Warum junge Polen eher rechts wählen
7. Februar 2019Ein ungewöhnliches Bild bot sich dem Zuschauer, als die Polen im November ihre hundertjährige Unabhängigkeit feierten: Junge Menschen marschierten durch Warschau. Sie hüllten ihre Körper in weiß-rote Flaggen und sangen die Nationalhymne. Einzig ein patriotischer Marsch konnte sie noch auf die Straßen locken. Denn wenn die Alten gegen die konservative Regierungspolitik demonstrieren, bleiben die Jungen zu Hause. Sie vertreten konservative Werte und wählen rechte Parteien.
Der Rechtsruck der jungen Generation in Polen ist weder ein vorübergehender Trend, noch ist er ein Ausdruck des Protests. Er repräsentiert ein neues Selbstverständnis, das mit der Politik der vergangenen Jahre gewachsen ist. Junge Polen sehnen sich nach postmateriellen Werten, die lange Zeit keine Rolle spielen durften. Sie sehnen sich nach Kirche, Tradition und Sicherheit.
Konservativ denken, rechts wählen
Bei den Parlamentswahlen 2015 fiel der Rechtsruck der jungen Generation zum ersten Mal ins Gewicht. Zwei Drittel aller Wähler zwischen 18 und 29 stimmten für Parteien rechts der Mitte. Die national-konservative PiS, die heute die Regierung stellt, erhielt 27 Prozent ihrer Stimmen. Weitere 21 Prozent gingen an die neue und rechtspopulistische Bewegung Kukiz'15 und 17 Prozent an die systemkritische Freiheitspartei. Die Regionalwahlen im Oktober bestätigten das Muster: PiS gewann die meisten Stimmen dieser Altersgruppe und auch Kukiz'15 konnte weiter auf ihre Unterstützung zählen.
Die Jungen wählen nicht nur konservativer und rechter, sie denken auch so. Das zeigt eine im November veröffentlichte Studie des kommerziellen Forschungsinstituts IQS. Die Wissenschaftler befragten kinderlose Polen zwischen sechzehn und 29 Jahren. "In den vergangenen drei Jahren haben sich die jungen Polen noch stärker konservativen Werten zu gewendet", bilanziert die Sozialpsychologin Marta Majchrzak, die zu den Mitautoren der Studie zählt. "Sie vertrauen Autoritäten, träumen von der Ehe und sind stolz darauf, polnische Staatsbürger zu sein." Die Studie stuft lediglich neun Prozent der Befragten als "kosmopolitisch" und "offen für Andersartigkeit" ein.
Keine Erinnerung an den Sozialismus
Die konservative Haltung der jungen Generation lässt sich durch die Wirtschaftsreformen nach dem Fall der Sowjetunion begründen. Polen, die unter 30 sind, erinnern sich nicht mehr an den Sozialismus. Sie wuchsen in einer Zeit auf, in der ihre Eltern eigene Läden und Unternehmen gründeten. Der wirtschaftliche Erfolg stand an erster Stelle, der Westen war das Ideal. Ihr neues Polen, versprachen die Eltern den Kindern, werde bald ein gleichberechtigtes Mitglied der Europäischen Union werden. Es werde sich entwickeln, bis es auf einer Augenhöhe mit den deutschen Nachbarn sei.
Doch auf die Versprechungen folgte zunächst Enttäuschung. Unter der liberalen Partei PO, die von 2007 bis 2015 das Land regierte, wuchs die Wirtschaft, aber nicht die wirtschaftliche Sicherheit der Jungen. Die Jugendarbeitslosigkeit stieg, bis sie 2013 mit mehr als 27 Prozent den Höhepunkt erreichte. Die jungen Polen landeten in befristeten Verträgen, ihre Löhne waren niedriger als erhofft. Während sie der PO 2007 noch zum Wahlsieg verhalfen, straften sie die Partei in den folgenden Jahren ab. Sie wählten die Nationalkonservativen, die ihnen eine soziale Politik versprachen.
"Diese Generation ist keinesfalls rechtsradikal"
Gerade, weil sich die wirtschaftliche Situation in den vergangenen Jahren verbessert hat, sucht die junge Generation nach einem geregelten Rahmen. "Die jungen Polen vergleichen die sichere Situation in Polen mit der Unordnung in der Welt", sagt die Sozialpsychologin Majchrzak. Laut der IQS-Untersuchung versteht die junge Generation Polen als sichere Exklave, die sie vor den Unsicherheiten der Welt schützt. Drei von vier Befragten gaben an, sie seien gegen die Aufnahme von Flüchtlingen. Knapp ein Drittel würde für mehr Recht und Ordnung persönliche Freiheiten aufgeben.
Das bedeutet allerdings nicht, dass sich die jungen Polen von demokratischen Werten entfernen. "Diese Generation ist keinesfalls rechtsradikal", sagt Henryk Domański, Soziologe und Direktor des Instituts für Philosophie und Soziologie der Warschauer Akademie der Wissenschaften. "Junge Polen sind unpolitisch, deshalb fallen Stimmen für die radikaleren Parteien stärker ins Gewicht." Das zeigte auch die Regionalwahl im Herbst: Der hitzige Wahlkampf fand zwischen PO und PiS statt. Er lockte so viele Polen an die Urnen wie seit 1990 nicht mehr: Die Wahlbeteiligung lag bei 51 Prozent. Doch nur 37 Prozent der Wahlberechtigten zwischen 18 und 29 gingen wählen.
"Eine rechte Partei wie Kukiz'15 kann nur vorübergehend vom Konservativismus der Jungen profitieren", sagt Domański. Der Soziologe erinnert an die systemkritischen Parteien Ruch Palikota und die Partei Samoobrona, die die junge Generation vor wenigen Jahren für sich gewinnen konnten. Politisch spielen beide Parteien längst keine Rolle mehr. Domański ist sich sicher: Die jungen Polen bleiben bei den Wahlen im nächsten Jahr der konservativen PiS treu. Und auch darüber hinaus werden die unter 30-Jährigen wohl konservativ bleiben: In diesen Jahren wachsen Kinder heran, deren Eltern in den Westen der EU emigriert sind, um mehr zu verdienen. Die sogenannten "Euro-Waisen" sind monatelang ohne ihre Väter oder Mütter aufgewachsen. Auch sie werden sich nach Traditionen und nach Sicherheit sehnen.