UN-Sicherheitsrat streitet weiter über Waffenruhe in Nahost
Veröffentlicht 8. Dezember 2023Zuletzt aktualisiert 8. Dezember 2023Nirgendwo im Gazastreifen sei es sicher, sagte António Guterres im UN-Sicherheitsrat mit Blick auf Forderungen nach einer humanitären Waffenruhe im Hamas-Israel-Krieg. Zudem würden die Bedingungen für wirksame Hilfslieferung in Gaza "nicht mehr bestehen". Die Grenze der Belastbarkeit im Gazastreifen sei erreicht, sagte Guterres vor dem Gremium in New York. "Es gibt ein hohes Risiko, dass das humanitäre Unterstützungssystem in Gaza komplett zusammenbricht, was verheerende Konsequenzen hätte."
Die Dringlichkeitssitzung war einberufen worden, weil Guterres den Rat zuvor in einem ungewöhnlichen Schritt dringend aufgefordert hatte, sich für die Abwendung einer humanitären Katastrophe im Gazastreifen einzusetzen. In einem entsprechenden Brief bezog er sich dabei auf Artikel 99 der UN-Charta. Dieser erlaubt dem Generalsekretär, den Sicherheitsrat auf "jede Angelegenheit hinzuweisen, die seiner Meinung nach die Gewährleistung von internationalem Frieden und Sicherheit gefährden kann" und ist den UN zufolge seit Jahrzehnten nicht angewandt worden.
Die Vereinigten Arabischen Emirate legten daraufhin einen neuen Resolutionsentwurf mit der Forderung nach einem Waffenstillstand vor. Eigentlich war die Abstimmung über den Entwurf für die Sitzung mit Guterres vorgesehen, wurde dann aber wieder verschoben.
Um angenommen zu werden, braucht eine Resolution mindestens neun Stimmen und kein Veto von den fünf ständigen Mitgliedern - den Vereinigten Staaten, Russland, China, Frankreich und Großbritannien. Die USA haben erklärt, dass sie zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Maßnahmen des Rates unterstützen.
Die USA und Israel lehnen einen Waffenstillstand ab, weil sie glauben, dass er nur der Hamas nützen würde. "Dies würde nur die Saat für den nächsten Krieg legen, da die Hamas nicht an einem dauerhaften Frieden interessiert ist", sagte der stellvertretende US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Robert Wood. Die Hamas wird von den USA, der Europäischen Union, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft.
USA: Israel will Grenzübergang Kerem Schalom öffnen
Die israelische Regierung habe dem Ersuchen der Vereinigten Staaten zugestimmt, den Grenzübergang Kerem Shalom zum Gazastreifen für die Inspektion von Lastwagen und ihrer Ladung zu öffnen, sagte ein US-Beamter. Zuvor hatte sich Ägypten zusammen mit den Vereinten Nationen bei Israel dafür eingesetzt, die Inspektionen zu beschleunigen. Die Zahl der Lastwagen, die täglich die Grenze zu dem Palästinensergebiet passieren, ist nach Angaben der Vereinten Nationen von fast 200 während der Waffenruhe vom 24. November bis 1. Dezember auf weniger als 100 gesunken.
Die Zeitung "Times of Israel" berichtet, Israel habe sich angesichts der wachsenden Kritik an den stockenden Hilfslieferungen nach Gaza bereiterklärt, in Kerem Schalom eine zweite Kontrollstelle für Lastwagen mit Hilfsgütern zu nutzen. Damit werde Israel in den kommenden Tagen beginnen, hieß es unter Berufung auf die zuständige Cogat-Behörde.
Kerem Schalom liegt viel näher am Übergang Rafah als der kleinere Übergang Nitzana, wo Israel bislang den Inhalt der Hilfstransporte inspiziert, bevor sie nach Rafah geschickt werden. Kerem Shalom befindet sich an der südlichen Grenze des Gazastreifens zu Israel und Ägypten. Über diesen Grenzübergang wurden vor dem Ausbruch des Israel-Hamas-Krieges mehr als 60 Prozent der Lastwagenladungen in den Gazastreifen transportiert.
Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths sieht Chancen dafür, dass Israel Kerem Schalom komplett für die Ein- und Ausfuhr von Hilfstransporten in Betrieb nimmt. Noch warte das UN-Nothilfebüro (OCHA) auf grünes Licht, aber es plane Konvois aus Jordanien mit Hilfsgütern, die über Kerem Schalom fahren sollen, sagte er in Genf. Die Nutzung dieses Übergangs mache die Versorgung der Menschen in Not etwas einfacher.
USA richten erneut Mahnung an Israel
US-Außenminister Antony Blinken rief Israel erneut auf, mehr für den Schutz von Zivilisten in dem Küstenstreifen zu tun. Die israelische Führung habe zwar wichtige zusätzliche Schritte in diese Richtung unternommen, sagte Blinken in Washington. Es gebe aber nach wie vor eine Lücke zwischen dem, was er bei seinem jüngsten Besuch in Tel Aviv angeregt habe und was an Ergebnissen zu beobachten sei.
Es gehe zum Beispiel nicht nur darum, Sicherheitszonen einzurichten, sondern sie auch so zu kommunizieren, dass die Menschen tatsächlich wüssten, wohin, wann und auf welchem Weg sie flüchten könnten. Zudem müsse es in solchen Sicherheitszonen Essen, Wasser und Medikamente für die geflüchteten Menschen geben.
Waffen auf Hochschulgelände im Gazastreifen entdeckt
Israels Militär hat eigenen Angaben zufolge auf dem Gelände der Al-Azhar-Universität im Gazastreifen Waffen und Tunnel gefunden. Die Hamas nutze den Campus für ihre Aktivitäten, teilte die Armee mit. Ein unterirdischer Tunnel soll den Angaben nach vom Universitätsgelände zu einer einen Kilometer entfernten Schule führen. Soldaten hätten bei ihrem Angriff auf das Gelände unter anderem Sprengsätze und Raketen entdeckt. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Hamas hat laut israelischer Armee die Universitätsgebäude auch für Angriffe gegen israelische Soldaten genutzt. Israels Armee wirft der Hamas immer wieder vor, Angriffe aus Wohngebieten, Krankenhäusern und anderen zivilen Gebäuden zu verüben, sowie Zivilisten als Schutzschilde zu missbrauchen.
Schwere Kämpfe in Chan Junis
Im Gazastreifen verlagern sich die schweren Gefechte zwischen israelischen Soldaten und Kämpfern der Hamas immer mehr nach Süden. In Chan Junis, der größten Stadt im Süden des Küstenstreifens, drangen israelische Soldaten mit Panzern bis ins Stadtzentrum vor. Israels Armee teilte mit, sie habe in Chan Junis mehrere "Hamas-Terroristen getötet "und Dutzende Terrorziele angegriffen". Die Marine habe "Militärgelände und Infrastruktur der Hamas mit Präzisionsmunition und Granatenbeschuss angegriffen".
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte in einem Video, Soldaten hätten das Haus von Hamas-Anführer Sinwar in Chan Junis umzingelt. Dieser konnte wohl fliehen und versteckt sich nach Angaben von Armeesprecher Daniel Hagari in einem der Tunnel. Netanjahu sagte, es sei "nur eine Frage der Zeit, bis wir ihn finden". Der 61-jährige Sinwar gilt als einer der Drahtzieher des Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Dabei hatten Terroristen aus dem Gazastreifen rund 1200 Zivilisten in Israel ermordet.
Die israelischen Streitkräfte hatten ihre Bodenoffensive zunächst auf die Städte Gaza und Dschabalija im Norden des Gazastreifens konzentriert und die dortige Bevölkerung aufgerufen, sich im Süden des Küstenstreifens in Sicherheit zu bringen. Zahlreiche Menschen waren daher nach Chan Junis geflohen.
Die Hamas teilte mit, dass ihr bewaffneter Arm, die Essedin-al-Kassam-Brigaden, "gewaltsam gegen die Besatzungstruppen" vorgehe. Es wurden auch weiter Raketen auf Israel abgeschossen und von der Luftabwehr abgefangen. Das israelische Militär teilte mit, sechs weitere seiner Soldaten seien getötet worden. Damit steigt die Zahl der getöteten israelischen Soldaten im Gazastreifen auf 89.
kle/AR/ack/qu/uh/fab (rtr, afp, dpa)
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