumente sind auf Deutsch verfasst, häufig in Kurrent, einer alten Schriftart, die heute kaum noch jemand lesen kann. "Dann sind wir da", sagt Uwe Jung. "Häufig kommen Leute mit einem alten Dokument, dann übersetzen wir die Schrift."
Doch bei "Goethe" geht man noch einen Schritt weiter. Gemeinsam mit einer kamerunischen Doktorandin wurde eine Fotoausstellung aus Bildern des Kolonialarchivs erarbeitet, die anderthalb Jahre lang durch Schulen tourte. "Ich denke, das war die bestbesuchte nicht-kommerzielle Ausstellung der letzten Jahre in Kamerun. Wir haben insgesamt 15.000 Besucher gehabt, die sich die Bilder angeschaut haben".
Eigene Verantwortung
Doch solche Unternehmungen erfordern Sensibilität und Augenmaß. "Hilfe" aus Deutschland stößt schnell auf Skepsis. Das gilt auch für die Forschung, stellt David Simo klar: "Finanzielle Unterstützung brauchen wir schon. Auch die Mitarbeit des einen oder anderen deutschen Kollegen kann sich als nützlich erweisen. Aber wir meinen imstande zu sein, so ein Projekt eigenständig durchzuführen." Noch deutlicher wird Jean-Emmanuel Pondi – und appelliert an die kamerunische wie an die deutsche Seite: "Ich glaube nicht, dass es gut wäre, uns Vorschläge zu machen. Es ist an der Zeit, dass wir unsere eigene Verantwortung übernehmen. Nicht indem man uns eine Hand reicht. Nein! Wir können selbst etwas tun! Der deutsche Anteil daran muss sein, den Mut zu haben, uns unserer eigenen Verantwortung zu überlassen. Das ist alles!"