Ungarns Coup gegen die Demokratie
5. April 2017Die Central European University, kurz CEU, steht für all das, was unter der rechtsgerichteten Regierung Ungarns in Gefahr ist: freie Bildung, Meinungsfreiheit, Transparenz und internationale Beziehungen. Nun könnten ihre Tage in der ungarischen Hauptstadt gezählt sein. So verabschiedete das Parlament in Budapest am Dienstag ein Gesetz, das neue Bedingungen für den Betrieb internationaler Universitäten in Ungarn vorschreibt. Die private ungarisch-amerikanische CEU erfüllt diese Bedingungen nicht.
Konkret geht es um zwei Punkte: Zum einen sollen in Ungarn tätige ausländische Universitäten - ausgenommen sind andere EU-Länder - künftig auch einen Campus in ihrem Heimatland haben. Zum anderen wird durch das neue Gesetz das Recht solcher Universitäten eingeschränkt, ungarische Diplome zu verleihen.
Angriff auf die Wissenschaft
Diese Kriterien erfüllt in ganz Ungarn genau eine Universität: Die CEU. Genau sie scheint Ministerpräsident Viktor Orban treffen zu wollen. Zumindest bekräftigte er zuletzt wiederholt die Absicht, die Hochschule aus dem Land zu drängen. "Betrug" nannte er die Praktiken der CEU in einem Rundfunkinterview. Dass die Universität Diplome vergebe, die sowohl in den USA als auch in Ungarn gültig seien, stelle ein "unfaires Privileg" gegenüber ungarischen Universitäten dar, betonte Orban.
"Dieser Vorwurf ist völlig falsch", meint Zsolt Enyedi, Politikwissenschaftler an der CEU, im Interview mit der DW. "Wir sind eine amerikanisch-ungarische Universität, die zwei Bildungssysteme miteinander verbindet und sowohl die amerikanischen als auch die ungarischen Kriterien erfüllt." Auch der Rektor der Elite-Universität, Michael Ignatieff, wird deutlich: "Der Gesetzentwurf zielt direkt auf uns und diskriminiert uns. Es ist ein inakzeptabler Angriff auf die akademische Freiheit."
Martin Brusi ist Politikwissenschaftler an der Babes-Bolyai-Universität im rumänischen Cluj-Napoca und Experte für politische Entwicklungen in Osteuropa. In Ungarn sieht er nicht nur die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr. Vielmehr füge sich das Hochschulgesetz ein in die Politik der amtierenden Fidesz-Partei, "die sich gegen jegliche unabhängige Organisationen richtet".
Kontrolle des Bildungssystems, Einschränkung der Pressefreiheit, Unterdrückung von Nichtregierungsorganisationen - mit diesen Maßnahmen ebnet Orban den Weg zur "illiberalen Demokratie". Schon 2014 beschrieb der ungarische Ministerpräsident seine Vision einer zukünftigen Staatsform, die liberale Werte zwar nicht ablehnt, sie aber auch nicht als wesentlich betrachtet.
Vom Freund zum Staatsfeind Nummer Eins
Als willkommene Zielscheibe dient dabei auch der US-Milliardär George Soros, der 1992 die CEU in Budapest gründete. Denn Soros wollte mithilfe der Elite-Universität die Ausbreitung demokratischer und liberaler Ideen im ehemals kommunistischen Osten fördern. Anfangs rannte er mit diesem Vorhaben offene Türen ein. "Dass in Ungarn eine liberale Demokratie westlicher Prägung eingeführt werden sollte, war jahrelang von einem breiten Konsens getragen", erklärt Osteuropa-Experte Martin Brusi. So haben dann auch zahlreiche ungarische, rumänische oder polnische Politiker und Führungsfiguren an der CEU studiert. Selbst Orban profiterte als Student von einem Auslandsstipendium der Soros-Stiftung.
Erst im Laufe der vergangenen Jahre avancierte der in Ungarn geborene Soros zum Staatsfeind. Orban bezichtigt den US-Milliardär, weltweit den Nationalstaat zu untergraben und Ungarn fremde Werte wie den Multikulturalismus und den Liberalismus aufzuzwingen. Selbst hinter der "Migrationswelle" soll Soros stecken. Trotz der antisemitischen und verschwörungstheoretischen Untertöne halten sich diese Behauptungen unter hochrangigen Politikern und regierungstreuen Medien.
Gyula Molnár, Parteichef der ungarischen Sozialisten, kommentiert das jüngste Vorgehen der Regierung: "Es wird intensiv ein Feindbild aufgebaut. Damit wollen sie die Probleme übertünchen, die es in Ungarn heute gibt - Gesundheit, Bildung, Armut."
Mit sanfter Macht gegen die Regierung
Das absurde: Soros ist zwar reich, verfügt aber weder finanziell noch politisch über genügend Mittel, um Orbans Regierung ernsthaft gefährlich zu werden. Das bestätigt auch Politikwissenschaftler Brusi. Der deutsche Professor beschreibt allerdings eine sanfte Macht des US-Milliardärs: "Er finanziert die Existenz von Wissenschaftlern und Intellektuellen, die sich für demokratische Ideen einsetzen." Damit befähige er Menschen zur politischen Teilhabe.
In Ungarn wollen sich dieser Tage jedenfalls viele nicht klein kriegen lassen. Zuletzt gingen tausende Menschen auf die Straße, um gegen das Gesetz der ungarischen Regierung zu protestieren, welches die CEU zur Schließung zwingen würde. Unterstützung bekommen sie von Wissenschaftlern, Menschenrechtlern und Politikern aus aller Welt. In den sozialen Netzwerken bekunden sie ihre Solidarität unter dem Hashtag #IstandwithCEU, initiieren Petitionen und erklären öffentlich ihre Missbilligung.
So hat die Petition des Wissenschaftlers Lutz Krebs inzwischen über 45.000 Unterstützer. Krebs unterrichtet an der Universität im niederländischen Maastricht. Ihm sei es vor allem darum gegangen, der ungarischen Regierung zu signalisieren, dass "sie nicht ungesehen eine Universität platt machen" könne. Zwar hätten die vielen Initiativen das Gesetz nicht verhindern können, aber er wolle die CEU auch bei ihren nächsten Schritten unterstützen.
Nicht kleinzukriegen
Worin diese bestehen werden, kündigt Zsolt Enyedi an. Gleich am Dienstagabend habe sich die Universität an den ungarischen Präsidenten gewandt, damit dieser das Gesetz entweder zurück ans Parlament verweist oder wegen Verfahrensfehlern rechtliche Schritte einleitet. Ansonsten werde die CEU selbst vors Gericht ziehen, erklärt Enyedi entschieden.
Die Ereignisse schlagen Wellen bis nach Brüssel. So kündigte ein Sprecher der EU-Kommission an, man werde sich kommende Woche mit dem Fall befassen. "Eigentlich muss die EU jetzt reagieren", meint Politikwissenschaftler Brusi. Sie könne zum Beispiel mit dem sogenannten Rechtsstaatsverfahren überprüfen, inwieweit Ungarn rechtsstaatliche Prinzipien verletze. Ein solches Verfahren hat Brüssel zuletzt gegen Polen angestrengt.
Wenn alle Stricke reißen, könnte die CEU auch in ein anderes europäisches Land umziehen. Entsprechende Angebote gibt es bereits aus Wien und Prag. Noch geben sich die Wissenschaftler am CEU allerdings kämpferisch. "Wir lieben es, in Budapest zu sein", bekundet Zsolt Enyedi. "Die Mission der Universität ist es ja gerade, höhere Bildung am Rande Europas zu unterstützen."
Eines sei allerdings nicht verhandelbar: "Wenn die ungarische Regierung hofft, dass wir bleiben, und dafür Kompromisse in Bezug auf die akademische Freiheit und unsere Autonomie eingehen, täuscht sie sich", betont Enyedi. "Das wird nicht passieren."