TTIP in Alabama
30. Januar 2015Bill Sisson redet sich in Begeisterung - über seine Heimatstadt Mobile und die Aussichten, die ein gemeinsamer transatlantischer Markt für die örtlichen Unternehmen bietet. Vor ungefähr 30 lokalen Geschäftsleuten und Wirtschaftsexperten streicht der Präsident der Handelskammer von Mobile heraus, dass der landesweite US-Sender MSNBC seine Stadt gerade erst auf Platz 10 der "heißesten Orte" in Amerika gesetzt und Mobile zum "südlichen Handelszentrum der USA" ernannt habe. Und auf der Forbes-Liste steht die Hafenstadt am Golf von Mexiko sogar auf Platz 1, wenn es um das Wachstum neuer Industrien in mittelgroßen US-Städten geht. Mit knapp 200.000 Einwohnern ist Mobile die drittgrößte Stadt im südlich gelegenen US-Bundestaat Alabama.
An diesem Morgen ist die Geschäftswelt von Mobile in die Handelskammer der Stadt geeilt, um zu hören, ob diese Erfolgsgeschichte einen neuen Schub bekommen kann. Die Hoffnungen begründen sich auf dem zwischen der EU und den USA verhandelten transatlantischen Markt (TTIP). An diesem Morgen hat Bill Sisson zu einer Informationsveranstaltung geladen. Gegenüber der Deutschen Welle macht er klar, warum TTIP für die Region so wichtig ist: "Mobile wurde im Jahre 1702 wegen des Hafens gegründet. Wir sind bis heute sehr verbunden mit unserem Hafen und Handel ist unglaublich wichtig für die Stadt." Acht der zehn größten Firmen seien internationale Unternehmen.
Skepsis und Enthusiasmus über TTIP
An diesem Morgen ist auch Lane Merchant in den nüchternen Bau der Handelskammer geeilt. Er handelt mit Holz und schätzt das Potential von TTIP eher skeptisch ein: "Ich bin mir nicht sicher, ob ich profitiere. Um das herauszufinden bin ich hier." Er hört genau zu, als Bill Sisson für die örtlichen Schwerpunktindustrien Chemie und Flugzeugbau atemberaubende Wachstumsraten vorhersagt. Alex Sharland, Marketing-Professor an der South Alabama University, sieht Mobiles gegenwärtige Verfassung weniger rosig als Sisson. Umso wichtiger sei, dass TTIP dringend notwendige Impulse bringt: "Für Alabama ist es sehr wichtig, aber für Mobile ist es essentiell. Es geht um die Ersetzung von öffentlichen Investitionen durch private Investitionen. Die Regierung hat sich zum Beispiel beim Schiffsbau oder bei den Aufträgen für Verteidigungsequipment zurückgezogen. Wir brauchen Aufträge aus privater Hand, um das auszugleichen und neue Jobs zu schaffen."
Sisson ist allerdings nicht alleine mit seinem Optimismus. Die Bertelsmann-Stiftung, die diese und andere Veranstaltungen zu TTIP im Auftrag der EU-Kommission veranstaltet, hat Tony Silberfeld nach Mobile geschickt. Er ist der TTIP-Fachmann der Stiftung, die in Washington ein großes Büro unterhält. Sein Zahlenwerk, das er in einer Powerpoint-Präsentation an die Wand wirft, soll überzeugende Argumente liefern: "Wir wollen hier die Auswirkungen auf Jobs und Wachstum herausstellen", erklärt er der Deutschen Welle. "Für Alabama heißt das 9000 Arbeitsplätze mehr allein durch die Umsetzung von TTIP. Und noch wichtiger ist der Export: In Alabama würde er sich durch TTIP um 138 Prozent erhöhen." Die Vizepräsidentin für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa in der US-Handelskammer in Washington, Majorie Chorlins, hat landesweite Berechnungen mit nach Mobile mitgebracht, die das stützen: "Gäbe es nur eine Reduzierung von Zöllen, würde das amerikanische Bruttosozialprodukt innerhalb von fünf Jahren um 125 Milliarden Dollar nach oben gehen. Doch durch ein umfassenderes Abkommen würden Exporte jedes Jahr um 300 Milliarden Dollar steigen". Damit hätte eine typisch amerikanische Familie 900 Dollar im Jahr mehr in der Tasche, rechnet sie vor.
Von TTIP noch nichts gehört
Ken Holmes, Chef der kleinen Firma Technical Solutions, hatte vor dieser Veranstaltung noch nichts von TTIP gehört. Teilweise sei das sein eigener Fehler. Er sei einfach nicht "proaktiv" genug gewesen, um sich zu informieren. Seine kleine Firma mit zurzeit sechs Mitarbeitern ist auf Projektmanagement und Sicherheitstechnik spezialisiert. "Im Bereich Projektmanagement arbeiten wir mit ausländischen Verkäufern und Lieferanten. Wir bieten unsere Dienste im Ausland an, aber auch für ausländische Firmen, die neu in die USA kommen". Und Holmes ist sich sicher: "Je mehr Handel und Dienstleistungen, umso besser für uns." Denn seine Firma profitiere davon, dass mehr Güter exportiert und importiert würden: "Mit mehr Jobs und mehr Wettbewerbsfähigkeit werden wir global ein größerer Player sein," sagt er mit Blick auf Mobile.
Holmes sieht in TTIP nicht nur Chancen, sondern macht auch eine lange Liste von Herausforderungen auf. Noch habe Obama nicht das endgültige Verhandlungsmandat durch den Kongress bekommen. Auch das Europaparlament sei ein eigenwilliger Akteur, nicht zu vergessen die Vielfalt der europäischen Staaten und Interessen. Die größten Sorgen der amerikanischen Unternehmen würde allerdings den Regulierungsbestimmungen gelten, zieht Tony Silberfeld von Bertelsmann nach einer ganzen Reihe Veranstaltungen dieser Art Bilanz: "Wie können wir Bestimmungen abschaffen, die keinen Sinn machen, etwa doppelte Testverfahren, Zertifizierungen, zusätzliche Lasten, die weder Gesundheitsstandards noch die Sicherheit verbessern?"
Neue Barrieren entstehen
Der Holzhändler Lane Merchant kann von diesen Hindernissen aus erster Hand berichten. Wenn seine Firma "Mauvila Timber" Bauholz exportiert, müsse sie belegen, dass es hitzebehandelt wurde und frei von Insekten ist. "Es gibt jetzt neue Barrieren, die mit diesen Insekten im Holz zu tun haben. Das hat einige Probleme gemacht und mehr Bürokratie geschaffen. Diese Verfahren sind erst vor kurzem eingeführt worden," beklagt er sich.
Merchants Holzfirma steht für viele kleine mittelständische Unternehmen in den USA, die durch Informationsveranstaltung wie diese das erste Mal von TTIP erfahren. Dabei sind sie, so Tony Silberfeld, die Hauptprofiteure eines kommenden Handelsabkommens: "Normalerweise denken die Menschen, dass TTIP vor allem für größere Unternehmen und Konzerne ist. Aber hier vor Ort haben wir gelernt, dass es vor allem kleinere Unternehmen sind, die von TTIP profitieren".
Es versteht sich von selbst, dass die Europäische Kommission die TTIP-Experten nicht aus Selbstlosigkeit in die amerikanische Provinz schickt. Nicht nur im Europaparlament, sondern auch im amerikanischen Kongress gibt es parteiübergreifend Widerstand dagegen, sich zu stark auf die Regulierungs-Standards und Produkte des jeweils anderen einzulassen. Thomas Zielke, der in Washington die Interessen der Deutschen Wirtschaft vertritt und in Mobile mit dabei ist, gibt ganz offen zu, dass man über den Umweg über Alabama und andere Bundesstaaten Einfluss auf die Politik hierzulande nehmen will: "In Amerika gilt das Gesetz: 'all politics is local', also die Politik geht von der lokalen Ebene aus". Die Abgeordneten im Kongress seien in der Regel viel stärker vor Ort verwurzelt als die Bundestagsabgeordneten. "Wenn man die Unternehmer bewegen will, sich mit ihren Abgeordneten zusammenzusetzen und vielleicht auch Druck ausüben, muss man sie direkt vor Ort ansprechen."