Tunesien nach dem Haftbefehl gegen Ben Ali
27. Januar 2011Als Tunesiens Justizminister Lazhar Chebbi am Mittwoch (26.01.2011) vor die Presse tritt, herrscht große Aufregung. Im Konferenzsaal seines Ministeriums in Tunis gibt es keinen einzigen freien Platz mehr. Schließlich hat der Minister Bedeutendes zu verkünden: den internationalen Haftbefehl gegen Ex-Präsident Ben Ali und seine Frau Leila. Ben Ali und seiner Frau werden "illegale Aneignung von Vermögen" und "illegaler Devisentransfer ins Ausland" vorgeworfen. Mit dem Haftbefehl müssen die beiden im Falle einer Verhaftung nach Tunesien ausgeliefert werden.
Zeichen setzen
Die Übergangsregierung hat daher auch die internationale kriminalpolizeiliche Organisation Interpol eingeschaltet. Knapp 14 Tage nach seiner Flucht geht es Ben Ali nun selbst an den Kragen. Aber das ist noch nicht alles. Justizminister Chebbi verliest eine lange Liste von Tunesiens "Most Wanted". Die meisten sind bereits festgenommen und gehören zum berüchtigten Trabelsi-Clan der Präsidentengattin. Die Trabelsis haben über Jahre hinweg die Wirtschaft des Landes systematisch ausgeplündert – nun soll ihnen der Prozess gemacht werden.
Damit will die Übergangsregierung Zeichen setzen und zeigen, dass sie es ernst meint mit dem Großreinemachen; in einem Staat, der über Jahrzehnte durchsetzt war mit Mitgliedern eines Unrechtsregimes, denen es ausschließlich darum ging, sich hemmungslos selbst zu bereichern. Wenige Tage nach Ben Alis Sturz hatte Tunesiens Regierung bereits mit der Suche nach seinem Vermögen im Ausland begonnen. Hilfe kam von den Eidgenossen: Die Schweizer Regierung fror mögliche Konten des Clans ein, die EU will nachziehen, Deutschland und Frankreich haben bereits Unterstützung für Kontensperrungen angekündigt.
Anhaltende Proteste
Die Justiz greift nach Ben Ali – nur bleibt die Frage, ob die Nachricht vom Haftbefehl gegen ihn und seine Frau die Menschen draußen im Land beruhigt. Zumal Interpol noch keine "roten Mitteilungen" verschickt hat, mit denen die Mitgliedsländer darüber informiert werden, dass ein mutmaßlicher Verbrecher gesucht wird. Aber auch wenn dies passiert, muss das zunächst keine Folgen haben. Es ist jedem Land freigestellt, denjenigen dann selber zur Fahndung auszuschreiben. Dass Saudi-Arabien, das Ben Ali fürstlich aufgenommen haben soll, ihn an seine alte Heimat ausliefert, scheint eher unwahrscheinlich.
Seit mehreren Tagen belagert eine Menschenmenge rund um die Uhr den provisorischen Sitz der Übergangsregierung im Rathaus von Tunis. Viele sind aus dem Landesinneren angereist. Die Polizei setzt immer wieder Tränengas ein, um Demonstranten am Durchbrechen einer Absperrung zu hindern. Die Tunesier warten auf eine Kabinettsumbildung und verlangen den Rücktritt der ehemaligen Ben Ali-treuen Minister, die nach wie vor die Schlüsselposten besetzen. Am Donnerstag zog der tunesische Außenminister Kamel Morjane die Kosequenz und trat zurück.
Abid Brigui von der Einheitsgewerkschaft UGTT fordert, dass niemand in der neuen Regierung arbeiten dürfe, der schon unter Ben Ali Minister gewesen sei. "Diese Regierung muss repräsentativ sein. Sie muss die Zivilgesellschaft ebenso vertreten wie die übrigen politischen Parteien". Diese Forderung spricht vielen Tunesiern aus der Seele. Sie wollen den vollständigen Bruch mit dem Ben Ali-Regime – und sie wollen ihn jetzt und sofort.
Autor: Alexander Göbel
Redaktion: Katrin Ogunsade