Carl Theodor Dreyer
2. Juni 2009Warum sollte man sich heute noch die Filme eines dänischen Regisseurs anschauen, der die meisten seiner nur 14 Werke schon vor dem 2. Weltkrieg gemacht hat? Warum seinen letzten Film, dessen scheinbar altbackener, theatralischer Stil so gar nichts mit dem zu tun hat, was wir heute vom Kino erwarten: bewegte Bilder, virtuose Kamerafahrten, schnelle Schnitte und eine mit Musik unterlegte Handlung? Und warum einen Film, der doch tatsächlich von einer Auferstehung handelt, wohlgemerkt nicht vor biblischem Hintergrund?
Intensive Seherlebnisse
Die Filme des dänischen Autors und Regisseurs Carl Theodor Dreyer (1889 - 1986) sollte man sich aus einem einfachen Grund anschauen: weil sie etwas ganz und gar Einzigartiges an sich haben, etwas geradezu Archaisches. Meist erzählen sie ihre Geschichten ganz ruhig und bedächtig, voller Ernst und mit Hingabe, ganz unspektakulär, fast schon in einem erhabenen Stil. Sie erreichen damit (zumindest bei dem- oder derjenigen, die noch Muße haben sich auf solche Filme einzulassen) eine Intensität, die man gar nicht mehr zu kennen scheint im heutigen Kinoalltag, die sich einfräst beim Zuschauer.
Einblicke in fremde Welten
Dreyers Filme ziehen den Betrachter geradezu sogartig hinein in scheinbar fremde Welten. Das mag das Mittelalter sein, die Welt der heiligen Johanna oder die Schattenreiche der Vampire, die Epoche der Hexenverbrennungen oder auch das puritanische Dänemark zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dreyers Kosmos erscheint dem heutigen Zuschauer (übrigens auch schon dem früherer Kinoepochen) unendlich fern und erreicht doch etwas ganz Erstaunliches: eine Nähe zu den Menschen, die viel echter und authentischer ist als in vielen Ausstattungsfilmen, die mit viel Mühe und Geld den Versuch unternommen haben Historisches auf der Leinwand wieder aufleben zu lassen.
Immenser Einfluss
Und zuletzt gibt es noch einen weiteren Grund Dreyer wiederzusehen. Der Däne hat nicht nur viele skandinavische Regisseure beeinflusst, auch die französischen Filmemacher der Nouvelle Vague haben ihn bewundert. Eklatant aber ist seine Wirkung auf das Werk des gerade wieder so viel diskutierten Lars von Trier, das ohne die Filme Dreyers so nicht vorstellbar wäre.
Vier Filme Carl Theodor Dreyers sind jetzt auf DVD in einer Box erschienen:
"Ehret Eure Frauen" (1926)
Kurz vor seinem Meisterwerk "La Passion de Jeanne d´Arc" verarbeitete Dreyer in diesem moralischen, aber auch humoristischen Melodrama die Verwandlung eines zunächst bösartigen Familienoberhauptes in einen aufopferungsbereiten Menschen. Der Film ist heute weniger aufgrund der Story noch sehenswert, als vielmehr wegen der für Dreyer so typischen Stilmerkmale: "Die Konzentration auf das Wesentliche, die sich in minimalen Dekors niederschlägt, sowie die Charakterstudien, die sich im häufigen Gebrauch der Großaufnahme ausdrücken." (Kinowelt)
"Tag der Rache" (1943)
Ein Mittelalterdrama um Hexenverfolgung, Ehebruch und puritanische Eiferer. Die junge Frau eines ältern Pfarrers lässt sich mit dessen Sohn aus erster Ehe ein. Im sittenstrengen und gottgläubigen Dänemark ist das mehr als ein Eheverbrechen. Die Geschichte endet da, wo sie schon begonnen hat: mit der schrecklichen Praxis der Hexenverbrennung. "Dreyers vereinfachende Darstellungsform und Diskretion in der Inszenierung entspricht im Ästhetischen den asketischen Idealen des Puritanismus", schrieb der Filmpublizist Thomas Koebner über "Tag der Rache".
"Das Wort" (1954)
Immer noch eines der phantastischsten Werke der Filmgeschichte. Die unglaublichen Geschehnisse in einem Gutshof zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden von Dreyer in seiner typischen Art erzählt, still und langsam, bedächtig, intensiv. Von nichts geringerem als von einer tatsächlichen Auferstehung berichtet Dreyer hier. Die Schwiegertochter des Gutsbesitzers erwacht nach einer zunächst für Mutter und Kind tödlich verlaufenden Geburt zu neuem Leben. Der Schwager, der sich kurz zuvor noch für die Wiedergeburt Jesu gehalten hatte, sagt die entscheidenden Worte. Danach schlägt die Tote die Augen auf. Ein Film, der auch Atheisten und Agnostiker zum Grübeln bringen kann.
"Gertrud" (1964)
Dreyer stellt seine weibliche Hauptfigur hier gleich zwischen mehrere Männer. Der Film ist arrangiert wie ein Theaterstück mit überaus zurückhaltend agierenden Darstellern. Und doch verstehen es der Film und vor allem die Schauspielerin Nina Pens Rode auch heute noch den Zuschauer in Bann zu ziehen. In ihrer Geschichte des skandinavischen Kinos schreiben Michael Lachmann und Hauke Lange-Fuchs: "Auch hier bleibt Dreyer sich selbst treu in seiner Darstellung der ultimativen und absoluten Forderungen, die eine Frau an die Liebe und an die Männer stellt, die sie letztendlich nicht erfüllen. Stilistisch ist dieser Film ebenso kompromisslos wie seine Hauptperson."
Die Box mit den vier Dreyer-Filmen ist beim Anbieter "Kinowelt/Arthaus" erschienen.
Autor: Jochen Kürten
Redaktion:Petra Lambeck