Das große Nichts
12. Januar 2014"Das Entscheidende war, am Anfang so schnell wie möglich ein Team zu entsenden, das den tatsächlichen Bedarf feststellt, um gezielt Hilfe einsetzen zu können." So resümiert Gerd Friedsam, der Leiter des technischen Hilfswerkes (THW), den Einsatz auf Haiti. Am 12. Januar 2010 war die Karibik-Insel durch ein Erdbeben verwüstet worden. Das Beben erreichte einen Wert von 7,3 auf der Richterskala. Mehr als 200.000 Menschen kamen ums Leben. Über drei der neun Millionen Einwohner wurden obdachlos. Durch die katastrophalen hygienischen Zustände kam es Monate später zu einer Cholera-Epidemie.
230 Millionen Euro Spenden
Michael Deininger, Leiter des Wasserwerks im südbayerischen Marktdießen war einer der ersten Helfer vor Ort. Um 8:35 Uhr des Katastrophentages wurde er auf seiner Arbeitsstelle angerufen, mittags startete er bereits von Frankfurt aus in die Karibik, um in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince die zerstörte Wasserversorgung wieder aufzubauen. "Durch andere Einsätze, wie in Pakistan, kannte ich schon Zerstörung. Aber eine so große Zerstörung in einer Stadt wie Port-au-Prince habe ich noch nicht gesehen", sagt er im Gespräch mit der DW.
Das THW sicherte in wenigen Tagen die Wasserversorgung, errichtete Notlager und versuchte, die Infrastruktur wiederherzustellen. Nach einem halben Jahr begann das THW mit längerfristig angelegten Projekten, die zum Beispiel die hygienischen Bedingungen verbessern sollten.
17 Millionen Euro stellte die deutsche Bundesregierung zur Verfügung, um Hilfsorganisationen Sofortmaßnahmen zu ermöglichen. Die Bilder der Verwüstung auf Haiti und der tausenden Toten gingen um die Welt. Im Verlauf des Jahres wurden zusätzlich 230 Millionen Euro für die notleidenden Menschen der Insel gespendet.
Wettstreit der Hilfsorganisationen
Auch Volker Gerdesmeier hat beim Schnelleinsatz und später beim Wiederaufbau von Haiti geholfen. Als Mitarbeiter des katholischen Hilfswerks Caritas hat er zuletzt vor einem halben Jahr die Karibikinsel besucht. Seiner Einschätzung nach ist auf Haiti von den Hilfsorganisationen viel erreicht worden. "Im Februar 2010 waren sämtliche großen Plätze Zeltstädte. Es gab enorm viel Schutt. Die Leute waren hochtraumatisiert und die Infrastruktur war an vielen Stellen zerstört. Heute sind die großen Zeltstädte eigentlich aufgelöst - auch wenn es immer noch etwa 250.000 Menschen gibt, die in Zeltstädten leben. Viele Plätze sind wieder normale funktionierende Plätze geworden" beschreibt Gerdesmeier die wichtigsten Änderungen.
Die Zusammenarbeit mit der Bundesregierung und den anderen deutschen Hilfsorganisationen sei auf Haiti sehr gut verlaufen. Es habe aber auch viele unprofessionelle Organisationen gegeben, die mit ihren Aktionen eher behinderten, als halfen. "Wir haben in der akuten Nothilfe Listen von Bedürftigen erstellt, um Korruption zu vermeiden. Das war eine sehr aufwändige Arbeit. Wir hatten Hilfsgüter bereit, um sie zu verteilen. Dann kam eine italienische Organisation, die fragte, ob sie Listen nutzen kann, um ihre Hilfsgüter zu verteilen", erklärt Volker Gerdesmeier im Gespräch mit der DW. Seine Kollegen gaben die Listen an die italienische Organisation weiter. Die allerdings verteilte ohne Rückfrage dieselben Mittel wie die Caritas. "Das war vollkommen hirnrissig", regt sich der Caritas-Helfer noch heute auf.
Wiederaufbau ohne funktionierenden Staat
Auch Jutta Meissner vom Hilfswerk der Johanniter hat daran mitgearbeitet, auf Haiti die Nothilfe zu organisieren und besuchte das Land noch vor wenigen Monaten. Ihre Bilanz fällt weniger positiv aus, als die ihres Kollegen Gerdesmeier. "Man kann nicht sagen: Wir schließen die Camps und den Leuten geht es besser. Die Menschen sind weggeschickt worden. Die meisten leben noch sehr eng gedrängt", sagt die Johanniter-Fachbereichsleiterin für Hilfe in Südostasien und Lateinamerika. Es sei viel getan worden, aber "es ist bei weitem nicht genug".
Zu helfen sei auf Haiti schwieriger gewesen als in anderen Katastrophengebieten, erklärt Meissner im Gespräch mit der DW. "Der Staat war nicht existent. Beim Wiederaufbau mussten wir feststellen, wem das Land gehört, das wir nutzen wollten. Aber es stellte sich heraus, es gibt kein Katasteramt." Ein aufwändiger Marsch von einer Institution zur anderen sei nötig gewesen, um die richtigen Papiere für die Hilfsmaßnahmen zu bekommen. Außerdem habe es kaum verlässliche Partner im Land gegeben. Deshalb sei man mit Hilfsmaßnahmen auf den Philippinen, die erst im Herbst 2013 von einem Taifun verwüstet worden waren, heute weiter als mit Projekten auf Haiti. Vor allem im Hinterland Haitis seien die Zustände noch katastrophal.
Langfristige Vorsorge ist nötig
Um auf Haiti nicht nur akute Nothilfe zu leisten, sondern auch langfristig Katastrophenvorsorge zu betreiben, fördert das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein mehrjähriges Projekt der Caritas. "Da gibt es einen Riesenbedarf in Haiti, und diese langfristige Förderung bis 2016 hilft uns enorm", betont Volker Gerdesmeier.
Das Caritas-Projekt setzt auf verschiedenen Ebenen an. Es umfasst Erosionsbekämpfung und Wiederaufforstung genauso wie die Ausbildung von Katastrophenhelfern und das Anlegen von Evakuierungswegen. Damit die Umsetzung im Notfall schnell und effizient erfolgt, werden 3000 Haitianer in die Arbeit einbezogen und ausgebildet. Haiti sei zwar nach wie vor das ärmste Land Lateinamerikas, erklärt Caritashelfer Gerdesmeier. Dennoch sei viel erreicht worden und der Wiederaufbau auf einem guten Weg.