Machen Gerichte Trump zum Gewinner?
4. November 2020Noch sind die Stimmen bei der US-Präsidentschaftswahl in den entscheidenden Schlüsselstaaten nicht ausgezählt. Doch Amtsinhaber Donald Trump versucht bereits, Fakten zu schaffen. "Wir haben diese Wahl gewonnen", sagte Trump am Mittwochmorgen vor Anhängern. Doch auch Trump dürfte klar sein, dass am Ende nicht er selbst über den Wahlausgang entscheidet.
In seiner kurzen Ansprache nach einer langen Wahlnacht kündigte Trump daher auch an, welchen Weg er nun einschlagen will, um im Weißen Haus zu bleiben. "Wir ziehen vor das Oberste Gericht." Dort könnte sich die Wahl also am Ende entscheiden.
Was genau der amtierende US-Präsident vor Gericht bringen will, ist nicht ganz klar. Im nächsten Satz sagte er: "Wir wollen, dass das Wählen beendet wird." Zum Zeitpunkt seiner Rede hatten jedoch bereits alle Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben. Beobachter vermuten, Trump wolle die Auszählung der Briefwahlunterlagen unterbinden - in der Hoffnung, dass sein Herausforderer Joe Biden von den Demokraten nicht in wichtigen Bundesstaaten wie Pennsylvania und Michigan an ihm vorbeizieht.
Endgültiges Ergebnis dauert immer
Dass das Ergebnis nicht am Wahlabend stehe, sei ein ganz normaler Vorgang, sagt Ellen Weintraub von der Bundeswahlkommission FEC am Dienstag zu CNN. "Am Ende des Wahltags hatten wir niemals offizielle Ergebnisse. Die kommen Wochen später." Wichtig sei, dass alle Stimmen ausgezählt werden, so die Kommissarin.
Und dafür ist noch Zeit. Wie der Faktencheck der Deutschen Welle ergab, akzeptieren 21 Staaten Briefwahlunterlagen auch noch später, falls sie einen Poststempel vom 3. November 2020 haben. Dazu gehören die noch nicht ausgezählten Staaten Pennsylvania, Nevada und North Carolina. Die Frist ist von Bundesstaat zu Bundesstaat unterschiedlich. Nach Angaben der National Conference of State Legislature nimmt Kalifornien Unterlagen bis zu 17 Tage nach dem Wahltermin an.
Anwälte gehen in Stellung
Trumps Ankündigung weckt Erinnerungen an das Jahr 2000. Damals war der Bundesstaat Florida heiß umkämpft. Al Gore, US-Vizepräsident und Demokrat, lag dort nach ersten Auszählungen nur etwa 1800 Stimmen hinter George W. Bush von den Republikanern. Nach dem Wahlrecht in den USA fallen - in fast allen Bundesstaaten - alle Wahlleute eines Bundesstaats dem Kandidaten zu, der eine einfache Mehrheit aller Stimmen erhält. Damit mussten die Wahlleute von Florida über den nächsten US-Präsidenten entscheiden, denn bei den übrigen Bundesstaaten lagen Gore und Bush fast gleichauf.
Al Gore, der seinem Kontrahenten eigentlich schon zum Wahlsieg gratuliert hatte, forderte also eine erneute Auszählung in Florida. Bei sehr knappem Wahlausgang sieht das Gesetz dies vor. Der Vorsprung der Republikaner schrumpfte auf weniger als 1000 Stimmen. Mit jeder weiteren Auszählung konnte sich Gore größere Hoffnungen auf die Präsidentschaft machen. Armeen von Anwälten wurden in Stellung gebracht, der Oberste Gerichtshof von Florida angerufen, schließlich der Oberste Gerichtshof der USA.
Ein guter Verlierer namens Al Gore
Am 12. Dezember 2000 entscheiden die Richter: Bei der Auswertung der von Hand gezählten Stimmen habe man in Florida keinen einheitlichen Standard angelegt. Eine weitere Neuauszählung komme nicht mehr in Frage. Damit macht der Oberste Gerichtshof George W. Bush zum Präsidenten.
Ein Szenario, das sich in ähnlicher Form nun wiederholen könnte? "Ja, da gibt es sicher Parallelen", sagt Peter Wittig im DW-Gespräch, bis 2018 deutscher Botschafter in Washington. "Wir wissen ja, dass es insgesamt fast 400 Anfechtungen in regionalen Kontexten gibt, die bei verschiedenen Gerichten landen. Wir müssen uns also auf eine rechtliche Auseinandersetzung einstellen."
Bruce Ackerman, Verfassungsexperte und Professor an der Yale Law School, glaubt nicht, dass der Oberste Gerichtshof, auf dieselbe Art und Weise wie im Jahr 2000 über den Wahlausgang entscheiden werde. Vor der Wahl sagte er gegenüber der DW: "Nicht nur in einem Staat, sondern in sechs bis acht Bundesstaaten wird es hart umkämpfte Wahlen geben. Es wäre für den Obersten Gerichtshof ziemlich unmöglich, in sechs bis acht Staaten einzugreifen."
Supreme Court nicht die richtige Adresse
Der Faktencheck ergab außerdem: Trump ist mit seiner Aussage, vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen, unbedacht vorgeprescht. Er kann den Supreme Court gar nicht direkt anrufen. Alle rechtlichen Fragen müssen zuerst die Gerichtsbarkeit der Bundesstaaten durchlaufen, wie Ackerman erklärt.
Wittig erkennt einen weiteren großen Unterschied zum Jahr 2000: "Wir erinnern uns, dass Gore dann irgendwann die Segel gestrichen hat und als fairer Verlierer vom Platz gegangen ist." Gore habe das große Ganze, die Stabilität der Demokratie, in den Vordergrund gestellt. "Und ob ein Rechtsstreit diesmal so in Fairness endet, wie das im Jahr 2000 der Fall war, das wage ich zu bezweifeln."
Belastungsprobe für die Demokratie
Noch werden Wahlstimmen in den USA ausgezählt. Und noch ist nicht klar, um welche Fragen sich ein möglicher Rechtsstreit drehen könnte, wenn keiner der Kontrahenten seine Niederlage eingesteht. Doch kommt es wirklich zum Showdown vor dem Obersten Gerichtshof wie im Jahr 2000, dann hat Trump zumindest die Gewissheit, dass konservative Richter dort in der Mehrheit sind. Schließlich stand er erst vor einer Woche neben seiner Wunschkandidatin Amy Coney Barrett, als diese ihren Amtseid als neue Oberste Richterin leistete.
Würde der Oberste Gerichtshof politisch entscheiden? Auch das ist nicht klar. Es wäre ein Schritt, der die US-amerikanische Demokratie und ihre jahrhundertealten Institutionen aushöhlen würde. "Wir gehen in eine Phase großer Unsicherheit in den nächsten Stunden und vielleicht Tagen", sagt der ehemalige deutsche Botschafter in Washington, Peter Wittig. "Es geht darum, ob der politische Prozess seinen üblichen und korrekten Gang gehen kann oder ob irgendwelche Manöver den Auszählungsprozess stören." Die amerikanische Demokratie stehe vor einer Belastungsprobe.
Mitarbeit: Susanne Baldsiefen
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