"Der Zölibat führt nicht zum Missbrauch"
26. Februar 2019Deutsche Welle: Am Sonntag ging in Vatikan die Konferenz zum Schutz der Minderjährigen in der Kirche zu Ende. Was ist für Sie das wichtigste Ergebnis dieses Treffens des Papstes mit Vorsitzenden der Bischofskonferenzen und Ordensoberen aus aller Welt?
Hans Zollner: Das Wichtigste für mich ist, dass die ganze Führungsebene der Kirche entschlossen ist, das Thema des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen in der Kirche ernst zu nehmen, auf die Prioritätenliste ganz oben zu setzen und entsprechend zu handeln.
Die Opfer sind aber skeptisch, inwiefern das auf lokaler Ebene tatsächlich umgesetzt wird.
Wir sind nicht am Anfang einer Entwicklung, sondern in vielen Gegenden greifen bereits Präventionsmaßnahmen: in Deutschland, im ganzen zentraleuropäischen Raum. In Nordamerika ist die Arbeit sehr weit fortgeschritten. Das kann man alles natürlich immer noch sehr viel besser machen. Aber wir sind da auf einem ganz guten Standard. In vielen anderen Gegenden der Welt ist das Thema jetzt auch allmählich angekommen, und die Kirchen dort brauchen Unterstützung, um das, was in anderen Gegenden der Welt praktiziert wird, auch tatsächlich zu implementieren.
Sie haben öffentlich von der Notwendigkeit gesprochen, die "systemischen Wurzeln" des Missbrauchs unter die Lupe zu nehmen. Was müsste geändert werden?
Systemisch heißt in dem Fall: Welche Arten von institutionellen Sicherungsmechanismen gibt es, damit überprüft werden kann? Was macht eine Bischofskonferenz, wenn sie ihre Leitlinien zur Prävention neu geschrieben hat? Wie werden diese implementiert? Welche Art von Sanktionen gibt es wenn man sich nicht daran hält? Was passiert, wenn das Kirchenrecht ignoriert wird? Die Möglichkeit eines lokalen Bischofs, einem anderen etwas vorzuschreiben oder ihn zur Rechenschaft zu ziehen, ist tatsächlich nicht existent. Deshalb brauchen wir Klärung, welche Struktur auf welcher Ebene eingreifen kann, wenn man merkt, dass die vom Kirchenrecht vorgeschriebenen Dinge nicht eingehalten werden.
Würde nicht etwa die Abschaffung des Pflichtzölibats helfen? In dem Bericht, der letztes Jahr von der Deutschen Bischofskonferenz vorgestellt wurde, heißt es, dass das Pflichtzölibat der Priester ein Faktor sei, der Missbrauch begünstigen kann.
Aber in dem Bericht steht auch drin, dass der Zölibat nicht eo ipso zum Missbrauch führt. Insofern ist das selbst in dem Bericht nicht eindeutig. Wenn man in andere Berichte schaut, die in den USA, Australien oder sonstwo von Regierungen im Auftrag gegeben wurden, dort heißt es: Der Zölibat führt nicht zum Missbrauch.
Dass ein zölibatär Lebender im Lauf der Zeit zu einem Risikofaktor für Missbrauch, aber nicht nur vom Missbrauch von Jugendlichen, sondern auch von Alkohol oder von sonstwas werden kann, ist eine andere Sache. Dazu braucht es eine andere Art vom Vorgehen. Zu erwarten, dass durch die Aufhebung des Zölibats der Missbrauch ein für allemal verschwindet, ist sehr falsch - vor allem auch wenn man in die Gesellschaft und in die anderen Religionen hineinschaut. Wir haben kürzlich einen Bericht über The Baptist Church in den USA gesehen. Dort haben in den letzten 20 Jahren Pastoren rund 700 Kinder und Jugendliche missbraucht. Und die sind alle verheiratet.
Was muss man also in der Kirche beachten, damit diese abscheulichen Verbrechen sich nicht wiederholen?
Das Wichtigste ist dasselbe wie in jeder menschlichen Beziehung: dass man in dem Fall die Machtposition eines Priesters und sein Alter gegenüber einem Kind oder Jugendlichen nicht ausnutzt. Klar ist, dass ein Priester eine besondere Verantwortung hat, diejenigen zu schützen und zu respektieren und ihre Würde zu achten, die auch am meisten verwundbar sind.
Das Gespräch führte Bartosz Dudek
Der deutsche Jesuitenpater Hans Zollner (53) lehrt Psychologie an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom. Er gilt als einer der führenden kirchlichen Fachleute auf dem Gebiet des Sexuellen Missbrauchs in der römisch-katholischen Kirche. Seit 2014 ist er Mitglied der Päpstlichen Kommission für den Schutz von Minderjährigen und Leiter des Centre for Child Protection (CCP) mit Sitz in Rom.