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Alterndes Vaterland

Sabine Kinkartz26. August 2006

In Deutschland werden nach Schätzungen im Jahr 2050 etwa fünf Millionen Menschen weniger leben als heute. Dieser Bevölkerungsschwund wird sich unmittelbar auf die Lebensverhältnisse aller auswirken.

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Die deutsche Bevölkerung schrumpft und vergreist.Bild: picture-alliance/ dpa

In Ostdeutschland spürt man die negative demographische Entwicklung bereits heute. Denn zum allgemeinen Geburtenrückgang kommt dort noch hinzu, dass Menschen wegen fehlender Arbeitsplätze abwandern. Beispiel Sachsen: Nach der Wende lebten dort rund fünf Millionen Menschen, heute sind es noch 4,3 Millionen, im Jahr 2020 sollen es nur noch 3,7 Millionen sein. Das wäre ein Minus von insgesamt 25 Prozent. Der Exodus trifft vor allem kleine Städte und ländliche Gebiete.

Für die Politik zieht die Abwanderung unmittelbare Konsequenzen nach sich. Wolfgang Tiefensee, der frühere Oberbürgermeister von Leipzig und heutiger Bundesbauminister meint, dass die im Grundgesetz verankerte Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse flexibler ausgelegt werden müsse, um nicht gänzlich aus den Fugen zu geraten. "Das Grundgesetz besagt, dass wir in der Relation ländlicher Raum zur Kleinstadt, mittleren Stadt oder Großstadt dafür sorgen müssen, dass auch im ländlichen Raum die Lebensqualität erhalten bleibt. Das bedeutet aber zum Beispiel nicht, dass wir in Zukunft überall sämtliche Institutionen aufrecht erhalten müssen."

Rathaus auf Rädern

Weniger Einwohner bringen den Kommunen auch weniger Einnahmen über Steuern und Abgaben. Dadurch gerät bei stark abnehmender Einwohnerzahl die Finanzierung der gewohnten Infrastruktur automatisch ins Wanken. Was also wird aus kommunalen Gebäuden, aus Schulen, Schwimmbädern und Bibliotheken, aus den Strassen, Wasser- und Stromleitungen oder gar der Kanalisation? Die Lösung des Problems dürfe laut Georg Milbradt, dem sächsischen Ministerpräsidenten jedenfalls nicht in einer erhöhten Kreditaufnahme liegen: Dies könne sich eine schrumpfende Gesellschaft schlichtweg nicht leisten. "Stattdessen müssten wir unsere bereits bestehenden Schulden in dem Maße tilgen, wie wir weniger Personen werden. Damit zumindest die Pro-Kopf-Belastung gleich bleibt. Aber selbst davon sind wir meilenweit entfernt."

Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse nicht mehr garantiert

Plattenbau Abriss in Stralsunder Wohngebiet
Abriss mangels Nachfrage: leer stehendes Wohngebiet in Mecklenburg-VorpommernBild: dpa - Report

Angesichts der finanziellen Herausforderungen erscheint es Milbradt deshalb unmöglich, in Zukunft landesweit identische Lebensverhältnisse zu erhalten. Die Menschen in den ländlichen Gebieten müssten sich auf rollende Rathäuser, Anrufbusse und Sammeltaxis oder auch Gemeindeschwestern statt Ärzten einrichten. Die Schüler müssten in Zukunft weitere Schulwege in Kauf nehmen. In Sachsen hat die Landesregierung in einigen Regionen bereits damit begonnen, leer stehende Wohnungen abzureißen, weil sie schlichtweg nicht mehr gebraucht werden. Bis zum Jahr 2015 sollen laut Milbradt insgesamt 250.000 überflüssige Wohnungen vom Markt genommen werden, da die Generation, die Familien bildet und Wohnraum nachfragt, bis dahin deutlich niedriger sein werde. "Wenn wir nichts unternehmen würden, würde das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage völlig aus dem Ruder geraten, und bald darauf wäre ein großer Teil der privaten und gewerblichen Wohnungseigentümer ruiniert."

Produktiven Lebensabschnitt verlängern

Der Abriss wird von der Bundesregierung finanziell unterstützt. Für Ostdeutschland wurde ein eigenes Stadtumbau-Programm aufgelegt, wofür bis 2009 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Für Westdeutschland gibt es ein eigenes Städtebauförderungsprogramm, das bis 2009 auf jährlich 86 Millionen Euro aufgestockt werden soll. Hinzu kommen jährlich 110 Millionen Euro für das bundesweite Programm "Soziale Stadt". Dabei steht das seniorengerechte und generationenübergreifende Wohnen im Mittelpunkt. Denn Deutschland schrumpft nicht nur, es wird auch älter - auch darauf muss sich der Staat einstellen. Laut Milbradt müsse aber dringend auch gesellschaftspolitisch umgedacht werden. "Wenn wir alle älter und weniger werden, dann muss man die Ressource Mensch besser ausnutzen als bisher. Die bisherige Entwicklung in der Wirtschaft läuft ja so, dass nur die Jungen als die Träger der Innovation gelten. Wenn nun aber die jungen Menschen wegbleiben, müssen wir eben mehr auf die Senioren setzen."

Noch spricht der Trend eine andere Sprache, denn die Menschen scheiden immer früher aus gesellschaftlichen Funktions- und Verantwortungsbereichen aus. In vielen Betrieben gibt es kaum Beschäftigte über 50 Jahre. Eine Entwicklung, die sich in den nächsten fünfzehn Jahren allerdings umkehren wird - und zwar spätestens dann, wenn der Fachkräftemangel in Deutschland für die Unternehmen existentiell wird.