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Schwache Wirtschaft bedroht den Wandel

Simon Kremer dpa
12. Januar 2018

Sieben Jahre nach der Revolution hat Tunesien zwar erfolgreich demokratische Reformen umgesetzt, kämpft aber mit gravierenden ökonomischen Problemen. Erneut protestieren Tausende junge Menschen.

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Autozulieferer in Tunesien
Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Tunesien: Wandel ohne Wachstum

Erst demonstrieren sie gegen gestiegene Preise und Steuern, am Ende des Abends stürmen sie einen Supermarkt und laufen mit Fernsehern und Elektrogeräten in den Armen in die Nacht. Seit Tagen gehen überall in Tunesien vor allem junge Menschen wieder auf die Straße, teilweise kommt es zu Plünderungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Blockaden brennen. Kurz vor dem Jahrestag der Revolution am Sonntag (14.01.) brodelt es in Tunesien, weil trotz demokratischer Reformen die Wirtschaft weiter lahmt.

"Wir glauben, dass 2018 das letzte schwierige Jahr für die Tunesier Wird", versuchte Ministerpräsident Youssef Chahed die Menschen zu Beginn der Proteste noch zu beruhigen. Aber die Durchhalteparolen ähneln sich seit Jahren, notwendige Reformen lassen auf sich warten. "Die Entwicklungen sind aus dem Ruder gelaufen", sagt Fausi Najjar von der GTAI, der deutschen Gesellschaft für Außenwirtschaft. "Es gibt politische Widerstände gegen Reformen bei gewissen Lobbygruppen oder den Gewerkschaften." Kurz nachdem der Regierungschef seine Landsleute um Verständnis gebeten hatte, forderte der Chef des mächtigen Gewerkschaftsdachverbands UGTT, den Mindestlohn und Sozialhilfen für die Ärmeren anzuheben.

Preiserhöhungen sorgen für Unmut

Auslöser der aktuellen Proteste ist unter anderem das neue Finanzgesetz, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Die Mehrwehrsteuer wurde um ein Prozent angehoben, die Preise für Benzin wurden ebenfalls heraufgesetzt, einige Importzölle wurden erhöht. Dem Land fehlt Geld, der Staatshaushalt ist nicht ausgeglichen. Rund ein Drittel der öffentlichen Ausgaben von rund 36 Milliarden Dinar (ungefähr zwölf Milliarden Euro) sind ungedeckt. Die Staatsverschuldung ist seit der Revolution vor sieben Jahren von 39 auf knapp 70 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angewachsen.

Auf der Ausgabenseite wird fast die Hälfte des Etats für Gehälter im öffentlichen Dienst verwendet. Dabei spielt Tunesien weltweit in der Spitzengruppe mit. Die Regierung reagierte in der Vergangenheit auf Proteste häufig mit Neueinstellungen. Erst kürzlich nahmen in der südtunesischen Wüstenregion Tataouine mehr als 1000 Arbeiter ihre Beschäftigung in einer neuen Landschaftspflege-Gesellschaft auf.

"Tunesien lebt über seine Verhältnisse"

"Das Land lebt weiterhin über seine produktiven Verhältnisse", sagt GTAI-Experte Najjar. "Es gibt keine gesellschaftliche Debatte darüber, dass finanzielle Lasten gerechter verteilt werden." Durch die hohen Ausgaben für eine aufgeblähte Verwaltung blieben die Investitionen gering. Die aktuellen Steuererhöhungen und Abgaben träfen vor allem Unternehmen und die formal Beschäftigten. "Das sind aber nicht die Menschen, die jetzt auf die Straße gehen."

Etwa ein Drittel der Tunesier arbeitet nach Schätzungen im informellen Sektor. Die Unzufriedenheit ist in allen Bevölkerungsschichten sehr hoch. Viele Menschen hatten sich vom Umbruch 2011 mehr erhofft.

Umfassende politische Reformen

Politisch hat Tunesien nach dem Sturz von Langzeit-Machthaber Zine el Abidine Ben Ali am 14. Januar 2011 umfassende Reformen eingeleitet. Das Land wird vom Westen für seine demokratischen Bemühungen gelobt. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach bei ihrem Besuch vor rund einem Jahr von einem "Leuchtturm der Hoffnung".

In einem internen Bericht des Auswärtigen Amtes, der der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, werden jedoch eine ineffiziente öffentliche Verwaltung, unbefriedigende Steuermoral und Korruption beklagt. Es fehle ein stringenter Plan zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ehrgeizige Maßnahmenbündel würden zwar formuliert, aber nicht umgesetzt. Ein arbeitsmarktpolitisches Konzept sei nicht erkennbar. Die tunesische Regierung gebe insgesamt ein "hilfloses Bild" ab. Dennoch würden internationale Geldgeber Tunesien weiterhin stützen. Das Land, heißt es in europäischen Diplomatenkreisen, sei zu wichtig, um es scheitern zu lassen.

Arbeitsmoral lässt zu wünschen übrig

Mit rund 2,9 Milliarden Euro ist der Internationale Währungsfonds (IWF) einer der größten Kreditgeber für Tunesien. Die Auszahlung der einzelnen Tranchen verzögerte sich seit Einführung des Programms 2016 aber wegen Unstimmigkeiten immer wieder. Oppositionspolitiker machen auch die harten Spar- und Reformvorgaben des IWF für die Misere der tunesischen Wirtschaft mitverantwortlich. Die Inflation liegt für Analysten mit 6,4 Prozent auf einem Besorgnis erregenden Niveau.

Auf der anderen Seite vermissen europäische Diplomaten und engagierte Tunesier nach der Revolution auch ein gewisses staatsbürgerliches Bewusstsein. "Diese Revolte ist keine Hungerrevolte, sondern eine Verständniskrise darüber, was Arbeit bedeutet", schrieb der Unternehmer und Aktivist Lotfi Hamadi in einem Appell. Baustellen fänden keine Arbeiter, Olivenplantagen keine Pflücker, Unternehmen keine Hochschulabgänger. In einer Wirtschaftskrise dürfe man nicht bei sich oder auf den Terrassen der Cafés bleiben, sondern müsse sich engagieren. Kaum vergeht ein Tag in Tunesien, an dem nicht in einer Branche oder Firma gestreikt wird.

Grassierende Korruption

Hamadi spricht jedoch auch die grassierende Korruption und die Vergabe von Arbeitsstellen im Freundes- und Verwandtenkreis an. Für die internationale Denkfabrik Carnegie ist die Bestechung "ein destabilisierender Faktor, der alle Ebenen der Wirtschaft, des Sicherheitssektors und der Politik" betrifft. Die Regierung Chahed geht zwar öffentlichkeitswirksam auch gegen hochrangige korrupte Beamte vor. Bei den Tunesiern sorge das aber nur für weitere Unsicherheit, weil auch hier die Leitlinien nicht deutlich seien.

Für Najjar ergibt sich bei Tunesien ein zweigeteiltes Bild. "Es gibt die hohe Arbeitslosigkeit, einen großen informellen Sektor und vernachlässigte Regionen im Landesinneren. Aber es gibt durchaus auch wettbewerbsfähige Bereiche, die man ausbauen müsste." Klar ist das vielen in Tunesien - doch die Umsetzung scheitert noch.