Ukrainischer Skandal beschäftigt deutsche Justiz
12. Dezember 2016Olexandr Onyschtschenko ist eine schillernde Figur. In der Celebrity-Welt der Ukraine war er eine große Nummer: Er fehlte auf keiner Gala, organisierte Schönheitswettbewerbe und Reitturniere. Zwar ist der 47-jährige Gasmagnat mit seinen gut 30 Millionen US-Dollar für ukrainische Verhältnisse eher ein "Klein-Oligarch": keine Medienholding, keine eigene Partei. Dennoch war Onyschtschenko bis vor kurzem politisch einer der einflussreichsten Geschäftsleute im Land und wichtiger Strippenzieher im ukrainischen Parlament. Nachdem 2015 die Koalition in Kiew zerfiel, avancierte er mit seiner Gruppe von gut 20 Abgeordneten zu einem wichtigen Mehrheitsbeschaffer für die Regierung. Bis er Anfang Juli plötzlich seine Immunität verlor und wegen des gegen ihn erlassenen Haftbefehls fliehen musste.
Onyschtschenko auf der Flucht
Das Nationale Antikorruptionsbüro wirft dem Geschäftsmann vor, dem Staat umgerechnet rund 100 Millionen Euro Schaden zugefügt zu haben: durch hinterzogene Steuern und entgangenen Gewinn von staatlichen Gasfirmen. Onyschtschenko verkaufte, laut Anklage, durch Joint Ventures mit der staatlichen "Ukrgasvydobuvannia" Gas zu viel zu niedrigen Preisen an zahlreiche eigene Briefkastenfirmen, um dann weiter zum Marktpreis an die Endverbraucher zu verkaufen. Onyschtschenko bestreitet diese Vorwürfe.
Er tauchte nach seiner Flucht zunächst offenbar in London unter. Wie er heute selbst erzählt, kontaktierte er immer wieder Mittelsmänner, die ihm ihre Dienste anboten, um die Probleme mit der ukrainischen Justiz zu lösen. Später beschloss Onyschtschenko, mit der Politik in Kiew abzurechnen: Er berichtete in den Medien über illegale Geldflüsse im Parlament und veröffentlichte Mitschnitte von Gesprächen mit einem Parlamentskollegen, der ihn angeblich im Auftrag von Präsident Petro Poroschenko in London besucht haben soll. Diese Enthüllungen lösten in der Ukraine ein mittelschweres politisches Erdbeben aus. Seit Wochen beschuldigen sich Abgeordnete im Parlament gegenseitig, Geld von Onyschtschenko erhalten zu haben.
Politische Schlammschlacht in Kiew
Mitten in dieser politischen Schlammschlacht meldet sich Olexandr Onyschtschenko über seine Anwälte in Deutschland zu Wort. Diese hatten Ende Oktober beim Bundesamt für Justiz die Aussetzung der Vollstreckung des in Deutschland gültigen Haftbefehls beantragt. "Kürzlich wurde uns aber vom Bundesamt mitgeteilt, dass die Bundesregierung keine Bedenken habe, an die Ukraine auszuliefern, weshalb der Auslieferungshaftbefehl nicht aufgehoben wurde", sagte der Anwalt Aykut Elseven gegenüber der DW. Nun will die Kanzlei Schlun&Elseven, die Onyschtschenko vertritt, vor Gericht gehen. Das Bundesamt für Justiz teilte auf Anfrage mit, dass es sich zu solchen Fällen grundsätzlich gegenüber der Presse nicht äußern würde.
Möglicherweise will Olexandr Onyschtschenko in Deutschland Zuflucht suchen. In Niedersachsen betreibt der Ukrainer ein Landgut, wo er seit Jahren seiner großen Leidenschaft nachgeht: dem Reitsport. In Deutschland trainierte das ukrainische Nationalteam, für das Onyschtschenko die besten Pferde kaufte und Top-Reiter aus Deutschland, Ungarn und Brasilien engagierte. Mehrere Millionen Euro flossen über Onyschtschenkos zyprische Briefkastenfirma, deren Bilanzen der DW vorliegen, aus der Ukraine nach Deutschland. Dieselbe Firma betrieb in der Ukraine Gasfelder und finanzierte Onyschtschenkos Hobby in Deutschland.
Zwischen Poroschenko und Timoschenko
Im Antrag an das Bundesamt für Justiz, der der DW vorliegt, argumentierten Onyschtschenkos Anwälte, die Verfolgung sei politisch motiviert. Angeblich sei das eine Reaktion des ukrainischen Präsidenten darauf, dass der Politiker Anfang 2015 aufgehört habe, die Partei von Petro Poroschenko zu finanzieren und das Geld stattdessen dessen Erzrivalin Julia Timoschenko gab. Diese Vorwürfe hatte Onyschtschenko in den vergangenen Wochen auch in ukrainischen Medien geäußert. Poroschenko ließ sie unkommentiert. Das ukrainische Präsidialamt verwies auf die Ermittlungen des Sicherheitsdienstes SBU, der Onyschtschenko verdächtigt, "russischer Agent" zu sein. Poroschenkos Administration wirft dem flüchtigen Parlamentsabgeordneten vor, eine Desinformationskampagne im Interesse Moskaus gegen die ukrainische Führung zu führen.
Julia Timoschenko bestreitet alles, will mit dem umstrittenen Onyschtschenko nichts zu tun haben. Denn seit der Geflohene neuerdings darüber spricht, wie er Geld kofferweise durch Kiews Machtkorridore geschleppt haben soll, sind jegliche Verbindungen zu ihm politisches Gift. Den deutschen Behörden vorgelegte Unterlagen könnten daher auch Timoschenko noch unbequem werden, weil sie ihre Verbindungen zu Onyschtschenko durch Aussagen von Zeugen belegen.
"Willkürjustiz" in der Ukraine?
Auch die in der Ukraine inzwischen bekannten Mitschnitte von Onyschtschenkos brisanten Gesprächen in London mit Parlamentskollegen sind deutschen Behörden übergeben worden, um die politische Dimension des Falls zu untermauern. Das zentrale Argument der Anwälte gegen den Haftbefehl ist, dass ihren Mandanten in der Ukraine kein fairer Prozess erwarten würde. Sie sprechen von "Willkürjustiz" und verweisen auf Durchsuchungen in Büros von ukrainischen Anwälten von Onyschtschenko. "Wir haben es mit einem grob rechtswidrigen Verhalten in der Ukraine zu tun, wenn in Kanzleien von Rechtsanwälten Durchsuchungen durchgeführt werden", argumentiert auch der Trierer Jura-Professor Hans-Heiner Kühne, der die deutschen Anwälte von Onyschtschenko berät.
Auch unabhängige Juristen meinen, solch ein Vorgehen der Ermittler gegen die Anwälte könne Olexandr Onyschtschenko in die Hände spielen. "Das ist ein schwerer Eingriff", sagt der Fachanwalt für Strafrecht Michael Nagel im Gespräch mit der DW. Dies könnten die Richter, wenn es um seine Auslieferung gehen wird, als Beweis für politischen Druck sehen, so Nagel.
Juristisches Tauziehen geht weiter
Wolfgang Schomburg, Ex-Richter am Bundesgerichtshof für Strafsachen und an zwei internationalen Gerichtshöfen in Den Haag, sieht ein juristisches Vorgehen gegen den Haftbefehl skeptisch. Auslieferung solle die Regel sein, so Schomburg. "Viele Betroffene versuchen, die Verfolgung als politisch motiviert anzusehen. Würde man aber die Messlatte hier falsch ansetzen, könnte Deutschland zum sicheren Hafen für Kriminelle aus aller Welt werden", gibt der Strafrechtler zu bedenken.
In Kiew wird unterdessen über weitere Enthüllungen von Olexandr Onyschtschenko spekuliert. Auch Mitschnitte von Gesprächen mit Präsident Petro Poroschenko sollen darunter sein. Sollte es dazu kommen, könnten sie auch im juristischen Tauziehen Onyschtschenkos in Deutschland eine Rolle spielen.