1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Wenn der Rubel heimlich rollt

Alexander Kauschanski
19. November 2019

Korruption ist in Russland weit verbreitet. Der russische Ableger der Organisation Transparency International misst und bekämpft das Phänomen vor Ort. Doch das Problem ist komplex - und die Widerstände sind groß.

https://p.dw.com/p/3TIJc
Russland Wirtschaft eine Handvoll Rubel Geldscheine
Bild: Reuters

Korruption ist eine schwer greifbare Erscheinung, und doch durchzieht sie alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Etwa, wenn ein Polizist einen Geldschein einsteckt und dafür einen Raser davonkommen lässt. Wenn ein Bürgermeister lukrative städtische Bauaufträge nur an das Unternehmen seiner Frau weiterreicht. Wenn Richter auf politische Weisung hin drakonische Urteile sprechen. Oder wenn Politiker wichtige Ämter mit ihren Freunden besetzen.

Anton Pominow hat das alles schon erlebt. Der junge Direktor des russischen Büros von Transparency International setzt sich dafür ein, genau diese Arten von Machtmissbrauch zu bekämpfen: "Wir decken Korruptionsfälle auf und wollen politische Reformen anstoßen, um sie in Zukunft zu verhindern."

Moskau Transparency International Anton Pominow
Anton Pominow leitet das Russland-Büro von Transparency InternationalBild: DW/A. Kauschanski

Machtmissbrauch durchzieht das politische System Russlands. Mehr als 133 Milliarden Euro seien dem russischen Staat zwischen 2014 und 2017 durch Korruption abhanden gekommen, so die russische Staatsanwaltschaft. Die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International rangiert Russland auf Platz 132 von 180 Ländern.

"In Russland kontrolliert eine kleine Gruppe von Menschen die Regierung und den Staat", sagt Pominow. Macht- und Einflusssphären machten verschiedene politische Klans unter sich aus. Die Politiker und Beamten, die über Staatsgelder verfügten, könnten so sich und ihre Angehörigen bereichern.

Mehr Start-Up als Büro

Das Büro von Transparency International befindet sich in einem unscheinbaren Gebäude im Zentrum der Stadt. Neben der eisernen Eingangstür hängt kein Schild, dafür aber eine große Überwachungskamera. Ganz anders wirkt das Büro: modern und lichtdurchflutet. Wie in einem Start-Up sitzen die Mitarbeitenden an verschiedenen Tischen über den ganzen Raum verteilt. Feste Arbeitsplätze gibt es nicht. Fast alle Mitarbeiter sind unter 40 und arbeiten konzentriert mit Headsets an ihren mit Aufklebern verzierten Laptops.

In Russland ist die Organisation seit der Jahrtausendwende aktiv. Weil sie sich mit Geldern aus dem Ausland finanziert, stuft der russische Staat die NGO als "ausländischen Agenten" ein. Transparency arbeitet nicht nur in Moskau, sondern beschäftigt mehr als 40 weitere Mitarbeiter in St. Petersburg, Kaliningrad, Barnaul und Jekaterinburg.

Korruption sehen immer mehr Russen als Problem

Ein YouTube-Video erschütterte 2017 die russische Internetgemeinschaft. Es legte offen, wie Russlands Premierminister Dmitri Medwedew mehr als eine Milliarde Euro an Staatsgeldern veruntreut hatte. Im Clip waren Medwedews teure Villen und Luxusgüter zu sehen, die er für sich und seine Angehörigen erworben hatte. Das Video sorgte für einen Aufschrei des Protests: In mehr als 80 Städten gingen tausende Menschen auf die Straßen - viele von ihnen Jugendliche. Bis heute wurde der Clip mehr als 31 Millionen Mal angeklickt.

Screenshot youtube Alexei Nawalny "Residenz" Medwedew
Die "Residenz" des russischen Ministerpräsidenten MedwedewBild: youtube/Алексей Навальный

Politisch änderte sich nicht viel. Medwedew blieb auch nach den Wahlen 2018 Premierminister. "Die Abwesenheit von politischer Konkurrenz führt dazu, dass die Politik für ihre Taten nicht zur Rechenschaft gezogen wird", erklärt Transparency-Leiter Pominow.

Dass Korruption in Russland ein Problem ist, ist den meisten Russen bewusst. Von 2016 auf 2019 verdoppelte sich die Zahl der Russen, die Korruption für ein ernstzunehmendes Problem in ihrem Land halten. Ihr Anteil stieg von 24 auf 41 Prozent. Das erfasste eine Befragung des unabhängigen Lewada-Zentrums. Die Mehrheit der Befragten waren der Meinung, dass die Staatsmacht hauptsächlich daran interessiert sei, sich selbst zu bereichern, und sich nicht um die Bevölkerung kümmere.

Politischer Wille fehlt

Um gegen Korruption vorzugehen, beschloss die russische Regierung immer wieder verschiedene Gesetze und Initiativen. 2008 wurde unter Dmitri Medwedew als Präsident erstmals eine rechtsverbindliche Definition von Korruption eingeführt und ein Aktionsplan zu ihrer Bekämpfung verabschiedet. Dies seien aber "nur Imitationen ernsthafter Maßnahmen", sagt Pominow. "Der politische Wille bei den Eliten, das System zu ändern, fehlt."

Viele Russen begegnen Korruption auch in ihrem Alltag. Mindestens einer von drei Russen habe selbst schon Mal Schmiergelder zahlen müssen, so eine Transparency-Studie aus dem Jahr 2017. Auch wenn es hier erste Erfolge gibt: "Seit der Staat viele seiner Bürgerservices digitalisiert hat, geht die Alltagskorruption zurück", sagt Pominow. Denn wo Verfahren automatisiert sind, könnten keine Bestechungsgelder gezahlt werden.

Sitz der Transparency International Russland
Dieses Gebäude im Moskauer Stadtzentrum ist der Sitz von Transparency InternationalBild: picture-alliance/epa/Y. Kochetkov

"Interessenpolitik für die Wirtschaft"

Um Korruption in Russland weiter zu bekämpfen, widmet sich Transparency International verschiedenen Projekten. Mit einem Portal namens deklarator.org will sie Transparenz über Einkünfte und Besitz russischer Staatsbeamter schaffen und damit die Arbeit für Journalisten und Aktivisten erleichtern. "Wir beobachten häufig, dass die Abgeordneten Positionen aus der Wirtschaft oder dem Militär übernehmen, statt die Interessen der breiten Bevölkerung zu vertreten", sagt Pominow. "Minister, Universitätsdirektoren, Abgeordnete und Richter - sie alle stehen in der Aufklärungspflicht", sagt Pominow. Allerdings stellt der Staat diese Zahlen mal in analoger Papierform, mal in unübersichtlichen Word-Dokumenten bereit. Das Portal stellt alle Informationen übersichtlich gegenüber. "Jeder Interessierte kann sich durch die Webseite klicken und feststellen, welcher Amtsträger mehr Vermögen besitzt, als er Geld verdient."

"Gerichte müssen unabhängig sein"

Wie lässt sich die Korruption weiter eindämmen? "Zum einen müssen die Bürger aktiv werden", so Pominow. Auf stetigen Protest und öffentliche Aufmerksamkeit müsse auch die Politik reagieren.

Russland Proteste in Perm
Immer wieder gehen - wie hier in Perm - russische Bürger auf die Straße, um gegen die Korruption im Land zu protestierenBild: DW/V. Ryabko

Darüber hinaus bräuchte es mehr Raum für unabhängige Medien. Die meisten Russen informieren sich im Fernsehen über aktuelle Nachrichten. "Dort werden die Dinge sehr einseitig dargestellt." Gleichzeitig werde die Berichterstattung für investigative Journalisten in Russland immer schwerer. "Journalisten leben gefährlich, wenn sie über Korruption in Putins Umfeld berichten."

Auch die Institutionen müssten in Russland reformiert werden. "Bei Strafverfolgung und Justiz wird bei Korruptionsfällen viel von oben kontrolliert", sagt Pominow. Damit werde in den Verfahren das politisch erwünschte Ergebnis erzielt. "Für eine effektive Korruptionsbekämpfung müssen die Gerichte unabhängig sein."

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. "Die angestoßenen Prozesse sind langwierig", sagt Pominow. "Aber wir üben stetigen Druck aus, informieren die Bevölkerung, schaffen Transparenz. Nichts passiert von heute auf morgen. Aber wir geben nicht auf."