Trauer und Wut in Tunis
8. Februar 2013
Im dichten Regen begleiteten mindestens 50.000 Menschen Chokri Belaid auf seinem letzten Weg. Sie trugen Bilder von ihm und machten in Sprechchören die regierenden Islamisten für seinen Tod verantwortlich. Es war die größte Trauerfeier seit dem Tod des ersten tunesischen Präsidenten, Habib Bourguiba, im Jahr 2000.
Die Menschen zogen zum Friedhof al-Jellaz und riefen: "Das Volk will eine neue Revolution!" und "Belaid, ruhe in Frieden, wir setzen den Kampf fort!" Einige machten den Chef der regierenden Ennahda-Partei, Rachid Ghannouchi für den Mord direkt verantwortlich.
Warnschüsse und Tränengas
In der Nähe des Friedhofs gingen Polizisten mit Tränengas und Warnschüssen gegen randalierende Jugendliche vor. Auch vor dem Innenministerium setzten Polizisten Tränengas und Schlagstöcke gegen junge Demonstranten ein, die lauthals den Rücktritt der Regierung forderten. Im Zentrum von Tunis sowie in anderen Städten war aus Sorge vor weiteren Ausschreitungen die Armee aufmarschiert.
Wegen eines von den Gewerkschaften ausgerufenen Generalstreiks blieben Banken, Fabriken und Geschäfte geschlossen. Die Fluggesellschaft Tunis Air sagte alle ihre geplanten Flüge ab. Der Gewerkschaftsbund UGTT hatte zuvor seine 500.000 Mitglieder zur Ruhe aufgerufen. "Dies ist ein friedlicher Streik gegen Gewalt", erklärte der UGTT, der gemeinsam mit vier Oppositionsparteien zu dem Generalstreik aufgerufen hatte.
Kampf um die Macht in Tunis
Der erschossene Jurist Chokri Belaid, dessen Tod die jüngste Protestwelle in dem nordafrikanischen Land ausgelöst hatte, galt in Tunesien als einer der schärfsten Kritiker der von Islamisten angeführten Regierung in Tunis. Zu der Tat bekannte sich niemand.
Im Mittelpunkt des politischen Streits steht Ministerpräsident Hamadi Jebali von der islamistischen Ennahda-Partei. Angesichts des Aufruhrs unter den Bürgern hatte er die Bildung einer neuen Regierung mit parteilosen Experten angeregt. Dies sei eigenmächtig und ohne Absprache vorgeschlagen worden, erklärten hochrangige Parteifreunde und wiesen den Vorstoß entschieden zurück. Das Land brauche weiter eine Regierung, in der auch Politiker säßen.
Die Ennahda wies zudem jegliche Mitschuld am Tod des Oppositionellen zurück. Dessen Familie und politische Weggefährten hatten die Islamisten für das Attentat verantwortlich gemacht.
Bundesregierung "in großer Sorge"
Im Ausland äußerten zahlreiche Politiker ihre Besorgnis über die Entwicklung in Tunesien nach dem Arabische Frühling. "Die wachsende Zahl an politischen Gewalttaten durch extremistische Gruppen ist eine Gefahr für den politischen Wandel", schrieb die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in einer in Brüssel verbreiteten Erklärung.
Bundesaußenminister Guido Westerwelle forderte Regierung und Opposition in Tunis auf, die Demokratie zu verteidigen. Nach dem Mord sei die deutsche Bundesregierung "in großer Sorge um Tunesiens inneren Frieden", sagte Westerwelle der Zeitung "Die Welt". Das Auswärtige Amt in Berlin rät in seinen Sicherheitshinweisen für Touristen, sich auf Demonstrationen gefasst zu machen, die eskalieren könnten.
GD/uh/rb (rtr, afp, dpa)