"Unklar, wie viele Menschen in Aleppo sind"
16. Dezember 2016Deutsche Welle: Die Evakuierung der Menschen in Ost-Aleppo hat am Donnerstag begonnen. Laut Medienberichten ist sie nun am Freitagvormittag gestoppt worden. Können Sie das bestätigen?
Alexandra Burck: Ja, wir können das bestätigen. Die Evakuierungen sind gestoppt, beziehungsweise hoffentlich nur unterbrochen worden. Es ist jetzt Aufgabe der Konfliktparteien, die Sicherheit wiederherzustellen und zu garantieren, sowohl für die zu evakuierenden Menschen als auch für die Helfer. Zu den näheren Hintergründen haben wir keine Erkenntnisse.
Was macht das Rote Kreuz denn zurzeit in Aleppo?
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz organisiert gemeinsam mit dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond die Evakuierung der Menschen aus Ost-Aleppo. Außerdem versorgen sie die Geflüchteten mit dem Nötigsten. Das Deutsche Rote Kreuz unterstützt den Roten Halbmond bereits seit 2012, hauptsächlich mit der Lieferung von Hilfsgütern.
Wie kann man sich die Evakuierung, die hoffentlich bald wieder laufen wird, vorstellen?
Wir sind von den Konfliktparteien - wir, das ist in dem Fall der Syrisch-Arabische Rote Halbmond und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz - gefragt worden, die Evakuierung zu unterstützen. In Bussen werden die Menschen zunächst aus dem Ostteil der Stadt in den Westteil gebracht. Es sind über 100 Helfer des Syrisch-Arabischen Roten Halbmondes in diese Evakuierung involviert und unterstützen sie aktiv. Es sind auch vier Ambulanzen dabei. Allein am Donnerstag wurden 40 Verwundete evakuiert und ungefähr 3.000 Zivilisten. Das Rote Kreuz ist auch in die Betreuung der Geflüchteten beziehungsweise der Evakuierten involviert.
Betreuung - was heißt das genau in diesem Fall?
Die Menschen werden in Notunterkünfte gebracht, wie auch schon jene, die in den vergangenen Tagen aus dem Ostteil der Stadt geflohen waren. Vor Ort werden allein jeden Tag 6.000 warme Mahlzeiten ausgegeben von Helfern des Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes.
Es werden Wassertanks bereitgestellt, Latrinen aufgebaut. Da, wo viele Menschen auf engem Raum zusammen sind, ist es ganz wichtig, dass Hygienemaßnahmen eingehalten werden, um der Ausbreitung von Krankheiten vorzubeugen. Deshalb müssen sanitäre Einrichtungen aufgebaut werden. All diese Dinge müssen jetzt eiligst und sehr schnell passieren, denn der Zustrom der Menschen hält weiterhin an. Und wir haben die Situation, dass eben wirklich viele Menschen auf Hilfe angewiesen sind, weil sie ihre Heimat verlassen haben.
Sie haben gerade gesagt, dass allein am Donnerstag etwa 3.000 Menschen in Sicherheit gebracht wurden. Wissen Sie, wie viele Menschen insgesamt evakuiert wurden und wie viele noch auf ihre Evakuierung warten?
Es waren bereits in den vergangenen Tagen ungefähr 50.000 Menschen aus dem Ostteil der Stadt geflohen. Wie viele noch evakuiert werden müssen, ist unklar. Wenn Sie sich die Bilder von Ost-Aleppo anschauen - Ruinen, so weit das Auge reicht - ist unklar, wie viele Menschen sich da noch verborgen halten und wie viele noch evakuiert werden müssen. Wir gehen davon aus, dass die Evakuierung - sofern sie denn weiterläuft - noch mehrere Tage dauern wird.
Gibt es denn bei der Evakuierung eine Reihenfolge, also Kranke und Kinder zuerst?
Die Menschen kommen ja nicht alle gleichzeitig. Priorität haben natürlich die Verletzten. Für sie wurden auch die vier Ambulanzfahrzeuge bereitgestellt. Die Verwundeten werden dann in Gesundheitseinrichtungen in der Großregion Aleppo oder in den Westen der Stadt weitergebracht.
Was sind denn die Hauptherausforderungen bei der Evakuierung?
Die Hauptherausforderung bei der Evakuierung ist, dass das Ganze in Sicherheit passiert und dass wir die Garantien haben, dass die Menschen unbeschadet evakuiert werden können und dass auch unsere Helfer unbeschadet bleiben. Die weitere Herausforderung hatte ich ja schon geschildert: Die Versorgung der Menschen insgesamt. Das ist eine immense Zahl an Menschen, die ihre Wohnungen verlassen haben, und nun auf Versorgung angewiesen sind, weil sie nichts mehr haben.
Wo werden die Menschen hingebracht? In den Westteil der Stadt und nach Idlib? Was heißt das für sie?
Ja, die Menschen werden in den Westteil der Stadt und nach Idlib gebracht. Wir sind eine humanitäre Organisation, die sich darum kümmert, dass den Menschen in ihrer Notlage geholfen wird. Ich kann Ihnen nicht sagen, was für politische Implikationen das jetzt genau hat. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass die Menschen versorgt werden.
Alexandra Burck ist Pressereferentin (Ausland) des Deutschen Roten Kreuzes.
Das Gespräch führte Stephanie Höppner.