Es wird eng für Flüchtlinge im Libanon
13. Mai 2018Von Beirut nach Tyros im Süden des Libanon sind es rund 75 Kilometer. Die Straße führt an beliebten Stränden vorbei, an Palmen und großen Obstplantagen. Kurz vor dem Stadtzentrum von Tyros, wenige Kilometer von der Idylle entfernt, liegt Shabriha, eine informelle Siedlung palästinensischer Flüchtlinge im Libanon. Der Weg dorthin ist holprig, am Straßenrand liegt Müll. Bei Regen stehen manche Straßen knöcheltief unter Wasser. Nicht zu übersehen ist das Gemeindezentrum mit Sport- und Spielplatz. Hier werden Erste-Hilfe-Kurse, Computerkurse und verschiedene kulturelle und Aufklärungsworkshops angeboten. Ein Zaun grenz das Gelände ein.
Bereits von weitem sind die Stimmen von Kindern zu hören: Die einen feuern sich gegenseitig beim Sackhüpfen an, während ihre Eltern im Schatten sitzen und sich unterhalten. Andere Jungen und Mädchen trainieren gemeinsam in der neu gegründeten Fußballmannschaft. "Ich komme gerne hier hin. Hier halten wir alle zusammen", sagt ein elfjähriges Mädchen und läuft zurück zur Mannschaft.
Das Gemeindezentrum ist ein Ort der Begegnung geworden: Dort treffen sich Palästinenser aus dem Libanon, Palästinenser und Syrer, die aus Syrien fliehen mussten und Libanesen. Dass sie so heute unbeschwert zusammensitzen, war nicht immer der Fall. "Als wir vor sechs Jahren aus Syrien gekommen sind, haben wir uns lange fremd gefühlt", sagt eine junge Frau, die ihren Namen nicht nennen will. "Langsam wird es besser."
Shabriha ist eine von 42 informellen Siedlungen, die außerhalb der zwölf anerkannten palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon liegen. Lange haben die rund 2800 palästinensischen Flüchtlinge unter sich gelebt, heute behergt der kleine Ort etwa die doppelte Anzahl Bewohner. Viele syrische Flüchtlinge, oft mit palästinensischen Wurzeln, sind dazu gekommen, weil die Mieten niedrig sind. Viele von ihnen sind dem berüchtigten Stadtteil Jarmuk bei Damaskus entkommen, dessen Einwohner monatelang von der syrischen Armee ausgehungert und vom sogenannten "Islamischen Staat" terrorisiert wurden.
Flüchtlinge helfen Flüchtlingen
"Als die Menschen aus Syrien in Shabriha ankamen, waren die Einwohner sehr hilfsbereit", sagt Fadia Dahsche, Projektmanagerin bei PARD, Popular Aid for Relief and Development. Die Nichtregierungsorganisation veranstaltet viele der Workshops im Gemeindezentrum, das vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland und Japan aufgebaut wurde. "Die Menschen hier haben sich an ihre Nakba erinnert gefühlt, an die Katastrophe vor 70 Jahren, als sie vertrieben wurden oder fliehen mussten aus Palästina", sagt sie. Flüchtlinge halfen Flüchtlingen.
Wie in fast allen Gegenden im Libanon, in denen sich palästinensische Flüchtlinge niederlassen durften, ist der Wohnraum begrenzt und oft runtergekommen. So auch in Shabriha. Doch die Bevölkerung in Shabriha rückte zusammen, teilte, was es zu teilen gab, sagt Fadia Dahsche.
Während die offiziellen palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon dem Flüchtlingshilfwerk der UN für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) unterstehen, sind die informellen Siedlungen eigentlich an libanesische Gemeinden angeschlossen. Dort darf die UNRWA nur Bildung und Gesundheit der Palästina-Flüchtlinge sicherstellen.
Keine Jobs, keine Wohnungen, kein Strom, keine Müllabfuhr
Der Zuzug der neuen Bewohner hat die zuständige libanesische Gemeinde in Abbasiyeh nicht dazu bewogen, in die Infrastruktur von Shabriha zu investieren. Das ist kein Einzelfall: Zum einen hätten die Kommunen zu wenig Geld. Zum anderen könnten Politiker von den Flüchtlingen keine Wählerstimmen erwarten, da sie nicht wahlberechtigt sind, sagt Sheeraz Moujally vom UNDP. "Außerdem wollen die Gemeinden den informellen Charakter der Siedlungen nicht zusätzlich stärken."
Weil es aber von allem zu wenig gibt, ist unter den Flüchtlingen Konkurrenz entstanden - um Wohnraum und um Jobs. So konnten die Arbeitgeber die Gehälter für Tagelöhner plötzlich noch weiter drücken. Und die ohnehin überlastete Infrastruktur des Ortes litt unter der erhöhten Einwohnerzahl noch mehr. Es gab mehr Müll, den keiner abholte, noch weniger Strom als sonst, und auch der Wohnraum wurde knapper. Nur der Unmut stieg.
Die Lage der Palästinenser im Libanon war bereits vor dem Syrien-Krieg verzwickt. Ihre Rechte sind bis heute eingeschränkt, obwohl sie schon in dritter und vierter Generation im Libanon leben. Sie vererben ihren Flüchtlingsstatus und dürfen weder Land noch Immobilien besitzen. Akademische Berufe wie Arzt, Anwalt oder Ingenieur dürfen sie nicht ergreifen, und wenn sie Arbeit haben, verdienen sie nur einen Bruchteil von dem, was Libanesen bekommen. Auch Syrern sind viele Berufszweige im Libanon verschlossen. Und sie sind die Sündenböcke für alles, was im Libanon schief läuft.
Palästinenser im Libanon - rechtlos und vergessen
Durch den Zuzug der syrischen Flüchtlinge haben viele Palästinenser das Gefühl, noch mehr in Vergessenheit zu geraten. Die Aufmerksamkeit der Welt richte sich auf die Flüchtlinge aus Syrien, klagen viele Palästinenser im Libanon. Klar, für die Syrer sei es gerade eine schlimme Zeit - aber irgendwann könnten sie zurückkehren. Für die Palästinenser dagegen sei es gelaufen. Sie könnten ihre Heimat nicht einmal besuchen. Stattdessen fordere man sie auf, die wenigen Dinge, die sie hätten, zu teilen.
Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) hat mehrmals vorgeschlagen, Aufnahmelager für syrische Flüchtlinge zu errichten, doch die Regierung in Beirut hat sich jedes Mal dagegen gesträubt. Sie will keine festen Strukturen für noch mehr Flüchtlinge schaffen - und sie ist überfordert. Offiziellen Angaben zufolge leben insgesamt 450.000 Palästinenser und über 1,5 Millionen Syrer im Libanon, einem Land mit etwas über sechs Millionen Einwohnern.
Um dieser Missstimmung entgegenzuwirken, arbeitet UNDP bereits seit 2013 an der Verbesserung der Lebensumstände in den informellen Siedlungen, so auch in Shabriha: Ein Abwassersystem wird installiert, die Häuser saniert, die Straßen verbessert. 75.000 Palästinenser im Libanon sollen in informellen Siedlungen leben, dazu kommen 30.000 Palästinenser aus Syrien und 5.000 Syrer.
Aus Fremden werden Freunde
Das Gemeindezentrum in Shabriha ist das jüngste Projekt des UNDP. Man habe die libanesische Gemeinde davon überzeugen können, ein Stück Land zur Verfügung zu stellen, sagt Moujally vom UNDP. Die Kommune hat mittlerweile eingesehen, dass sie weiteren Konflikten entgegenwirken muss. Probleme hat der Libanon auch so genug.
In den Workshops des Gemeindezentrums können sich die Menschen kennenlernen. "Das schafft eine Nähe und baut Vorurteile ab", sagt Fadia Dahsche von PARD. Manchmal tauschten die Frauen Rezepte aus und erzählten von ihrem Leben. Das sei richtig schön zu sehen. Und wenn die Kinder sich außerhalb des Gemeindezentrums begegneten, sähen sie in dem anderen nur noch ihren Freund vom Fußball: "Alles andere spielt dann keine Rolle mehr."