Alterspyramide steht Kopf
29. April 2002Ohne Zuwanderung wird die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2050 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes von derzeit über 80 auf nur noch 60 Millionen sinken. Vorhergesagt werden einschneidende Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, vor allem aber auf die Sozialversicherungssysteme. Denn immer weniger Menschen zahlen Beiträge in die Kranken- oder Rentenversicherung, aber immer mehr erhalten Leistungen.
Politik muss handeln
Dieser demographische Wandel führe zwar zu gravierenden Veränderungen, sei aber keine Katastrophe - wenn die deutsche Politik jetzt zu handeln beginne. So geht es aus dem Schlussbericht der Bundestags-Enquete-Kommission "Demographischer Wandel" hervor, die nach zehnjähriger Arbeit ihre Analysen und Empfehlungen auf einer Pressekonferenz in Berlin vorlegte.
Die Kommissionsmitglieder - Politiker aller im Parlament vertretenen Parteien - dämpften gleich zu hohe Erwartungen: Der Bericht enthalte keine Patentlösungen, sagte der Sozialdemokrat Arne Fuhrmann, und werde mit absoluter Sicherheit vor den Bundestagswahlen im September keine große Rolle mehr spielen.
Dampfer auf Kollisionskurs
Danach aber werde die Politik wohl handeln müssen, um Deutschland für die Zukunft fit zu machen, sagte Fuhrmann: "Deutschland ist wie ein Dampfer: Dieser Dampfer fährt seit vielen Jahren in eine Richtung, und wenn sie irgendwo eine Hürde sehen und nicht rechtzeitig das Steuer umlegen, dann rammen sie voll dagegen."
Um Fehlsteuerungen zu vermeiden, empfiehlt die Kommission vor allem, das Älterwerden der Deutschen zu "nutzen". Beispielsweise auf dem Arbeitsmarkt. Hier seien in der Vergangenheit Fehler gemacht worden, räumte der CDU-Politiker Walter Link ein. Mit staatlichen Zuschüssen seien zu viele ältere Arbeitnehmer in den Frühruhestand geschickt worden, deren Kenntnisse und Erfahrungen heute fehlten: "Wir hatten damit gerechnet, dass man dann mehr junge Leute einstellen würde. Das ist nicht passiert - und darum muss jetzt damit begonnen werden, hier wieder umzudenken." Die Kommission empfiehlt deshalb ein kontinuierliches Lernen auch für ältere Arbeitnehmer.
Ältere und Frauen in den Arbeitsprozess eingliedern
Die Kommission plädiert auch dafür, das durchschnittliche Renteneintrittsalter von heute etwa 59 allmählich auf 65 zu erhöhen. Die sozialrechtlichen Anreize für die Frühverrentung sollten schrittweise abgebaut werden
Wichtig sei außerdem, dass auch mehr Frauen trotz Familie und Kinder arbeiten könnten, sagte die Grünen-Politikerin Irmingard Schewe-Gerigk. Hier seien unter anderem flexiblere Arbeitszeiten gefragt. Deutschland brauche mehr Kinderbetreuungseinrichtungen und Ganztagsschulen: "Wir wissen, dass in Ländern mit einer hohen Frauenerwerbsquote die Geburtenrate höher ist. Bei uns beträgt sie nur 1,3. In Schweden und in anderen Ländern liegt sie bei 1,7 bis 1,9."
Die Kommissionmitglieder selbst sagen, ihr Bericht berühre "unpopuläre Fragen". Dennoch müsse er Grundlage für das Handeln der deutschen Politik in den nächsten Jahren sein. Um die Dringlichkeit ihrer Forderungen zu untermalen, gab die Kommission schon einmal einen Ausblick auf die Lebenserwartung im Jahr 2050: Frauen sollen dann durchschnittlich ein Alter von 85 Jahren erreichen, Männer von 80.