Total Global: Woher kommt eigentlich der WM-Ball?
17. Juni 2006Die Geschichte des WM-Balls beginnt in Herzogenaurach, einer Kleinstadt in Mittelfranken. Die Zentrale von Adidas ist ein imposanter, verglaster Neubau. In einem Provisorium aus Containern logiert das so genannte Innovationsteam, das immer neue Produkte kreieren muss, um Umsatz und Gewinn des Unternehmens zu steigern. "Man bekommt eine Vorgabe von Seiten des Marketings", sagt Hans-Peter Nürnberg, Chefentwickler des WM-Balls. Das kann ein Ball sein, der einfach nur bunter aussieht. Oder Spielerbefragungen haben ergeben, dass der Ball zu krumm fliegt oder zu stark steigt.
Aus verschiedenen Entwürfen und Materialien bauen die Entwickler einen Prototypen zusammen. Knapp vierzig Kilometer von Herzogenaurach entfernt, in Scheinfeld, liegt das Testlabor von Adidas. Eine Art Turnhalle, mit Kunstrasenmatten ausgelegt. Hier werden die unterschiedlichen Ballmodelle ausprobiert. Und sie werden getestet, zum Beispiel in der Schussmaschine, die den Ball auf 50 Kilometer pro Stunde beschleunigt, 3.500 Mal oder vier Stunden lang.
Bestandteile aus Asien
Zwei Modelle am Tag werden hier in der Entwicklungsphase getestet, erzählt Labortechniker André Täubel. Mit jedem neuen Ball werden auch seine Einzelbestandteile immer weiter entwickelt. Haben die Ingenieure sich entschieden, setzt Michael Hug ihre Entwürfe vom Reißbrett in die Tat um - er kauft das Material für den Ball auf der ganzen Welt ein. "Von innen gesehen, ist die Blase das Erste, und die kommt aus Indien", erläutert Hug. "In der Produktion sind die Inder führend."
Fast alle Bestandteile des neuen Balls stammen aus Asien - denn Rohstoffe wie Kautschuk werden dort angebaut. Doch vor allem, weil Arbeitskräfte in Ländern wie Indien oder China billiger sind, können die Zulieferer ihre Produkte günstiger anbieten. Aus Nordvietnam kommt das Material für die Umhüllung der Latexblase, die so genannte Karkasse: Eine Mischung aus Polyester und Baumwolle, die an der Maschine zusammengenäht wird. Die äußere Schaumstoffbeschichtung kauft Michael Hug dann in Korea, hundert Kilometer südlich von Seoul.
Protest gegen die Arbeitsbedingungen
Die meisten Hersteller wie Adidas lassen einen Großteil ihrer Bälle in Pakistan nähen, in der Region Sialkot. 1996, zur Zeit der Fußballeuropameisterschaft in Großbritannien, gab es eine Protestwelle: Damals wurde bekannt, dass ein Viertel der Arbeiter in den Werkstätten Kinder waren. Die großen Konzerne, die sich aus Sialkot beliefern ließen, gerieten unter Druck. Die Folge: Ein weltweiter Vertrag über Arbeitsbedingungen in den Fabriken wurde unterzeichnet, das so genannte Atlanta-Agreement. Auch Adidas zog seine Konsequenzen und erstellte einen eigenen Verhaltenskatalog.
Lesen sie im zweiten Teil, unter welchen Bedingungen die Arbeiterinnen in Thailand arbeiten.
Durchdringender Geruch nach Klebstoff
Mehr als 460.000 Menschen arbeiten weltweit in Zulieferbetrieben für Adidas. In der Firmenzentrale sind es noch gerade einmal 2.000. Noch den letzten Weltmeisterschaftsball, den "Fevernova 2002", hat Adidas zumindest teilweise in Deutschland hergestellt. Doch der jetzige wird nicht nur aus Kostengründen in Thailand produziert. Es ist auch die Technologie, die der Geschäftspartner dort zusammen mit Adidas entwickelt hat: Der High-Tech-Ball ist nicht mehr genäht, sondern geklebt.
Das geschieht in einem Industriepark gut anderthalb Autostunden südöstlich der Hauptstadt Bangkok, in den Werkstätten des japanischen Ballherstellers Molten. Insgesamt rund 1.000 Menschen arbeiten in der Fabrik, die auch Handbälle, Volley- und Basketbälle produziert. In den hinteren Werkshallen sind 130 Arbeiter ausschließlich damit beschäftigt, den WM-Ball herzustellen - die meisten von ihnen Frauen. Die Produktionshallen sind hoch und hell, alles ist peinlich sauber. Die weißen Maschinen sind modern, laut ist es trotzdem. Und es riecht durchdringend nach Klebstoffen. Hier drinnen ist es noch heißer als außerhalb der Fabrikhalle: Trotz Ventilatoren geschätzte 40 Grad.
Der wirtschaftliche Druck wächst
Knapp 1.000 Einzelteile stanzt eine Arbeiterin in gut zehn Stunden. Unter Hitzeeinwirkung werden sie später rund gebogen. Die 21jährige Yupha sortiert die ausgestanzten Teile in einzelne Boxen, bevor der Klebstoff drauf gestrichen wird. Im Schnitt arbeitet sie acht Stunden täglich, oft auch zwei Studen länger. Yupha ist froh, dass sie hier Arbeit gefunden hat: "Ja, ich bin stolz darauf, weil dieser Ball nirgendwo anders hergestellt wird als in meiner Fabrik. Wenn es geht, werde ich mir schon ein paar Fußballspiele anschauen. Aber wenn es nachts sehr spät wird, werde ich das wohl nicht tun können, denn das ist ja meine Ruhezeit."
Bei Molten bekommen selbst die Arbeiterinnen und Arbeiter, die nur Verträge auf Tagesbasis haben, mehr als den gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn: Im Schnitt, so das Unternehmen, 275 Thai-Baht pro Tag - derzeit umgerechnet 5,70 Euro. Der Druck auf die Sportartikelhersteller, faire Arbeitsbedingungen einzuhalten, ist groß, wenn sie für internationale Konzerne wie Adidas arbeiten. Allerdings gelinge das nicht immer, weil auch der wirtschaftliche Druck auf die Zulieferer zunehme, sagt Maik Pflaum von der Kampagne "Clean Clothes". Regelmäßig stellen seine und andere Organisationen Arbeitsrechtsverstöße in der Sportartikelindustrie fest.
Sorgfältige Kontrolle
"Wir wissen: In allen diesen Regionen ist es ein Riesenproblem, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren", erklärt Pflaum. "Es steht sehr oft Entlassung auf den Versuch, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, wir haben das Problem mit den Mindestlöhnen, wir haben das Problem mit dem extremen Arbeitsdruck, Arbeiter und Arbeiterinnen in dieser Industrie sind mit 30, mit 35 Jahren so kaputt gearbeitet, dass sie den Druck nicht mehr aushalten." Eine Gewerkschaft gibt es auch bei Molten nicht. Stattdessen ein von den Fabrikarbeitern gewähltes Komitee. Thailändische Gesetze schreiben vor, dass sich das japanische Management mindestens einmal im Vierteljahr mit dem Komitee zusammensetzen muss.
Am Ende der Produktion wird der Ball geprüft. Sorgfältig tastet eine Kontrolleurin per Hand die Außenhülle ab. Anschließend kommt der Ball noch einmal in die Schussmaschine. Ist er 24 Stunden später noch immer fehlerfrei, wird der "Teamgeist" in alle Welt verteilt. Im Adidas-Testlabor im fränkischen Scheinfeld gibt es jetzt, nachdem die Produktion abgeschlossen ist, nicht mehr viel zu tun. Nur ein kleiner Teil der "Teamgeist"-Serie kommt am Ende seiner Reise noch mal zurück: Die Bälle, mit denen Ronaldinho, Lehmann und Nedved schließlich tatsächlich antreten. Sie werden hier mit Datum, Paarung und Spielstätte bedruckt - und noch mal gesondert kontrolliert.
Mittlerweile ist der WM-Ball längst im Einsatz. Jeweils 20 Spielbälle hat Adidas an die WM-Teilnehmer schon zu Trainingszwecken ausgeliefert. Und während in deutschen Stadien bereits mit "Teamgeist" gekickt wird, hat die Entwicklung des nächsten Balls längst begonnen - und der solle noch runder, noch akkurater und noch neuer sein, sagt Klaus Rolshoven, der Kommunikationsmanager der Ballentwickler: "Für uns als Abteilung im Innovationsteam ist die Weltmeisterschaft schon seit anderthalb Jahren vorbei, weil wir schon an den Bällen arbeiten, die in die nächsten Events gehen."