Migration - Der Preis des Freihandels?
30. März 2006Formal gesehen ist das bis Freitag (31.03.) dauernde Treffen der drei Politiker ein Teil der Allianz für Sicherheit und Prosperität in Nordamerika (ASPAN). Aber im Grunde wird nur wenig vom trilateralen diplomatischen Mechanismus gesprochen, welcher im März 2005 gegründet wurde, um "das wirtschaftliche Wachstum, den Wettbewerb und die Lebensqualität zu fördern", sowie um "einen gemeinsamen Lösungsansatz in Sachen Sicherheit zu entwickeln". Hauptthema sind, trotz der Präsenz Kanadas, die bilateralen Beziehungen zwischen Mexiko und den USA und da vor allem die Migration.
Von Mauern und Schizophrenien
In Mexiko herrscht Empörung über den US-amerikanischen Vorschlag, einen Grenzzaun zu bauen, um den illegalen Einwandererstrom zu bremsen. Präsident Vicente Fox hat im Dezember 2005 die Nordgrenze Mexikos besucht und das Projekt als eine "schändliche Maßnahme" bezeichnet, welche die Menschen- und Arbeitsrechte verletze.
Tatsache ist, dass die Migrationspolitik der USA in den letzten Monaten von Schizophrenie gekennzeichnet war. Das Repräsentantenhaus hat Ende 2005 ein hartes Paket verabschiedet, bekannt als Sensenbrenner-Gesetz (benannt nach seinem Autor James Sensenbrenner). Das juristische Komitee des Senats jedoch hat diesen Vorschlag, welcher unter anderem vorsah, diejenigen zu bestrafen, die illegalen Immigranten humanitäre Hilfe leisten, wieder abgeändert. Gleichzeitig öffnete die Senatsinitiative die Türen für die mögliche Einbürgerung von Millionen von illegalen Arbeitern.
Diese Widersprüchlichkeit spiegelt die Position des Präsidenten Bush: Einerseits ist er unheilbar konservativ, andererseits sieht er sich von der Wahlsituation sowie von der wirtschaftlichen und sozialen Realität, die zur Immigration führt, in die Enge getrieben.
Die Immigranten: Lebewesen aus Fleisch und Blut
Die Protestmärsche, die am vergangenen Wochenende in mehreren Städten der USA stattgefunden haben, haben der Debatte über die Immigration eine neue Richtung gegeben. 500.000 Menschen demonstrierten in Los Angeles gegen die Verschärfung der Migrationspolitik. Dieser Marsch hat der Migration ein Gesicht gegeben. Plötzlich mussten die Amerikaner feststellen, dass die Immigranten nicht nur bedrohliche Schatten sind, sondern Menschen aus Fleisch und Blut: die Hausangestellte, der Gärtner, der Kellner im Lieblingsrestaurant, die Kinderfrau, der man die Aufsicht über die Kinder überlässt. Die Menschenflüsse zwischen so weit entfernten Punkten wie Kalifornien und Michigan stellen ein viel zu großes soziales Problem dar, als dass es ignoriert werden könnte.
Das Dilemma von Cancún
In der Touristenenklave, in der der Gipfel stattfinden wird, vereinen sich die regionalen Integrationsprozesse. Die Straßen und Strände von Cancún, die vom Hurrikan Katrina völlig zerstört worden waren, zeigen wieder ihre gewohnten englischen Schilder und der Handel sucht den Schutz des US-Dollar. Diesen Aufschwung verdankt Mexiko unter anderem der wirtschaftlichen Öffnung und dem nordamerikanischem Freihandelsabkommen (NAFTA).
Aber nicht ganz Mexiko ist Cancún, und das trilaterale Phänomen beschränkt sich nicht auf ein Wirtschaftsabkommen. Mehr als ein Jahrzehnt nach NAFTA ist die mexikanische Gesellschaft von Ungleichheit geprägt. Das Land der Azteken beherbergt mit Carlos Slim den drittreichsten Milliardär des Planeten, so die Zeitschrift Forbes, aber der Großteil der Bevölkerung hat seine Kaufkraft im Laufe von zwei Jahrzehnten schwindeln sehen. Das führt dazu, dass die Migration neue Formen annimmt. Die Armut hat das Monopol unter den Rechtfertigungen zum Verlassen des Landes verloren. Es gehen nicht nur noch die Bauern "auf die andere Seite", es wächst auch die Anzahl mexikanischer Akademiker, die sich nach Norden aufmachen.
Große Initiativen sind nicht zu erwarten
Überhaupt nicht förderlich ist da, dass der Gipfel nur wenige Monate vor der voraussichtlichen Abwahl des Präsidenten Fox stattfindet. Auch für den Präsidenten der USA, George W. Bush, und den kanadischen Premierminister, Stephen Harper, ist es nicht der beste Moment, um große Initiativen zu starten. Die Popularität von Bush schwindet aufgrund des Fiaskos im Irak, während Harper gerade erst wenige Wochen als Oberhaupt einer Minderheitenregierung überstanden hat. All dies lässt vermuten, dass die ASPAN bei dem Treffen in Cancún nicht die Hauptrolle spielen wird. Alle drei Staaten haben Probleme, die durchaus höhere Priorität haben.