World Holocaust Forum: "Nie wieder!"
23. Januar 2020Sieben Gestalten, in Bronze gegossen. Mut und Verzweiflung sprechen aus den Gesichtern. Die Skulptur erinnert an die Helden des Aufstands der Juden gegen die deutschen Besatzer im Warschauer Ghetto 1943. Vor einer roten Backsteinmauer steht sie in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem.
Yad Vashem – Hebräisch für: ein Denkmal und ein Name. Das will die Gedenkstätte für die sechs Millionen im Holocaust ermordeten Juden sein. Sie erzählt ihre Geschichten, nennt ihre Namen, erinnert an sie. "Vor diesem Denkmal stehe auch ich als Mensch - und als Deutscher", sagt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Es ist das erste Mal, dass ein deutsches Staatsoberhaupt hier spricht. Steinmeier hält seine Rede auf Englisch, wählt also nicht die Sprache, in der die Befehle zur Ermordung der Juden Europas gegeben wurden.
Steinmeier "erfüllt von Dankbarkeit"
"75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz stehe ich als deutscher Präsident vor Ihnen allen, beladen mit großer historischer Schuld", sagt Steinmeier, hinter ihm die Helden des Warschauer Aufstands in Bronze, vor ihm Staatschefs aus aller Welt, israelische Regierungsvertreter – und etwa 100 Holocaust-Überlebende.
Er sei erfüllt von Dankbarkeit, sagt Steinmeier. "Für die ausgestreckte Hand der Überlebenden, für das neue Vertrauen von Menschen in Israel und der ganzen Welt, für das wieder erblühte jüdische Leben in Deutschland."
Steinmeier ist einer von mehr als 40 Staats- und Regierungschefs, die zum fünften Holocaust-Forum nach Israel gekommen sind. Darunter der russische Präsident Wladimir Putin, Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und US-Vizepräsident Mike Pence. Eingeladen haben die Stiftung World Holocaust Forum gemeinsam mit Yad Vashem und dem israelischen Präsidenten Reuven Rivlin.
Ihr Anliegen: An den Holocaust erinnern, Antisemitismus bekämpfen. Es sei ihre Mission gewesen, Länder im Kampf gegen Antisemitismus zu vereinen, sagt Moshe Kantor, russischer Unternehmer und Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses, der DW: "Ganz egal, ob sie während des Krieges Teil der Hitler-Koalition waren oder Teil der Alliierten."
Warnung vor einer Atommacht Iran
US-Vizepräsident Mike Pence schlägt in Yad Vashem in seiner Rede einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart. "Wir müssen stark zusammenstehen gegen die eine Regierung auf der Welt, für die das Leugnen des Holocaust Staatspolitik ist", fordert Pence. "Die Welt muss stark zusammenstehen gegen die Islamische Republik Iran."
Ähnlich äußert sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu: "Wir werden keinen weiteren Holocaust zulassen! Das jüdische Volk hat die Lektionen des Holocaust gelernt: Wir nehmen die Bedrohungen derjenigen, die uns vernichten wollen, ernst." In bilateralen Gesprächen fordert Netanjahu bereits vor der Gedenkfeier seine Staatsgäste auf, stärkeren Druck auf Israels Erzfeind Iran auszuüben, etwa mit Sanktionen.
Streit um die Geschichte
Darauf geht Wladimir Putin in seiner Rede nicht ein. Der russische Präsident verzichtet in Yad Vashem auch darauf, den diplomatischen Konflikt mit Polen weiter anzuheizen. Der polnische Präsident Andrzej Duda hatte seinen Besuch in Yad Vashem abgesagt, nachdem ihm - im Gegensatz zu Putin - keine Redezeit eingeräumt wurde.
Der russische Präsident hatte zuletzt immer wieder versucht, die Geschichte umzudeuten, wollte Polen eine Mitschuld am Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zusprechen. Die konservative polnische Regierung dagegen möchte nichts von Taten polnischer Antisemiten zur Zeit der deutschen Besatzung wissen.
Ein Geschichtsstreit, der als Schatten über der Gedenkfeier in Jerusalem liegt. Und für viele Beobachter das eigentliche Anliegen etwas in den Hintergrund rücken lässt: die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten. Für die etwa 100 Holocaust-Überlebenden, die der Zeremonie beiwohnen, ist dies das wichtigste Anliegen heute.
Was ist, wenn der letzte Überlebende tot ist?
Menschen wie Walter Bingham zum Beispiel, der den Novemberpogrom von 1938 im süddeutschen Mannheim erlebte, der Verschleppung durch die Nazis entkam und mit einem Kindertransport nach Großbritannien gelangte. Er kämpfte als Soldat 1944 in der Normandie gegen die Deutschen, wanderte 2004 nach Israel aus.
Er könne sich nicht erinnern, sagt der 96-Jährige, was er gestern zu Mittag gegessen habe. Die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis aber sei hellwach.
Wie die Erinnerung wachgehalten werden kann, nach seinem Tod? Nachdem der letzte Überlebende gestorben sein wird? "Mit viel Aufklärung in den Schulen", sagt Bingham.
"Und mit Tagen wie heute, mit einer Gedenkfeier, wie wir sie in Yad Vashem erlebt haben."