Jenseits von Afrika
9. Juli 2008
Der Mensch begann vor zwei Millionen Jahren, von Afrika aus die Erde zu bevölkern, während seine nächsten tierischen Verwandten, die Schimpansen, bis heute in Afrika blieben. Den entscheidenden Unterschied war die kulturelle Entwicklung des Menschen, vermuten Forscher der neuen Forschungsstelle an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, die zusammen mit der Universität Tübingen und dem Frankfurter Forschungsinstitut und Naturmuseum Senckenberg ein weltweit einmaliges Großforschungsprojekt begonnen hat.
Umwelt, Evolution oder Kultur?
Dessen Sprecher, Volker Moosbrugger ist Direktor des Museums und untersucht, wie das Klima früherer Zeiten die Lebensbedingungen für diese Menschen bestimmte. Dazu wird untersucht, wie sich bestimmte Organismen verändert haben, denn dies lässt Schlüsse auf das Klima zu. "Wir wissen etwa, dass bestimmte Blattformen nur unter bestimmten Klimaten häufig sind - und wenn wir eine Fossilvergesellschaftung von bestimmten Blattformen finden, können wir daraus auf das Klima schließen" erklärt Moosbrugger.
Durch Rekonstruktion von Klima und Umwelt lassen sich die Lebensbedingungen in den letzten drei Millionen Jahren beschreiben – etwa, ob es genug Früchte zu Essen gab, ob Raubtiere drohten, oder ob es genügend Tiere für die Jagd gab . Dies sei das eigentliche Ziel, sagt Moosbrugger: "Wir möchten eigentlich verstehen in welchen Umwelten der Mensch gelebt hat, welche Ressourcen er genutzt hat und dann natürlich auch: Was war Auslöser für seine Ausbreitungswellen aus Afrika heraus?" Noch weiß man nicht, ob dies primär an Veränderungen der Umwelt, also der Vegetation oder des Klimas, lag, oder ob neue evolutionäre oder kulturelle Entwicklungen die Wanderung auslöste.
Nussknackergebiss und Werkzeug
Unter Kultur versteht Moosbrugger eine Auseinandersetzung mit der Natur, die zu Fähigkeiten führt, die dem Überleben dienen. Auslöser für die Erfindung von Steinwerkzeugen - von anderen gibt es keine Funde - war, dass es in Afrika trockener wurde. Pflanzen schützen deshalb ihre Samen durch dickere Schalen. Das führte zu einer Spaltung der Menschheit, berichtet der Frankfurter Paläoanthropologe Friedemann Schrenk. Einige bekamen viermal stärkere Kaumuskeln und dreimal größere Zähne als andere. "Es entstand ein Nussknackergebiss, ja, die so genannten Nussknackermenschen. Das war die biologische Lösung dieses Problems harte Nahrung", erklärt Schrenk. "Gleichzeitig gab es aber auch die kulturelle Lösung, nämlich der Beginn der Steinwerkzeuge mit denen ein Teil dieser Arbeit nach außerhalb des Körpers verlagert wurde." Diese beiden Entwicklungen fanden vor 2,6 bis 2,4 Millionen Jahren in Zusammenhang mit der Umweltveränderung in Afrika statt – und beschleunigten die Fähigkeit zu kulturellem Verhalten.
Faustkeil und erste Messer erlaubten es, Tiere zu schlachten. Dass dies nicht nur den Fleischverzehr ermöglichte, sondern so auch Kleider aus Fellen entstanden, traf sich gut - denn das eigene Fell war vor zwei Millionen Jahren bereits verschwunden. "Die erste Ausbreitung aus Afrika heraus hat auch ungefähr vor zwei Millionen Jahren stattgefunden, aber eben nur in wärmere Gebiete", sagt Schrenk. "Spätestens als die die Besiedlung von kälteren Gebieten begann, also vor etwa einer Million Jahren, musste irgendetwas in Bezug auf Kleidung - Tierfelle also - passiert sein."
Berechnung der Denkleistung
Um zu rekonstruieren, welche geistigen Fähigkeiten die frühen Menschen hatten, bedient man sich so genannter Kognigramme. Darin wird fest gehalten, welche Überlegungen ein Mensch anstellen musste, um einen Faustkeil oder einen Speer zu bearbeiten. Es zeigt sich, dass die Kompliziertheit der Werkzeuge und damit des Denkens zugleich mit dem Wachstum des Gehirns verläuft. Je mehr der Mensch mit Werkzeugen, Kleidung oder Feuer umzugehen lernte, desto unwirtlichere Gegenden konnte er besiedeln. In Höhlen der Schwäbischen Alb fand Nicholas Conrad, Archäologe an der Universität Tübingen, Spuren, die zeigen, wann der Handwerker zum Künstler wurde. "Zeitlich liegt das in einem Bereich zwischen 35.000 und 40.000 Jahren vor heute", sagt Conrad. "Und die besten Belege dafür gibt es auf der Schwäbischen Alb, in Norditalien, in der Ardèche und in Niederösterreich."
Dieses bekannte Wissen, das in Sammlungen und Literatur schlummert, wollen die Forscher zusammen mit neuen Ergebnissen aus internationalen Grabungen in einer Datenbank speichern, die in 20 Jahren die letzten drei Millionen Jahre der Kultur und der menschlichen Ausbreitung in Afrika und Eurasien zusammenfassen soll.