Videodays in Köln: Der Club der Berührbaren
19. August 2016Zehn Teenager mit identischen T-Shirts und ein elfter im Kapuzenpulli - man könnte sie für eine Promotion-Truppe kurz vor dem Startschuss zum Give-away-Marathon halten. Doch weit gefehlt. Hier posieren Video-Künstler: Sie singen, tanzen, machen Witze oder reden sich einfach um Kopf und Kragen, natürlich alles vor einer Kamera - meist der ihres Handys. Damit nämlich lassen sich die Videos im Daumenumdrehen ins Internet hochladen, um sie bei verschiedenen Online-Diensten dem weltweiten Publikum zugänglich zu machen - ganz im Sinne der "Generation Selfie".
Die "Videodays" sind laut Veranstalter Europas größtes Treffen dieser Community: 2015 lockten weit über 200 Künstler 15.000 Besucher in die Kölner Lanxess-Arena, so viele sollen es dieses Jahr mindestens werden.
YouTuber, Snapchatter oder Instagrammer werden die Künstler genannt - je nachdem, auf welcher Plattform sie unterwegs sind. Die zehn T-Shirt-Träger sind Muser, sie repräsentieren musical.ly, eine relativ junge Handy-App, die ausschließlich Clips bis 15 Sekunden erlaubt. Zeit genug, um einfach mal etwas Langeweile zu verkürzen, erklärt die 15-jährige Ploy (Artikelbild: zweite von rechts), die auf ihrem musical.ly-Kanal @plooy vor allem Playbackvideos hochlädt und immerhin schon knapp 30.000 Follower hat, die ihre Clips abonniert haben. Damit ist sie eher ein Sternchen, verglichen mit den 13-jährigen Zwillingen Lisa und Lena (Artikelbild außen), die gleich auf mehreren Plattformen sechsstellige Follower-Zahlen vorweisen können und bereits einen Werbevertrag mit einem Modelabel hatten.
Geld mit oder zumindest dank musical.ly verdienen - das ist für den 18-jährigen Hamudi (Artikelbild: dritter von links) mit seinen knapp 30.000 Followern noch kein Thema: "Wenn sich das mal ergibt - warum nicht", sagt er, "aber erstmal macht es mir einfach Spaß, die Leute zu unterhalten". Das Talent dazu hat er gerade auf der musical.ly-Bühne im Eingangsbereich der Lanxess-Arena in Köln bewiesen und rund 150 andere Teenager in kreischende Verzückung versetzt.
Stars zum Anfassen
Genau solche Talente sucht man bei Mediakraft. Das Kölner Unternehmen ist auf Onlinemedien spezialisiert, entwickelt eigene Formate und kümmert sich um Management und Vermarktung von Videokünstlern. Mit ihrer Bekanntheit seien sie wichtige Werbeträger für die konsumfreudige Zielgruppe der 13- bis 23-Jährigen, sagt Pressesprecher Michael Frenzel.
In der zweitägigen Veranstaltung in Köln sieht Frenzel eine wichtige Motivation für die jungen Werbeträger: "Die Videodays sind einfach ein sehr interessantes Event, bei dem sich die Künstler präsentieren können. Wann hat man schon mal die Gelegenheit, vor 15.000 Leuten aufzutreten?"
Und das ganz real. Denn - anders als "herkömmliche" Stars - warten die Internet-Künstler nicht im Backstage-Bereich auf ihren Auftritt. Sie laufen durch die Gänge, sind ansprechbar, nahbar, greifbar. Die Künstler schütteln Hände, geben Autogramme, umarmen ihre Fans und bedanken sich für die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, mit - natürlich - einem Selfie.
Runter vom "Künstler-Olymp"
Ploy, Hamudi und auch die Zwillinge Lisa und Lena - sie verdanken ihren jungen Ruhm dem Internet. Hier sind sie zu kleinen oder größeren Promis geworden. Das ist bei "Ees" anders. Eric Sell, wie er bürgerlich heißt, ist Musiker. In seinem Heimatland Namibia ist er schon länger eine ziemlich große Nummer: Neben weiteren Preisen gewann er 2009 bei den MTV Africa Music Awards den "Listener Choice Award". Aber auch in der deutschen Reggae-Szene kennt man ihn vom Kölner Summerjam oder dem Aschaffenburger Afrika-Karibik-Festival.
Solche Festivals, sagt er, haben relativ wenig mit den Videodays gemeinsam: "Die Videodays sind einfach das nächste Level, digital, Tausende Kameras, sehr viel Aufmerksamkeit", erklärt er. "Festivals dagegen sind viel gechillter und mehr auf die Musik fokussiert." Auch auf Konzerten, sagt er, streift er schon einmal durch die Fans, wenn ihm danach ist. "Aber hier ist es ein Muss."
Dass es dem 32-Jährigen stärker als anderen hier um seine Kunst als um sich selbst geht, ahnt man bereits, wenn man seine Musikvideos sieht: Proficlips statt Handyfilmchen, Studiosound statt Wohnzimmer-Akustik. Ees hat seine eigene Produktionsfirma und weiß, dass richtige Musikvideos im Internet immer noch zu den wichtigsten Marketinginstrumenten gehören. Aber er nimmt auch die Herausforderung an, jüngere Fans für sich zu gewinnen: "Früher war ein LP-Cover genug. Du hast den Künstler gesehen, wenn er auf die Bühne kam, wenn das Licht gut war, hinten etwas Rauch, fertig. Heute reicht das den jungen Leuten nicht mehr. Die wollen am besten alles von dir sehen: wie du Schwimmen gehst, Duschen, einfach alles."
Ganz so weit geht Ees nicht. Aber seit 2013, sagt er, lädt er jede Woche mindestens einen Clip von sich auf YouTube hoch: "Ich zeige, wie ich mit den Buschmännern Feuer mache, wie ich Nashörnern hinterherlaufe. Wie ich reagiere, wenn zum Beispiel ein Löwe hinter mir sitzt, das wollen die Leute sehen und damit erreiche ich auch neue Fans in Deutschland."
In gewisser Weise, findet Ees, holt diese virtuelle Nähe die Künstler von ihrem Olymp herunter. Bedauern will er dies aber nicht. Denn das ist ja das Besondere an der Videodays-Community: Fans machen echte Menschen zu Stars. Ohne dass Produzenten entscheiden, wer überhaupt ein Chance dazu bekommt.