US-Truppen beginnen Abzug
23. Juni 2011In einer im Fernsehen übertragenen Ansprache an die Nation erklärte der US-Präsident am Mittwoch (22.06.2011), der Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan könne beginnen, weil die selbstgesetzten Ziele in Afghanistan erreicht würden. "Al Kaida steht stärker unter Druck als je zuvor seit dem 11. September", sagte Obama. Mehr als die Hälfte der Anführer sei getötet worden, allen voran Osama bin Laden. Seit über sieben Jahren, hieß es aus dem Weißen Haus, gebe es keine Anzeichen, dass in Afghanistan ein Anschlag gegen die USA geplant werde. Die Führer der Terrororganisation Al Kaida befänden sich, sofern sie nicht von den USA getötet wurden, in Pakistan. Al Kaida sei auch nicht mehr in der Lage, in Afghanistan Terroristen auszubilden.
Taliban schwere Verluste zugefügt
Auch den Taliban habe man schwere Verluste zugefügt und mehrere ihrer Hochburgen eingenommen, sagte Obama in seiner Ansprache aus dem Weißen Haus. "Gemeinsam mit unserer Truppenverstärkung haben unsere Alliierten ebenfalls ihr Engagement verstärkt", betonte er. Das habe geholfen, größere Teile des Landes zu stabilisieren. Die Zahl der afghanischen Sicherheitskräfte liege derzeit bei über 100.000. In einigen Provinzen und Gemeinden habe die Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Kräfte, die von der NATO in Lissabon im letzten Jahr beschlossen und bis 2014 beendet sein soll, bereits begonnen. "Angesichts von Gewalt und Einschüchterung", sagte Obama, "kämpfen und sterben Afghanen für ihr Land, richten lokale Polizeistationen ein, öffnen Märkte und Schulen und geben so Frauen und Mädchen neue Chancen und versuchen, nach Jahrzehnten des Krieges ein neues Kapitel aufzuschlagen."
Einlösung des Versprechens von West Point
Im Dezember 2009 hatte Obama in einer Rede in der Militärakademie West Point eine Truppenverstärkung von 30.000 Soldaten befohlen, später gab er weiteren 3000 Soldaten zur logistischen Unterstützung dieser Kampftruppen den Marschbefehl. Gleichzeitig hatte Obama in West Point aber den Juli 2011 als den Zeitpunkt genannt, zu dem er diese Verstärkung wieder abziehen wolle. Dieses Versprechen löst er jetzt ein. Dabei gibt er der Bitte seiner Militärs teilweise nach, die Truppen nicht zu schnell abzuziehen. Die Lage in Afghanistan wird von Seiten der Generäle als "instabil" beschrieben. Die durch die Truppenverstärkung erreichten Erfolge seien nicht unumkehrbar. Als "Hauptkampfzeit" gilt in Afghanistan der Sommer. Der jetzt von Obama vorgelegte Plan erhält dem Militär nahezu die volle Kampfstärke in diesem Sommer und den Großteil im nächsten Sommer. Derzeit befinden sich rund 100.000 US-Soldaten in Afghanistan, hinzu kommen gut 40.000 Soldaten der Internationalen Einsatztruppe ISAF.
Auch Geld spielt eine Rolle
Obama warnte in seiner Rede auch davor, dass es nicht einfach werde, die erzielten Erfolge zu halten. "Große Herausforderungen bleiben bestehen", sagte er. Der scheidende Verteidigungsminister Robert Gates hatte erst vor kurzem vor einem zu schnellen Abzug der Truppen gewarnt. Dem entgegen stehen jedoch die Kosten des Einsatzes, die sich derzeit auf zehn Milliarden Dollar pro Monat belaufen. Auch darauf ging der Präsident in seiner Rede ein. Eine Billion Dollar hätten die USA im letzten Jahrzehnt für Kriege ausgegeben, vor allem in Afghanistan und Irak. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten sei es jetzt an der Zeit, so Obama, das Geld im eigenen Land und die eigene Bevölkerung zu investieren. "Amerika, es ist Zeit, sich auf die Nationenbildung hier zu Hause zu konzentrieren", erklärte er. Der Präsident entspricht damit dem Wunsch der Mehrheit der Amerikaner, die kriegsmüde sind und die die Soldaten sobald wie möglich abgezogen sehen wollen. Selbst republikanische Abgeordnete, die bisher den Kurs des Präsidenten in Afghanistan unterstützten, sprechen sich inzwischen für den Truppenrückzug aus.
Ermahnung an Pakistan
In seiner Rede ging der US-Präsident auch auf Pakistan ein. Das Verhältnis der beiden Staaten gilt als schwierig. Einerseits unterstützt Pakistan den amerikanischen Kampf gegen den Terrorismus, andererseits sind offenbar Teile des pakistanischen Militärs und Geheimdienstes von Terroristen unterwandert. Die US-Regierung führte deswegen die Aktion gegen den Al-Kaida-Anführer Osama Bin Laden auf pakistanischem Staatsgebiet durch, ohne die Regierung in Islamabad darüber zu informieren. "Wir bestehen darauf", sagte Obama, "dass die pakistanische Regierung ihre Verpflichtungen einhält." Und dann fuhr Obama fort: "Solange ich Präsident der Vereinigten Staaten bin, werden wir Zufluchtsorte derer, die uns töten wollen, nicht tolerieren. Sie können uns und der gerechten Strafe nicht entkommen."
Der Präsident nutzte die Gelegenheit für einige grundsätzliche Worte zu seiner Außenpolitik. Er war in letzter Zeit für den Einsatz des amerikanischen Militärs in Libyen kritisiert worden. Während die einen eine stärkere Rolle der USA fordern, zweifeln andere den Einsatz in Libyen grundsätzlich an. Das US-Militär beschränkt sich nach einem massiven Bombardement zu Beginn des NATO-Einsatzes in Libyen derzeit auf logistische Unterstützung im Hintergrund. Obama betonte, dieser "Mittelweges" sei richtig. Die USA dürften sich nicht heraushalten, wenn es darum gehe, Unschuldige zu schützen, könnten sich aber nicht überall massiv engagieren.
Am Dienstag hatte der US-Präsident nach Angaben seines Sprechers Jay Carney die endgültige Entscheidung über den Umfang des Rückzugs aus Afghanistan getroffen, nachdem er sich in den letzten Wochen mehrfach mit den Mitgliedern seines nationalen Sicherheitsrates beraten hatte. Obama informierte den afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, den pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari sowie einige Staats- und Regierungschefs der in Afghanistan engagierten Nationen, unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel, am Mittwoch telefonisch über seine Entscheidung. Über die weitere Zukunft Afghanistans soll im Dezember in Bonn auf einer internationalen Konferenz beraten werden. Mehr als 1000 Delegierte aus über 90 Staaten werden erwartet. Im Mai 2012, das kündigte Präsident Obama ebenfalls an, soll es dann eine weitere Afghanistan-Konferenz in Chicago geben.
Autorin: Christina Bergmann, Washington
Redaktion: Marko Langer