Polens neue Linke
4. Februar 2019Der bekannte linke Politiker Robert Biedron hat seine neue Partei schon vor Monaten angekündigt und die letzte Zeit dazu genutzt, durch Polen zu touren und Menschen zuzuhören. Dabei trat er wie ein Zauberer auf: "Macht die Augen zu und denkt nach, welches Polen ihr haben möchtet", sagte er seinen Fans und ließ sie auf Zetteln ihre Träume aufschreiben. Aus der Wunschliste wollte er das Programm der künftigen Partei schmieden, um es als Polens künftiger Premierminister umzusetzen.
Ein linkes Vakuum
In der Politik ist Biedron kein Neuling. Der aus dem erzkonservativen Südpolen stammende Politologe war Experte für Menschenrechte bei internationalen Organisationen und der erste offen schwule Parlamentarier in Polen. Während seiner Zeit als Bürgermeister in der Stadt Stolp (pol. Slupsk) in Nordpolen hat er es geschafft, dass die stark verschuldete Stadt erstmals schwarze Zahlen schrieb.
Berühmt wurde sein rotes Sofa, das er auf die Straße von Stolp stellte und darauf Bürger zum Gespräch einlud. Der offene Umgang mit seiner Homosexualität war für viele schockierend, doch für andere ein Beweis des Mutes, der ihm noch mehr Glaubwürdigkeit verlieh.
Mit seiner neuen Partei "Frühling" versucht Biedron eine Lücke im linken Teil des politischen Spektrums zu füllen. Die soziale Agenda, die traditionell dem linken Repertoire angehört, hat schon längst die national-konservative PiS in ihre Rhetorik und Programm übernommen. Keine der linken Splittergruppen ist jetzt im polnischen Parlament vertreten. Auf einigen lastet immer noch die kommunistische Vergangenheit und die anderen setzen sich mit ihren radikalen Parolen in der eher konservativen polnischen Gesellschaft nicht durch.
Gegen die Macht der Kirche
Doch Biedron wagt jetzt den Versuch. Er will mit seiner Partei "die politische Landschaft erneuern", so seine Ansage am Sonntag vor rund 7000 Sympathisanten in einem Warschauer Stadion. "Mensch, Gemeinschaft, vertrauenswürdiger Staat" seien drei Pfeiler seines Systems. Er will die derzeit steuerfreien Gewinne der katholischen Kirche, darunter die Kollekte, nun mit einer Abgabe an den Staat versehen und den Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen abschaffen. "Wir werden nicht vor den Bischöfen knien", sagte Biedron und erntete dafür Beifall.
Er will die Menschen nicht länger als 30 Tage auf den Besuch beim Facharzt warten lassen, jeder kleinsten Gemeinde den öffentlichen Verkehr garantieren und die Minimalrente von fast 400 Euro einführen. Außerdem ist Biedron für die Abmilderung der restriktiven Abtreibungsgesetze und für das Abtreibungsrecht bis zur 12. Schwangerschaftswoche. Er plädiert für den Sexualkundeunterricht an öffentlichen Schulen und für die Legalisierung der Homoehe.
Auf seiner Agenda steht die politische Abrechnung mit denjenigen, die "gegen die Grundpfeiler des Rechtsstaats verstoßen haben", die er dann vor ein Staatstribunal stellen will. Damit sind die Regierenden gemeint, die trotz Kritik aus Brüssel und trotz des EU-Rechtsstaatsverfahrens, ihre umstrittene Justizreform durchzudrücken versuchen. Der Rundfunk sollte laut Biedron der Regierungskontrolle entzogen werden. "Schluss mit der Pathologie in den öffentlich-rechtlichen Medien, wir werden den Politikern diese Spielzeuge wegnehmen", kündigte der Parteigründeran.
Drei Monate vor der Europawahl eine neue Partei aus der Taufe zu heben, könnte sich als perfektes Timing erweisen. Biedrons Chance besteht darin, in der Wählergunst zuzulegen. Bereits Monate vor der Parteigründung bekamen er und seine noch nicht existierende Gruppierung in manchen Umfragen schon rund zehn Prozent Zustimmung.
Jetzt kann er die Wählerbasis noch weiter ausbauen. Die Strukturen sind schon vorhanden. Er wird von Tausenden Freiwilligen unterstützt, hat sechs Regionalkoordinatoren, mehrere Verantwortliche für die Landkreise. Alles sei spendenfinanziert, so Biedron.
Gefahr für die Liberalen
In seiner Rhetorik setzt Biedron stark auf die Trennung zwischen dem politischen Etablissement und dem normalen Bürger, dessen Interessen er vertreten möchte. Er kritisiert die politische Polarisierung Polens, will mit dem "polnisch-polnischen Krieg" zwischen national-konservativ und liberal gesinnten Menschen Schluss machen.
Für ihn seien die Liberalen - darunter die größte Oppositionspartei Bürgerplattform (PO) - keine echte Alternative zur PiS, weil sich die beiden Seiten bekämpfen statt Programme zu liefern. Es seien zwei Seiten derselben Medaille. Der Kampf zwischen den beiden großen Parteien sei nicht "sein Kampf", deshalb wählt er einen Alleingang. Seine Kampfansage gilt nicht nur der nationalkonservativen PiS, sondern auch der liberalen Opposition.
Diese ist davon enttäuscht, weil sie gerade jetzt, kurz vor den Europawahlen und einige Monate vor den polnischen Parlamentswahlen im Herbst, eine gemeinsame Front gegen die PiS bilden möchte. "Robert Biedron müsste heute breiter denken, nicht nur an seine eigene Karriere", sagt Ex-Premierministerin Ewa Kopacz (PO) verbittert und ruft alle zur "Besinnung" auf, die "ihre eigene politische Karriere über der Zukunft der Polen stellen".
Sollte Biedron links-liberal gesinnte Wähler an sich binden, schwäche er damit die liberalen Parteien, prognostizieren Analysten. Damit wäre die Opposition noch mehr zersplittert, wovon die PiS, die sowieso in allen Umfragen vorne liegt, nur profitieren kann.