Wahlen in Mexiko: Verstärkung für Lateinamerikas Linke?
2. Juli 2006Als "eine Gefahr für Mexiko" beschimpfen Vertreter der Regierungspartei die politische Konkurrenz. "Intolerante Rechte" tönt es aus dem Lager aus der Opposition. Längst ist der Wahlkampf um das Amt des mexikanischen Präsidenten zu einer Schlacht geworden. Am Sonntag (2.07.) entscheiden die Wähler, wer das mittelamerikanische Land die kommenden sechs Jahre regieren soll.
Während der ehemaligen Staatspartei PRI kaum Chancen eingeräumt werden, liegen die Kandidaten Felipe Calderon und Manuel López Obrador laut Umfragen etwa gleichauf. Sollte López Obrador von der linken PRD die Wahlen gewinnen, befürchten vor allem Teile der Mittelklasse Landbesetzungen, Wirtschaftschaos und eine autoritäre Herrschaft. "Die konservative Partei PAN von Kandidat Felipe Calderon schürt diese Ängste, indem sie López Obrador in ihrem Wahlkampf mit dem venezolanischen Staatschef Chávez vergleicht", erklärt Lothar Mark (SPD), Lateinamerika-Beauftragter der deutschen Bundesregierung. Aber er habe sich nicht wie Chávez an die Macht geputscht, sondern sich als Bürgermeister von Mexiko-Stadt immer im Rahmen der politischen Institutionen bewegt.
Keine Anerkennung knapper Siege?
Einen Konfrontationskurs mit den USA oder Europa kann sich Mark nicht vorstellen: "Er ist auf die Investitionen angewiesen" Seit zwölf Jahren ist Mexiko mit den USA und Kanada zur Nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA verbunden, fast 88 Prozent aller mexikanischen Exporte gehen in den Norden. Daher hält auch Frank Priess von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung den Vergleich zwischen López Obrador und Chávez für übertrieben: "Die starke mexikanische Zivilgesellschaft, die gespaltene Zusammensetzung des Parlaments und die Unabhängigkeit der Bank von Mexiko sind Bremsen für populistisch-autoritäre Aktivitäten", sagt er, wenngleich er López Obrador "populistische Züge" bescheinigt. Außerdem befürchtet er, dass López Obrador eine knappe Wahlniederlage nicht anerkennen könnte.
"López Obrador verfolgt eine starke staatlich angeleitete Sozialpolitik", fügt der Vizedirektor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Günther Maihold hinzu: Zwar ist Mexikos Wirtschaft in den vergangenen Jahren gewachsen, doch lebten 2004 den Vereinten Nationen zufolge immer noch 37 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. López Obrador verspricht in seinem Programm eine Mindestrente und als Bürgermeister von Mexiko-Stadt hatte er bereits mit Infrastrukturaufträgen der öffentlichen Hand Arbeitsplätze geschaffen. "Er wird als Präsident jedoch sehr schnell an die Grenzen der Finanzierbarkeit kommen", sagt Maihold. "Insbesondere weil die Öleinnahmen nicht mehr so stark sprudeln wie früher."
Unsozial oder arbeitsplatzwirksam?
Der konservative Felipe Calderon hingegen verkauft sich als "Präsident der Arbeitsplätze". Er will das Haushaltdefizit begrenzen, den Handel weiter liberalisieren, um ausländisches Kapital ins Land zu holen und Jobs zu schaffen. Von einer Einheitssteuer, die unabhängig von der Einkommenshöhe ist, verspricht er sich Wachstumsimpulse. Gegner werfen ihm eine unsoziale Politik vor, die zu Lasten der Armen gehe. Laut den jüngsten Umfragen liegt der ehemalige Wirtschaftsminister etwa zwei Prozentpunkte hinter López Obrador.
Zurückhaltend verhalten sich jedoch beide Kandidaten angesichts der zunehmenden Gewalt im Vorfeld der Wahlen: In Atenco nahe der Hauptstadt war es Anfang Mai zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen, die zwei Todesopfer forderten. Viele der 200 Festgenommenen sollen gefoltert, 23 Frauen in Haft vergewaltigt worden sein, beklagen Menschenrechtorganisationen. Bei einem Großeinsatz der Polizei gegen streikende Stahlkocher wurden im April zwei Arbeiter erschossen, erst vor wenigen Tagen beendeten 3.000 Polizisten brutal einen Lehrerstreik in der mexikanischen Stadt Oaxaca. Der amtierende Präsident Vicente Fox hatte das Vorgehen mit der "Durchsetzung des Rechtsstaates" rechtfertigt. Keiner der Präsidentschaftskandidaten hat die Übergriffe kritisiert, im Gegenteil: Calderón gab an, "gerne noch härter durchgegriffen" zu haben, während sich López Obrador lediglich zu einer generellen Verurteilung der "Gewalt auf beiden Seiten" durchrang.
Es fehlt an Rechtsstaatlichkeit
"Diese Brutalität belegt, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an der Basis noch nicht angekommen sind", urteilt der Bundestagsabgeordnete Lothar Mark. "In Mexiko wird mit den Menschenrechten nicht so umgegangen, wie es in zivilisierten Staaten üblich ist." Dies gelte vor allem auch für die Lage der indigenen Bevölkerung, an der sich dem Aufstand der Zapatisten 1994 de facto kaum etwas geändert habe: "Da gibt es immer großen Nachholbedarf", urteilt Mark.
Angesichts dieser Verhältnisse empfinden Menschenrechtsorganisationen die jüngsten Bekenntnisse der Regierung zur Wahrung der Menschenrechte als geradezu zynisch: Erst Mitte Juni hatte Mexiko den Vorsitz im neuen UN-Menschenrechtsrat übernommen.