Die zwei Deutschlands
24. Juni 2014Rund zwei Billionen Euro sind seit der Wiedervereinigung von Westdeutschland nach Ostdeutschland geflossen - Geld, das die wirtschaftliche Situation in beiden Teilen Deutschlands angleichen sollte. Die Bilanz nach einem Vierteljahrhundert lautet dennoch: "Eigentlich gibt es nicht einen Standort Deutschland, sondern zwei."
Das sagt jedenfalls Gerald Braun vom Hanseatischen Institut für Regionalentwicklung und Unternehmertum an der Universität Rostock. Er hat einen Atlas Industrialisierung in Ostdeutschland herausgegeben, der die wichtigsten Wirtschaftsdaten in Karten abbildet. Ob es um die Arbeitsproduktivität geht oder um das Bruttoinlandsprodukt, überall verläuft die Grenze zwischen wirtschaftlich starken und wirtschaftlich schwachen Regionen entlang der ehemaligen Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR. Die Gründe dafür seien auch in einer falschen Förderpolitik nach der Wende zu suchen, sagt Braun. "Wir haben angefangen mit dem Ausbau der Infrastruktur, aber damit schaffen Sie nur die Hardware, nicht den Motor der Entwicklung." Vernachlässigt worden sei dagegen die Förderung von unternehmerischen Initiativen.
Bis heute könne man an seinen Karten sehen, dass viele Konzerne nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Zentralen und Produktion aus der sowjetischen Zone in die Westzonen verlegt haben, sagt Braun. Nach der Wiedervereinigung dann wurde die großteils marode ostdeutsche Industrie durch die Treuhandanstalt vor allem an westdeutsche Unternehmen verkauft. Viele Fabriken mussten schließen, es fand eine weitgehende Deindustrialisierung statt. Dort, wo Unternehmen überlebten wurden sie Teil westdeutscher Konzerne. Die Folge bis heute: Auf der Karte der Konzernzentralen ist Ostdeutschland kaum entwickelt. Deshalb findet Forschung und Entwicklung der deutschen Unternehmen vor allem in den Zentralen im Westen statt. Auch Zulieferindustrien siedeln sich eher in der Nähe des Hauptsitzes an. Der ostdeutschen Industrie fehlen also entscheidende Wachstumsfaktoren. "Nach der Wiedervereinigung sind entscheidende politische Fehler gemacht worden", sagt Iris Gleicke (SPD), die Ostbeauftragte im Wirtschaftsministerium, die den Atlas in Auftrag gegeben hat.
Ihre Aufgabe sieht die neue Beauftragte vor allem in der Förderung derjenigen Unternehmen, die sich in den vergangenen Jahren im Osten gebildet haben. Vor allem im Süden Ostdeutschlands seien in den letzten Jahren auch leistungsfähige Unternehmensgruppen entstanden. Seit 2005 sei das produzierende Gewerbe in den neuen Bundesländern um fünf Prozent gewachsen. "Wir brauchen eine auf Ostdeutschland ausgerichtete Industriepolitik", sagt Gleicke. "Wir müssen gezielt dahin gehen, wo schon Wachstumskerne sind." Sie kündigte an, sich besonders um Kredite für junge Unternehmen, um Innovationsförderung und die Unterstützung ostdeutscher Unternehmen beim Export bemühen zu wollen. Kritik an ihren Plänen kommt aus der Linkspartei. "Im aktuellen Bundeshaushalt spiegeln sich ihre Bemühungen leider nicht wieder", sagt deren Sprecher für die neuen Bundesländer, Roland Claus. "Die Investitionsquote sinkt weiter und der Osten fällt erneut hinten runter."