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Menschenrechtsverletzungen verurteilt

17. Februar 2012

Trotz anhaltender Gewalt in Syrien kam im Weltsicherheitsrat keine Syrien-Resolution zustande. Nun hat jedoch die Vollversammlung die Menschenrechtsverletzungen verurteilt.

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Der UN Sicherheitsrat berät am 4.Februar 2012 über die Syrien-Resolution (Foto: AP)
Der UN Sicherheitsrat berät am 4.Februar 2012 über die Syrien-ResolutionBild: dapd

Angesichts der eskalierenden Gewalt in Syrien hat nun die UN-Vollversammlung reagiert und die Gewalt in Syrien verurteilt und Präsident Baschar Al Assad zum Rücktritt aufgefordert. 137 Staaten stimmten für diese Resolution. China und Russland stimmten wie weitere zehn Länder dagegen. Auch wenn sich viele Politiker, darunter Außenminister Guido Westerwelle, positiv zu der Resolution äußerten: bindend ist sie nicht, sie hat rein appellativen Charakter. UN-Sanktionen kann allein der Weltsicherheitsrat beschließen. Eine Beobachtermission oder die Entsendung von Blauhelm-Einheiten kommen momentan auch wegen der ablehnenden Haltung Syriens nicht in Frage. Außerhalb der Vereinten Nationen sieht der frühere deutsche UN-Botschafter Thomas Matussek jedoch Alternativen: "Man könnte in anderen Gremien oder auch einseitig Sanktionen beschließen oder Hilfsmaßnahmen für die Aufständischen ergreifen." In Berlin und weiteren Hauptstädten wird bereits laut über Sanktionen nachgedacht.

Sicherheitsrat blockierte sich

Zuvor war es wie ein Katz-und-Maus-Spiel: Erst scheiterte Anfang Februar die vielfach umformulierte Resolution, mit der die syrische Führung zum Einlenken gebracht werden sollte, am Widerstand Russlands und Chinas. Dann reiste der russische Außenminister nach Syrien; gleichzeitig zogen immer mehr Länder ihre Botschafter aus Damaskus ab. China und Russland gerieten in die weltweite Kritik. Nicht zuletzt, weil die Gewalt der syrischen Führung gegen die Aufständischen seit der im Sicherheitsrat gescheiterten Resolution deutlich zugenommen hat, wie auch die UN-Kommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, beklagt.

Der Weltsicherheitsrat hat sich mit dem Veto seiner beiden Ständigen Mitglieder in Sachen Syrien selbst blockiert. Dass er sich aber damit überflüssig macht, sieht Elisabeth Schöndorf von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin nicht: "Die Aufmerksamkeit, die dem Sicherheitsrat im Moment zukommt, zeigt seine Relevanz als einzigartiges Gremium, das die Hauptverantwortung trägt für internationalen Frieden und Sicherheit. Tragischerweise gab das Ausbleiben der Resolution anscheinend Anlass für einen sprunghaften Anstieg der Gewalt in Syrien."

Allerdings dürfe man nicht vergessen, dass es keine Alternative gebe, betont Elisabeth Schöndorf: "Wir haben kein anderes Gremium, das in diesem globalen Umfang eine ähnliche Funktion leisten könnte. Im Rahmen des Sicherheitsrates müssen Staaten miteinander verhandeln und Farbe bekennen." Matussek stimmt dem zu: "Der Sicherheitsrat ist das höchste Legitimitätsorgan, das die Welt hat und deshalb ist die moralische Autorität, die der Sicherheitsrat hat, nicht zu unterschätzen."

Eigeninteressen contra Menschlichkeit?

Dennoch war die Weltgemeinschaft empört angesichts solcher Durchsetzung eigener Interessen. Matussek kennt solche Situationen aus seiner Amtszeit in den Jahren 2006 bis 2009: "Wir halten das zu Recht für moralisch verwerflich, aber das ist etwas, was häufig vorkommt". Damals gab es bei mehreren Iran-Resolutionen eine ähnliche Lage: Jeder habe versucht, seine Interessen zu schützen.

Die Politikwissenschaftlerin Dr. Elisabeth Schöndorf, Stiftung Wissenschaft und Politik (Foto: A. Koroll)
Die Politikwissenschaftlerin Elisabeth Schöndorf von der Stiftung Wissenschaft und PolitikBild: A. Koroll

Und nicht nur bei Iran-Resolutionen scheint es so zu sein. Die jeweils eigenen Interessen zu wahren, ist gängige Praxis. Meist geht es um ein Abwägen zwischen Interessen und moralischen Bedenken, sagt der Politologie David Bosold. Aus seiner Sicht würde auch eine andere Besetzung des Sicherheitsrates nicht allzu viel an diesem Verhalten ändern. Als Beispiel nennt er Nigeria, das neben Indien, Brasilien, Japan und Südafrika potenzieller Kandidat für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat ist, sollte eine Reform des Rates zustande kommen. In der Vergangenheit habe es durchaus Situationen gegeben, bei denen Nigeria zumindest Korrekturen an den Resolutionsentwürfen einforderte, wenn nigerianische Interessen berührt wurden.

Schöndorf sieht das ähnlich: "Die Entscheidungen im Sicherheitsrat folgen nicht der Versuchsanordnung eines wissenschaftlichen Experiments." Es sei schwierig vorauszusagen, ob sich das Ergebnis von Entscheidungsprozessen änderte, wenn zum Beispiel mehr Entwicklungsländer in dem Gremium vertreten wären. Hinzu komme, dass man schlecht abschätzen könne, welche Verhandlungsdynamiken und vor allem auch welche neuen Koalitionen sich ergeben könnten, so Elisabeth Schöndorf.

UN-Charta widersprüchlich

Ein Grund für die derzeitige Sackgasse im Sicherheitsrat ist die UN-Charta selbst: Einerseits wird der Sicherheitsrat zur Wahrung des Weltfriedens und zur internationalen Sicherheit einberufen, andererseits schreibt die Charta vor, dass damit keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten verbunden sein soll. Dieser Konflikt spiegelt sich nach Ansicht des Politikwissenschaftlers David Bosold im Abstimmungsverhalten bestimmter Länder wider. Insbesondere Russland und China interpretierten das Prinzip der Nichteinmischung sehr restriktiv: "China hat sich immer gegen humanitäre Interventionen gewandt. Und wenn es keine Effekte wie große Flüchtlingsströme oder den Ausbruch eines Krieges hat, wird China maximal bereit sein, sich der Stimme zu enthalten."

ThoDer ehemalige deutsche UN-Botschafter Thomas Matussek (Foto: dpa)
Der ehemalige deutsche UN-Botschafter Thomas MatussekBild: picture-alliance/dpa

Zugleich hat sich in den letzten Jahren die Diskussion um das Prinzip der "responsibility to protect", also einer Schutzverantwortung für Zivilisten auch seitens der internationalen Gemeinschaft, entwickelt. Sie gelte immer dann, wenn Staaten nicht willig oder fähig sind, die Verantwortung selbst zu übernehmen, erläutert die Politikwissenschaftlerin Schöndorf. Schwierig werde es aber stets, wenn es um die Souveränität gehe. Ein Anfang sei gemacht, so Schöndorf: "Aber es wird noch langer Lernprozesse und Anpassungen bedürfen, bis der Sicherheitsrat zu einem Umgang mit dieser Idee der Schutzverantwortung gefunden hat, ebenso wie mit der Frage, mittels welcher Instrumente sie im Einzelfall auch tatsächlich umgesetzt werden kann."

Autorin: Sabine Hartert-Mojdehi
Redaktion: Daphne Grathwohl