Wenn Computer schießen lernen
12. April 2005Das Zimmer ist abgedunkelt, nur wenige Lichtstrahlen dringen durch die Jalousie. Hauptlichtquelle ist ein künstliches blaues Licht, das Schatten und Muster an die Wände wirft. Vor dem Computer sitzt, den Blick auf den Monitor gerichtet, ein junger Mann. Seine Hände zucken flink über die Konsole, er scheint hoch konzentriert zu sein. Er spielt ein Ego-Shooter-Spiel, das im Volksmund auch "Ballerspiel" genannt wird. Ziel: Möglichst viele virtuelle Gegner in kurzer Zeit erschießen. Die Handlung ist in vielen Fällen Nebensache. Eine Szene wie diese ist so oder ähnlich vorstellbar.
Virtuelle Realität wird realer Schmerz
Doch angenommen, der Spieler hat einige Sekunden nicht aufgepasst. Da hebt der Gegner im Spiel die Waffe, zielt, schießt - und der junge Mann vor dem Bildschirm schreit auf. Nicht vor Schreck, sondern vor Schmerz. Hier wird die Szene unrealistisch. Doch vielleicht ist sie das bald nicht mehr. Denn was bislang schwer vorstellbar war, nämlich die Folgen eines Computerspiels am eigenen Leib zu spüren, ist in den USA zumindest für das US-Militär Realität geworden.
Die US-Firma VirTra Systems entwickelt bereits seit mehr als zehn Jahren möglichst realistische Kampfsimulationen für das US-Militär und die Luftwaffe, aber auch für die Regierungen von Mexiko und Indien, die die Simulationen zu Trainingszwecken einsetzen. Nun hat die Firma eine Computersimulation mit Namen IVR-360 High-Definition Use-of-Force Firearms Training Simulator System, kurz IVR-360, entwickelt, die den Nutzern über Sensoren Elektroschocks verpasst, wenn sie virtuell von einem Schuss getroffen werden.
Bessere Vorbereitung auf Einsätze
Die Elektroschocks sollen zwar nicht gefährlich sein, aber schmerzhaft. Sie werden über Hüftgurte an die Spieler abgegeben. Die Idee dahinter: Der Nutzer soll trotz des Schmerzes weitermachen. Außerdem würde er versuchen, weitere zu vermeiden. Damit könnte er nach Meinung der Simulationsmacher besser auf wirkliche Einsätze vorbereitet werden.
Viele Szenarien denkbar
Simulationen wie diese finden in der Regel in Immersionsräumen statt. Immersion bedeutet "Eintauchen". Dem Nutzer eines Immersionsraumes soll das Gefühl gegeben werden, in eine virtuelle Realität einzutauchen. Die Wände solcher Räume sind mit speziellen Leinwänden ausgestattet, auf die jede beliebige Szene projiziert werden kann. In solchen Räumen haben die Anwender einen 360-Grad-Rundumblick. Bei Simulationen der Firma VirTra Systems können Gegner überraschend von hinten oder von der Seite auftauchen, so dass der Nutzer alle Seiten im Blick behalten muss. So ist zumindest auf der Internetseite der Firma nachzulesen. Mögliche Szenarien der Simulationen sind beispielsweise Geiselnahmen, Straßenkämpfe oder das Ausschalten eines Selbstmordattentäters; Kundenwünsche würden aber berücksichtigt.
Bei Soldaten und Polizisten, die mit dem System trainierten, sollen erhöhte Herzfrequenz und verschwitzte Hände festzustellen gewesen sein. Ein Effekt, der sonst nur in wirklichen Einsätzen zu beobachten sei. Das US-Militär setzt die Simulation bereits auf Messen ein, um militärischen Nachwuchs zu rekrutieren.
Übertragbarkeit auf Heimcomputer
Der Hersteller würde die Elektroschock-Shooter-Games für Computerspiele am liebsten auch an private Anwender verkaufen. David Wildgoose, Herausgeber des Spielemagazins "PC Powerplay", ist überzeugt davon, dass Spieler von Computerspielen ein solches Spiel lieben würden, da auch Konsolen, die die Vibrationen eines Flugsimulators übertragen, ein großer Erfolg seien.
Ob solche Spiele auch in Deutschland Aussicht auf Erfolg hätten, bleibt abzuwarten. Schließlich wurden auch die so genannten Laserdrome, in denen die Spieler mittels Laser aufeinander schießen und Treffer über Spezialkleidung registriert werden, im Jahr 2000 von den nordrhein-westfälischen Ordnungsämtern verboten: Die simulierte Tötung von Menschen als Gegenstand eines Unterhaltungsspiels widerspreche der Menschenwürde, hieß es in der Urteilsbegründung.