Twitter mit Hashtag #ProudBoys geflutet
5. Oktober 2020So sehr die Proud Boys sich auch über den Appell von Donald Trump gefreut haben - dass sie nun zum zweiten Mal in einer Woche wieder Gesprächsthema sind, dürfte der ultrarechten Gang eher nicht gefallen. Der US-Präsident hatte im TV-Duell mit Herausforderer Joe Biden auf die Frage, ob er sich von rassistischen Gruppierungen distanziere, gesagt: "Proud Boys - haltet euch zurück und haltet euch bereit."
Wenn Trump nun vom COVID-Krankenbett aus die Twitter-App öffnet und nach dem Hashtag #ProudBoys sucht, dürfte er jedoch kaum Tweets sehen, die sich mit der militanten Gang befassen. Stattdessen bringen zahlreiche Nutzende zum Ausdruck, wer für sie die wahren "stolzen Jungs" sind: nämlich schwule Männer, die ihre Homosexualität offen ausleben. Ein oft geteiltes Meme beschreibt eine Männergruppe bei einer LGBT-Parade als "Proud Boys", darunter abgebildete Gangmitglieder der weniger bunten Proud Boys als "Nazis, die noch nicht einmal ohne Sturmwaffe in den Supermarkt gehen können".
Das liberale Twitter schlägt zurück
Auf wen die Twitter-Aktion zurückgeht, ist naturgemäß schwer nachzuvollziehen - aber einer der ersten reichweitenstarken Accounts, die die Idee verbreiteten, gehört dem "Star Trek"-Schauspieler George Takei. Seit dem Wochenende sind diese und ähnliche Botschaften zehntausendfach geteilt worden.Auch andere Prominente beteiligten sich. Auch einige mehr oder weniger hochrangige Mitglieder der demokratischen Partei, die im November das Weiße Haus und die Mehrheit im Senat von Trumps Republikanern zurückerobern will, posteten zu #ProudBoys. Selbst die kanadischen Streitkräfte in den USA haben mit Hashtag und LGBT-Regenbogenflagge ein Foto zweier küssender Männer geteilt, einer in Uniform. Und auch außerhalb von Nordamerika wurden #ProudBoys-Tweets abgesetzt, etwa von der deutschen Journalistin Dunja Hayali.
Offene Transfeindlichkeit
Die militante Gruppe der Proud Boys stehen für das Gegenteil von sexueller Toleranz und dürften sich angesichts der Tweets wohl in ihrer Männlichkeit gekränkt fühlen: In einer bekannten Selbstbeschreibung nennen sie sich "westliche Chauvinisten, die sich (...) nach den Tagen zurücksehnen, an denen Mädchen Mädchen waren und Männer Männer." Die US-Menschenrechtsorganisation Anti-Defamation League (ADL) beschreibt ihre Ideologie als feindlich gegen Frauen, den Islam, Transgender-Menschen und gegen Einwanderung. Einige der wohl mehreren Hundert Anhänger seien zudem antisemitisch und glaubten an Weiße Vorherrschaft.
Ihr Gründer Gavin McInnes schrieb 2014 einen - inzwischen nicht mehr abrufbaren - Artikel mit der Überschrift "Warum Transfeindlichkeit komplett normal ist", in dem er sich laut ADL über "non-heteronormative" Menschen lustig machte.
Wie LGBT-feindlich ist Trump?
Die Proud Boys zählen zum harten Unterstützerkern Donald Trumps - der als US-Präsident mehrere politische Entscheidungen zuungunsten sexueller Minderheiten getroffen hat: 2017 schloss er Transgender-Personen vom Militärdienst aus - nach langem Streit billigte der Supreme Court das Ansinnen. Der Versuch, den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz für Homosexuelle und Transgender aufzuweichen, stoppte der Supreme Court schließlich.
Trump hat jedoch zahlreiche Richterstellen neu besetzt - die für LGBT eintretende Menschenrechtsorganisation Lambda Legal analysierte 2019, von 53 Nominierten sei gut jeder Dritte durch homophobe Tendenzen aufgefallen. Auch seine jüngst vorgestellte Kandidatin für den seit dem Tod Ruth Bader Ginsburgs vakanten Supreme Court-Posten, Amy Coney Barrett, ist unter Angehörigen sexueller Minderheiten umstritten, da sie die Ehe und Familie exklusiv als "unauflösliches Versprechen zwischen einem Mann und einer Frau" bezeichnet hatte.
Von Trump selbst sind ähnliche Ansichten bekannt. Die "New York Times" zitierte ihn in einem Artikel von 2011 mit einer kryptischen Analogie zum Golfspiel, bei dem "viele Leute beim Einlochen auf diese echt langen, sehr unattraktiven Schläger ausweichen". Das sei "seltsam". Er selbst sei hingegen "Traditionalist", sagte Trump: "Ich habe viele tolle Freunde, die homosexuell sind, aber ich bin Traditionalist."
Es ist also auch ein politischer Akt, wenn unter #ProudBoys Botschaften für Toleranz gegenüber Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender gepostet werden. Einige Nutzer adressierten ihre Tweets auch direkt an Trumps Konto. Die Proud Boys und ihr Kopf Gavin McInnes konnten dabei nicht getaggt werden, weil Twitter, Instagram und Facebook deren Konten bereits 2018 wegen Hassrede stillgelegt hatten.
Hashtags gehören niemandem
Dass Hashtags gekapert und zweckentfremdet werden, ist nichts ganz Neues: Als während der #BlackLivesMatter-Proteste im Frühsommer die amerikanische Rechte die Gegenbewegung #WhiteLivesMatter ausrief, fluteten K-Pop-Künstler den Hashtag mit Musikvideos. In Deutschland wurde 2016 für die in Teilen rechtsextreme AfD der Slogan #IchWähleAfD zum Bumerang, als Twitter mit Gründen zu deren Wahl geflutet wurde, die wirklich niemand ernst nehmen konnte.
Und auch, dass die unter Rechtsextremen weit verbreitete Homophobie als humorvolle Angriffsfläche für Kritik genutzt wird, ist nicht neu: Als Ultrarechte - darunter auch Proud Boys - sich 2017 in Charlottesville zu einem Fackelmarsch trafen, tauchten kurz darauf Fotomontagen im Netz auf, auf denen jemand die Fackeln durch Dildos ersetzt hatte.