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Welche Folgen hat ein IStGH-Haftbefehl gegen Netanjahu?

21. November 2024

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen Israels Premier Netanjahu und Ex-Verteidigungsminister Galant erlassen. Was das bedeutet und welche Auswirkungen es auf Israel und seine Regierung hat.

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Israels Premier Benjamin Netanjahu und Staatspräsident Izchak Herzog umringt von Sicherheitsleuten und Armee
Per Haftbefehl gesucht: Israels Premier Benjamin Netanjahu (Mitte links), hier mit Staatspräsident Izchak Herzog (Mitte rechts) auf dem Weg zu einer Beerdigung eines bei Kämpfen im Gazastreifen getöteten israelischen SoldatenBild: Leo Correa/AP/dpa/picture alliance

Die Regierung in Jerusalem muss mit Sorge Richtung Den Haag in den Niederlanden blicken. Dort hat der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) seinen Sitz. Und der ist nun dem Antrag seines Chefanklägers Karim Khan gefolgt und hat sowohl gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu als auch gegen Israels früheren Verteidigungsminister Joav Galant einen Haftbefehl erlassen. Der Grund sind mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die die Politiker verantwortlich sein könnten.

Das Gericht erließ außerdem einen Haftbefehl gegen den Anführer der radikalislamistischen Terrororganisation Hamas Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri im Zusammenhang mit den Terrorangriffen auf Israel am 7. Oktober 2023.

Welche Art von Strafverfahren könnte der IStGH gegen Netanjahu einleiten?

Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt ausschließlich gegen Einzelpersonen. Er wird nur tätig, wenn eine Person im Verdacht steht, eines der vier Kernverbrechen verantwortet zu haben: Völkermord, schwere Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder einen Angriffskrieg.

Blick auf das Gebäude und den Eingang des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Niederlande
Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelt die Schuld von EinzelpersonenBild: Klaus Rainer Krieger/reportandum/IMAGO

Tatsächlich ermittelt der IStGH bereits seit 2021 wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen mögliche Verantwortliche in Israel. Allerdings: Das Strafgericht ermittelt nach eigenen Angaben wegen desselben Vorwurfs auch gegen Kämpfer der Hamas. Außerdem laufen Untersuchungen zu Gewalttaten israelischer Siedler im Westjordanland.

Dabei sollen auch die jüngsten Entwicklungen im Israel-Hamas-Krieg berücksichtigt werden. Der hatte begonnen, nachdem die militant-islamistische Hamas am 7. Oktober 2023 in Israel etwa 1200 Menschen getötet und mehr als 240 Geiseln in den Gazastreifen verschleppt hatte. Die Hamas wird von zahlreichen westlichen Staaten, darunter den EU-Mitgliedsstaaten und den USA, als Terrororganisation eingestuft. 

Vier Männer sitzen mit schusssicheren Westen und militärisch anmutender Kleidung an einem Tisch in einem Zelt mit Fenstern, der zweite Mann von links ist Israels Premier Benjamin Netanjahu
Verdacht auf Kriegsverbrechen: Israels Premier Benjamin Netanjahu (2.v.l.) bei einem Besuch im GazastreifenBild: Maayan Toaf/Israel Gpo/ZUMAPRESS.com/picture alliance

Der jetzige Anführer der Terrororganisation Hamas Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri (auch genannt Mohammed Deif) gilt als einer der Drahtzieher des beispiellosen Überfalls auf Israel. Ursprünglich hatte der Chefankläger des Strafgerichtshofs auch Haftbefehle beantragt gegen Hamas-Chef Jahja Sinwar in Gaza und Hamas-Auslandschef Ismail Hanija. Beide sind jedoch mittlerweile getötet, mutmaßlich durch israelische Einsätze. 

Durch israelische Militäraktionen als Antwort auf den Anschlag sind nach Angaben der Hamas-geführten Behörden im Gazastreifen bislang mehr als 43.000 Menschen getötet worden. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen. Laut einem Bericht der medizinischen Fachzeitschrift "The Lancet" vom Juli 2024 könnten "bis zu 186.000 oder mehr" Menschen durch die Folgen der Gewalt in Gaza gestorben sein. 

Wann darf der Internationale Strafgerichtshof ermitteln?

Grundsätzlich darf der IStGH nur dann tätig werden, wenn Staaten die oben genannten Verbrechen auf nationaler Ebene nicht verfolgen können oder wollen. Dass israelische Gerichte ein Strafverfahren gegen den Regierungschef, seine Minister oder die Armeeführung einleiten könnten, ist nicht zuletzt wegen des anhaltenden Krieges derzeit unwahrscheinlich.

Außerdem muss entweder der Heimatstaat des Täters das Gericht anerkennen - das tut Israel nicht - oder aber das Land, in dem die mutmaßlichen Verbrechen begangen wurden. Dies könnte hier zum Tragen kommen, denn die  Palästinensischen Gebiete sind dem Vertrag über den IStGH beigetreten. Neben Israel erkennen auch die USA, China, Russland, Indien, fast alle arabischen Staaten sowie Iran den Internationalen Strafgerichtshof nicht an. 

Gaza-Helfer: Situation "nicht in Worte zu fassen"

Ist keines der betroffenen Gebiete IStGH-Vertragspartner, kann nur der UN-Sicherheitsrat dem Gerichtshof per Resolution auftragen. Dies war beispielsweise im Falle Sudans und Libyens der Fall.

Welche Folgen hat ein internationaler Haftbefehl für Israels Premierminister?

Ein erlassener Haftbefehl ist allerdings noch kein Urteil. Er ist zunächst einmal ein Zeichen dafür, dass der IStGH erhobene Vorwürfe gegen eine verdächtige Person ernst genug nimmt, um ihnen nachzugehen.  

Einen Haftbefehl erlässt der IStGH laut seiner Internetseite nur, wenn dies den Richtern notwendig erscheint, damit die betreffende Person überhaupt zur Verhandlung erscheint. Denn dies ist für ein IStGH-Verfahren notwendig. Andere Gründe können sein, dass die Richter befürchten, die Beschuldigten könnten das Verfahren behindern oder weitere Straftaten begehen.

Da der IStGH aber keine eigene Polizei hat, die die Verdächtigen festnehmen könnte, ist es sehr unwahrscheinlich, dass Mitglieder der israelischen Regierung tatsächlich in Den Haag vor Gericht stehen werden.

Allerdings schränkt ein Haftbefehl die internationale Bewegungsfreiheit Netanjahus und von Ex-Verteidigungsminister Galant stark ein - genauso wie die des Hamas-Führers. Denn alle 124 IStGH-Vertragspartner sind dazu verpflichtet, gesuchte Personen auf ihrem Staatsgebiet festzunehmen und an den Gerichtshof zu überstellen.

Scheich Abdullah bin Zayid Al Nahyan begrüßt Wladimir Putin auf einem Rollfeld am Flughafen
In den Vereinigten Arabischen Emiraten muss Russlands Staatschef Wladimir Putin nicht fürchten, festgenommen und nach Den Haag gebracht zu werden - hier mit VAE-Außenminister Scheich Abdullah bin Zayid Al Nahyan Bild: Andrei Gordeyev/Sputnik/AP Photo/picture alliance

So bleibt etwa Wladimir Putin den meisten internationalen Treffen fern, seit das Gericht einen Haftbefehl gegen ihn wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland erlassen hat. Russlands Staatschef reist nur in Staaten, die den IStGH nicht anerkennen.

Was hat der Haftbefehl mit der Völkermordklage gegen Israel zu tun?

Die Ermittlungen des IStGH sind nicht zu verwechseln mit dem Vorwurf des Völkermords, den einige Staaten gegen Israel erhoben haben. Unter anderem Südafrika hat den Staat Israel vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) wegen der vielen Kriegstoten im Gazastreifen verklagt. Der IGH hat seinen Sitz ebenfalls in Den Haag, ermittelt aber nicht gegen Einzelpersonen und erlässt keine Haftbefehle. Er ist ausschließlich für Streitigkeiten zwischen Staaten zuständig.

Ende Januar dieses Jahres hatte der IGH zwar die "Gefahr eines Völkermords im Gazastreifen" gesehen. Dem Eilantrag Südafrikas, dass Israel alle Kampfhandlungen einstellen soll, wurde aber nicht stattgegeben. Nach dieser ersten Entscheidung dürfte das Völkermord-Verfahren am IGH nun über Monate oder Jahre weiterlaufen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 29. April 2024 und wurde am 20. Mai 2024 und am 21. November 2024 aktualisiert.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen