Trotz allem Berlusconi
18. November 2010Sexorgien in der Präsidentenvilla, mit Prostituierten und nach neusten Informationen auch mit einer Minderjährigen - was in diesem Jahr so alles aus dem Privatleben des italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi bekannt geworden ist, hätte in anderen Ländern gereicht, um die politische Karriere ganz schnell zu beenden.
Nicht so in Italien. Das liegt zum einen an der Medienmacht des Ministerpräsidenten, zum anderen am Totalausfall der Opposition. Sie verpasst es, aus Berlusconis Schwäche Kapital zu schlagen. Der potenzielle Königsmörder kommt aus den Reihen der Regierungskoalition. Der ehemalige Verbündete und Parlamentspräsident Gianfranco Fini fordert Berlusconis Rücktritt, doch der denkt gar nicht daran, freiwillig den Hut zu nehmen. Die meisten Italiener finden das gut, und unterstützen ihren umstrittenen Regierungschef.
Verräter oder Retter?
Ein ganz neues Programm verspricht Parlamentspräsident Fini seinen Anhängern. Mit fast 40 Parlamentariern hat er Berlusconis Partei "Volk der Freiheit" verlassen, um eine moderat rechte Politik zu vertreten. "Verräter" nennt ihn Silvio Berlusconi und seine Wähler greifen diese Sichtweise gierig auf. "Wir haben diese Regierung gewählt, damit sie bis zum Ende der Legislatur etwas für dieses Land tut. Nun hat Fini alles kaputt gemacht. Berlusconi tut gut daran, nicht zurückzutreten", sagt zum Beispiel die Einzelhandelskauffrau Olga Vattini aus Como.
Gianfranco Fini gefällt sich in der Rolle des Hüters der Verfassung und des Retters der Demokratie. Seit Monaten kritisiert er Silvio Berlusconis maßgeschneiderte Gesetze, die ihn vor Strafverfolgung schützen. Viele hat er mitgetragen, doch nun ist das Maß voll. Fini will mit moralischer Integrität punkten. Bei den Wählern des moderat rechten Spektrums kommt das jedoch einem Verrat an Berlusconi gleich.
Dass gegen Berlusconi Strafprozesse wegen Steuerhinterziehung und Bestechung laufen, und er sich diesen durch ein Immunitätsgesetz entzieht, regt fast niemanden mehr auf. "In der Politik machen doch alle Gesetze, die ihnen oder ihrer Klientel nützen. Wichtig ist, dass sie allen Vorteile bringen", sagt der Metzgermeister Anselmo Bararotta aus Mailand. Er würde heute wieder Berlusconi wählen: "Er ist ein Unternehmer und weiß, dass die Steuerlast zu hoch ist". Gesenkt hat Silvio Berlusconi die Steuern jedoch entgegen seinen Versprechungen nur für die Reichen. Der Arbeiterklasse und dem Mittelstand hat er nur vereinzelte, kleine Wahlgeschenke gemacht wie die Abschaffung der Steuer auf Eigenheime. In der Wahrnehmung seiner Wähler trägt er aber nicht die Schuld für die desolate wirtschaftliche Lage, in der sich Italien befindet. "Die Linksregierung hat uns ruiniert, da braucht es, Zeit, uns aus der Krise herauszuholen" glaubt die Verkäuferin Grazia Pandolfi aus Verona.
An allem sind die Linken schuld
Die kurze Episode einer von Romano Prodi geführten Regierung hat sich im Kopf vieler Italiener als Grund für die andauernde schlechte wirtschaftliche Situation des Landes festgesetzt. Ein Trugbild, denn in den anderthalb Jahren, in denen Berlusconi auf der Oppositionsbank saß, hat Italien die Neuverschuldung zurückgefahren und sich international wieder eine gewisse Glaubwürdigkeit erkämpft. Umsonst, wie der Meinungsforscher Renato Mannheimer in Umfragen festgestellt hat: "Dem Großteil der Bevölkerung ist das Bild Italiens im Ausland egal. Das interessiert nur die, die viel reisen, die im Ausland herumkommen. Aber das ist eine Minderheit." Die Menschen haben eben andere Sorgen. "Die Frage der Arbeitsplätze, der Gehälter und der Steuern bewegt die Gemüter der Leute. In den Umfragen sprechen die Italiener als erstes von der Sorge um die Arbeit", so der Meinungsforscher.
Sexskandale schaden Berlusconi nicht
Dass es die drei Regierungen Berlusconi waren, die das Arbeitsrecht lockerten und mit ihrer Politik die höheren Einkommensschichten bevorzugten, wollen viele der Betroffenen nicht wahrhaben. Sie machen auch die allgemeine Wirtschaftskrise für die italienische Misere verantwortlich und glauben damit das, was ihnen die Berlusconi-Sender vorgaukeln. Unerschütterlich halten sie an ihrem Idol fest. Daran ändern auch seine zweite Scheidung und seine Sexskandale mit Minderjährigen und Prostituierten nichts. "Das sind private Angelegenheiten, das interessiert mich nicht", sagt ein Mann von Anfang Sechzig mit einem Augenzwinkern. An seinen Frauengeschichten wird Silvio Berlusconi nicht scheitern. Und vielleicht erlebt sein Herausforderer aus der Regierungskoalition Gianfranco Fini beim Misstrauensvotum im Parlament am 14. Dezember 2010 noch eine Überraschung. Nicht alle seiner Mitstreiter wollen gegen Berlusconi stimmen.
Autorin: Kirstin Hausen
Redaktion: Dеnnis Stutе