Yuzuru Hanyu jagt den vierfachen Axel
10. Februar 2022"Die olympische Bühne ist ein riesiger Wettbewerb, und das macht mich nervös", sagte Yuzuru Hanyu Anfang der Woche gegenüber Reportern. Nervosität ist bekanntlich kein guter Begleiter. Und so blieb eine geplante Weltpremiere für Japans Eiskunstlauf-Superstar aus.
Die Goldmedaille sicherte sich Nathan Chen. Dank einer nahezu fehlerfreien Kür wurde der dreimalige Weltmeister aus den USA Olympiasieger im Eiskunstlauf. Mit der Weltrekordzahl von 332,60 Punkten verwies der 22-Jährige die Japaner Yuma Kagiyama und Shoma Uno auf die Plätze zwei und drei.
Für Hanyu hingegen, nur Achter nach dem Kurzprogramm, endete die Konkurrenz mit einer Enttäuschung. Der Olympiasieger von 2014 und 2018 verpatzte die geplante Weltpremiere des vierfachen Axel und kam zu Fall. Nach einem weiteren Sturz beim vierfachen Salchow hatte der 27-Jährige auch keine Chance mehr, auf einen Medaillenrang vorzurücken. Am Ende landete Hanyu auf dem undankbaren vierten Platz.
Der Japaner wollte mit dem Vierfach-Axel Geschichte schreiben. Es ist der einzige Vierfachsprung, der noch nie in einem Wettbewerb gestanden wurde. Hanyu war der "Königssprung" auch im Training in Peking nicht gelungen. Doch nach seinem verpatzten Kurzprogramm hatte er nichts mehr zu verlieren.
"Er will der Erste sein und dadurch zur Legende werden. Er will der Eiskunstläufer sein, der den schwierigsten aller Sprünge bei Olympia gestanden hat," sagt Jackie Wong, Eiskunstlauf-Expertin und Betreiberin des Internetportals "rockerskating.com", der DW. "Niemand hat das jemals geschafft. Und es ist sehr unwahrscheinlich, dass es bald jemandem gelingen wird."
15-Jährige zeigt Vierfachsprung
Bei diesen Olympischen Spielen geht es im Eiskunstlauf offenbar darum, das Unmögliche zu wagen. Olympiasieger Nathan Chen hat mit seinem Punkte-Rekord Geschichte geschrieben. Das Gleiche gilt für die erst 15 Jahre alte Russin Kamila Valieva, die in ihrer Kür am Montag den ersten Vierfachsprung einer Läuferin überhaupt zeigte und Gold mit dem russischen Team gewann.
Im Eiskunstlauf gibt es sechs verschiedene Sprünge: Axel, Flip, Toeloop, Lutz, Rittberger und Salchow. Je nach der Zahl der Drehungen werden sie als einfach, zweifach, dreifach und vierfach bezeichnet. Der Axel gilt als schwierigster Sprung, weil er der einzige ist, bei dem vorwärts laufend abgesprungen wird. So fällt es schwerer, Schwung aufzunehmen, als in der Rückwärtsbewegung.
Einst galten Dreifachsprünge als Maß aller Dinge, heute sind sie Standard, nicht nur in der Weltspitze. "Man ist nicht ansatzweise wettbewerbsfähig ohne Dreifachsprünge. Nicht einmal auf nationaler Ebene", erklärt Jackie Wong. Bei den Männern seien Vierfachsprünge in der Weltspitze unerlässlich: "Alle Top-Jungs machen mindestens einen Vierfachsprung pro Wettbewerb."
Immer weiter
2018 schrieb Nathan Chen Geschichte, als er sechs Vierfachsprünge in einer Kür zeigte. Das brachte dem US-Amerikaner seinen Spitznamen "Quad King" ein, Vierfach-König. Doch eigentlich begann dieser Trend schon viel früher. "Tatsächlich ging es schon 2012 mit Patrick Chan los [der Kanadier wurde dreimal Weltmeister - Anm. d. Red.]", sagt Wong. "Er war der Erste, der die spektakulären Vierfachsprünge und die Schlittschuh-Basics in Einklang brachte und beides perfekt beherrschte. Das unterschied ihn von den anderen." Der US-Amerikaner Chen habe die Technik dann perfektioniert und den Eiskunstlauf in den vergangenen fünf Jahren mit verschiedensten Vierfachsprüngen "revolutioniert", so Wong. "Ich liebe das, was ich tue. Meine Elemente, meine Programme, einfach mein Bestes zu geben und es zu genießen", sagte Chen der DW.
Nicht alle sind von der "Vierfach-Revolution" begeistert. Gerade bei den Frauen regt sich Kritik. Tara Lipinski, Olympiasiegerin in Nagano 1998, inzwischen Expertin beim US-Sender NBC, fragt sich, ob Vierfachsprünge wirklich zum Standard in einem Sport gehören sollten, bei dem bisher auch das Künstlerische eine große Rolle gespielt hat. "Wenn es so weiter geht, wird es für Läuferinnen, die keine Vierfachsprünge beherrschen, bald unmöglich sein, um Medaillen zu konkurrieren", sagt Lipinski. "Ich frage mich, wie unter diesen Umständen das Gleichgewicht zwischen Technik und Kunst, das den Sport ausmacht, erhalten bleiben soll."
Auf den ersten gestandenen Vierfach-Axel wird man wohl noch eine Weile warten müssen. "Ich habe das Gefühl, dass dies der beste Vierfach-Axel war, den der Yuzuru Hanyu von heute schaffen konnte", sagte der Japaner nach dem Wettkampf. "Gegen Ende dachte ich: Ah, so fühlt es sich an. Aber die Landung ist immer noch schwierig." Er sei sich nicht sicher, ob er den Vierfach-Axel noch einmal versuchen wolle, so Hanyu. Er habe zu viel Stolz in den Sprung gesteckt.
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.