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Moskau erwartet Grexit

Christian F. Trippe, z.Zt. Moskau5. Juli 2015

Für russische Medien scheint der Grexit beschlossene Sache. Die russische Regierung bekräftigt, dass sie Athen kein Geld geben will. Sie verfolgt eigene Ziele, berichtet Christian F. Trippe aus Moskau.

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Russland Griechenland Tsipras bei Putin, 08.04.2015 (Foto: dpa/picture alliance)
Bild: picture-alliance/dpa/Zemlianichenko

Die griechische Regierung sucht seit Wochen den Schulterschluss mit Moskau. Erst vor wenigen Tagen erklärte Premier Alexis Tsipras in St. Petersburg bei einem Wirtschaftsforum unumwunden, sein Land sei nicht von der EU abhängig, es sei vielmehr bestrebt, eine "multivektorale" Außenpolitik zu betreiben, das heißt, es sucht verschiedene Bündnisse. Unter seinen Zuhören war auch der russische Präsident. Wladimir Putin wird das gerne gehört haben, denn dieses Konzept ähnelt den Kreml-Vorstellungen von einen "multipolaren" Welt.

"Die russische Führung findet sich mit Tsipras und seiner Partei Syriza in einem Hauptpunkt zusammen: In ihrer anti-westlichen, vor allem anti-amerikanischen Rhetorik," erläutert Alexander Baunow vom Moskauer Büro der Carnegie-Stiftung gegenüber der DW. Doch das sei dann auch schon beinahe alles. Denn der russische Präsident erkenne nur zu gut, dass er die Griechen nicht von ihren Schulden befreien könne. Außerdem sei "Griechenland zu klein, um wirklich wichtige Entscheidungen in der EU zu beeinflussen, zum Beispiel bei den Sanktionen gegen Russland".

Putins Schadenfreude

Aber der Sand, den Griechenland seit Monaten ins Getriebe der EU wirft, der dürfte Putin zupass kommen. Russische Medien mutmaßen, Putin beobachte das Schuldendrama mit einiger Schadenfreude. Immer wieder wird auch die Frage aufgeworfen, wie sich Griechenland in Zukunft in der NATO verhalten wird. Ob Athen innerhalb des westlichen Verteidigungsbündnisses die russische Karte spielen könnte? Anlass für derartige Spekulationen lieferte nicht zuletzt die griechische Regierung selbst: Im März organisierte der Kreml einen sicherheitspolitischen Kongress in Moskau. Der Tenor der meisten Reden war scharf anti-westlich; die NATO wurde dort als Bedrohung gesehen, zumindest für Russland, wenn nicht gar für den Weltfrieden. Der griechische Verteidigungsminister Panos Kammenos war offizieller Gast auf diesem Kongress - als einziger Minister aus einem NATO-Land.

Griechenland, Piräus: Hafen (Foto: Getty Images)
Nach einem Grexit preiswert für russische Investoren: Griechenlands Häfen, etwa PiräusBild: Getty Images/M. Bicanski

Patriotische Kreise in Russland beschwören immer wieder die emotionale, die kulturelle und mentale Nähe zwischen den beiden orthodoxen Nationen. "Wir verehren die gleichen Ikonen. Niemand steht uns geschichtlich näher als Russland", fasste eine Griechin, die seit langem in Moskau lebt, diese Haltung im Gespräch mit der DW zusammen.

Seitenwechsel unwahrscheinlich

Politisch kokettieren Russlands Nationalisten und Ultrapatrioten damit, Griechenland könne sich der von Moskau geführten "Eurasischen Union" anschließen, einer Art Konkurrenzprojekt zur EU. Doch die Führungen beider Länder haben bisher noch nichts unternommen, was auch nur ansatzweise in diese Richtung gehen könnte. Ein Seitenwechsel Griechenlands gilt bei Experten als nahezu ausgeschlossen, selbst wenn die Griechen komplett aus der EU austreten sollten.

Falls die Griechen am Sonntag mit Mehrheit "Nein" zu den Sparvorgaben der EU sagen sollten, komme es zu einer eher langfristig wirkenden Verschiebung, meint Kyrill Koktisch, Professor für Politikwissenschaften an der Moskauer Diplomatenhochschule MGIMO. Der DW sagte Koktisch: "Politisch hieße das: Brüssel kann nicht alle europäischen Werte vertreten. Die Existenz dieser Werte steht nun in Frage." Womit sich der Kreis zu Putins anti-westlichem, anti-liberalen Projekt schließen würde.

Griechenland und Russland unterschreiben Pipeline-Deal - Tsipras in St. Petersburg, 18.06.2015(Foto: Reuters)
Win-win-Situation: Tsipras unterschreibt in St. Petersburg den Pipeline-DealBild: Reuters/M. Shemetov

Chance für Investoren

Wirtschaftlich brächte ein griechischer Euro-Ausstieg für Russland in erster Linie Vorteile: "Russische Investoren warten auf den Zahlungsausfall Griechenlands", stellte Radio Vesti-FM bereits nüchtern fest - und beschrieb damit den Hauch von Goldgräberstimmung, der russische Anlegerkreise erfasst zu haben scheint. Alexander Baunow vom Moskauer Büro der Carnegie-Stiftung analysiert: Nach einem griechischen Euro-Austritt würden "alle Anlagegüter, für die Russland sich in Griechenland interessiert, billiger: Infrastruktur, Eisenbahnen, Raffinerien, Häfen." Sollte Griechenland sogar ganz aus der EU austreten, dann fielen eine Reihe von Regeln und Vorschriften fort, die gerade russische Geschäftsleute als störend empfinden.

Eine Win-win-Situation für Moskau und Athen glaubt Politikprofessor Kyrill Koktisch zu erkennen, falls die beiden Länder nach der Wiedereinführung der Drachme wirtschaftlich enger zusammenrückten: "Griechenland hätte die Chance, ein echter Broker für russisches Gas zu werden." Ein griechischer Staat, der nicht mehr durch die EU-Energiecharta und ähnliche Regulierungen gebunden sei, könne als Partner Russlands frei agieren.

Erst Mitte Juni hatten der quasi-staatliche Gazprom-Konzern und die Regierung in Athen sich in einem Memorandum darauf verständigt, die sogenannte Turkish-Stream-Pipeline nach Griechenland weiterzuführen. Dazu will Gazprom rund zwei Milliarden Euro in den nächsten Jahren investieren - und sich und dem russischen Staat langfristig Einfluss in Athen sichern, wie auch immer das Referendum am Sonntag ausgeht.