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Schottland entmutigt Katalanen nicht

Jaime Campoamor19. September 2014

Nach dem Referendum in Schottland will Katalonien auch abstimmen. Im Notfall wäre auch ziviler Ungehorsam gerechtfertigt, sagt der katalanische Philosoph und EU-Abgeordnete Josep Maria Terricabra im Interview mit der DW.

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Die katalanischer Flagge vor einer Stadion-Tribüne (Foto: AP Photo/Emilio Morenatti)
Bild: picture alliance / AP Photo

Einen Tag nach dem Unabhängigkeits-Referendum in Schottland hat das katalanische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das eine Volksbefragung über die Loslösung von Spanien erlaubt. Die spanische Regierung wird dagegen Verfassungsklage erheben. Dennoch plant die katalanische Regierung, das Referendum am 9. November abzuhalten.

Im Interview mit der DW sprach der katalanische EU-Abgeordnete und Philosoph Josep Maria Terricabra über die wahren Sieger des schottischen Votums sowie über dessen Auswirkungen auf die Europäische Union und die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien.

Deutsche Welle: Die Separatisten in Schottland haben die Abstimmung verloren. Dennoch hat der britische Vizepremierminister Nick Clegg anerkannt, dass tiefgreifende Verfassungsänderungen anstehen. Wer ist der wahre Gewinner dieses Referendums?

Josep Maria Terricabra: Das "Ja" hat zwar das Referendum verloren, aber die Ja-Kampagne war dennoch effektiv. Auch wenn der Abstand am Ende relativ deutlich war, hat die Abstimmung viele Schotten dazu gebracht, wichtige Veränderungen in der Beziehung zum Vereinigten Königreich einzufordern. Und das hat die andere Seite verstanden. Daher meine ich, das Referendum war eine außerordentlich nützliche Übung.

Welche Unterschiede gibt es zwischen den Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland und Katalonien?

Der wichtigste Unterschied liegt in der Rolle der Politik: In Schottland hat die Schottische Nationalpartei die Unabhängigkeitsbewegung angeführt - anfänglich mit wenig Unterstützung. Dann hat sie immer mehr andere politische Gruppierungen und Bevölkerungsteile dazugewonnen und am Ende ein sehr gutes Ergebnis erzielt.

In der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung spielen die Politiker eine viel unbedeutendere Rolle. Auch wenn in Madrid viele glauben, die katalanische Regierung hätte die Unabhängigkeitsbewegung erfunden, unterstützt sie lediglich einen Prozess, der aus der Bevölkerung kommt. Das bezeugen große Demonstrationen: Allein am 11. September gingen 1,8 Millionen Menschen für die Unabhängigkeit auf die Straße. Deshalb würden auch schwerwiegende Probleme mit den Politikern an der Bewegung selbst nichts ändern.

Spaniens Premierminister Mariano Rajoy sagt, es handele sich um zwei verschiedene Prozesse, weil Schottland im Vergleich zu Katalonien kaum Autonomierechte habe. Beeinflusst das schottische Referendum dennoch den Unabhängigkeitsprozess in Katalonien?

Portrait des EU-Parlamentariers Josep Maria Terricabra (Foto: ERC)
Der EU-Parlamentarier Josep Maria TerricabraBild: Esquerra Republicana Cataluña

Ich stimme ihm zu, dass es zwei unterschiedliche Prozesse sind. Und es stimmt auch, dass Katalonien in der Vergangenheit einige wichtige Befugnisse erhalten hat. Aber sie wurden in den letzten Jahren immer mehr beschnitten. In Schottland hat man die Dinge sehr deutlich besprochen und zielstrebig angegangen. In Spanien hingegen gibt es viele Vorschläge und Angebote, die im Nachhinein verändert und zurückgenommen werden. Es gibt also diverse Unterschiede, daher glaube ich nicht, dass das Ergebnis in Schottland großen Einfluss auf die spanische Politik haben wird.

Die Idee der Europäischen Union ist es, Staaten zu vereinen. Nun konnten die Schotten über ihre Abspaltung von Großbritannien entscheiden. Was bedeutet das für die EU? Handelt es sich um einen Präzedenzfall?

Die EU hat immer wieder neue Staaten nach pragmatischen Kriterien aufgenommen. Das Gleiche wäre sicher mit Schottland geschehen, wenn es für die Unabhängigkeit gestimmt hätte. Aber ich bezweifle, dass Europa Angst vor einer Lawine von Unabhängigkeitsbestrebungen hat. Es ist unwahrscheinlich, dass viele neue Staaten entstehen. Der Aufwand dafür ist sehr groß. Ein Staat muss sowohl auf einer organisatorischen als auch auf der gedanklichen Ebene eine gewisse Reife erlangen, um einen Unabhängigkeitsprozess einzuleiten. Und der Fall Schottland zeigt, dass selbst das nicht automatisch ausreicht. Daher dürfte es kaum zu einem Dominoeffekt kommen.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat davor gewarnt, dass sich Staaten wie Spanien gegen die Aufnahme eines unabhängigen Schottlands wehren könnten, um nicht Separatisten im eigenen Land zu motivieren. Wie langwierig wäre ein Wiederaufnahme-Prozess in die EU?

Sowohl Schottland als auch Katalonien gehören zur EU und daher stimmt es nicht, dass sie diese verlassen würden, falls sie sich von ihren Mutterländern trennen sollten. Vor einiger Zeit erklärte der schottische Ministerpräsident Alex Salmond, dass es im Falle der Unabhängigkeit Schottlands 12 bis 15 Monate dauern würde, um den Unabhängigkeitsprozess zu vollenden. In dieser Zeit würde Schottland weiterhin zu Großbritannien gehören, bis die notwendigen Verhandlungen abgeschlossen wären. Das Gleiche gilt in Bezug auf die EU.

Die spanische Regierung will das Referendum in Katalonien per Verfassungsklage verhindern. Teilen Sie die Meinung von Oriol Junqueras, Anführer der Republikanischen Linken Kataloniens, der zum zivilen Ungehorsam aufgerufen hat, falls die Regierung damit Erfolg hat?

Ja. In jedem Prozess gibt es einen Moment, in dem man mit etwas brechen muss, um voranzukommen. In Katalonien geht es erst einmal darum, entscheiden zu dürfen, ob man zu Spanien gehören will oder nicht.

Aber die spanischer Regierung will das mit allen Mitteln verhindern. Es kommt mir vor wie eine Zwickmühle: Egal, was du sagst, wir schlagen dich sowieso.

Dabei stellt sich mir die Frage, ob die spanische Regierung in diesem Prozess überhaupt Betroffener und Richter sein darf. Ich glaube, dass der zivile Ungehorsam auf einen - in jedem Fall friedlichen - Bruch mit der etablierten Ordnung abzielt.

Ist denn ein friedliches Referendum wie in Schottland auch in Katalonien möglich?

Selbstverständlich. Wir sind zivilisierte Menschen. Am 11. September sind fast zwei Millionen Menschen auf die Straße gegangen, ohne ein einziges Fenster zu beschädigen.

Josep Maria Terricabra ist Abgeordneter der Republikanischen Linken von Katalonien (ERC) im EU-Parlament und Professor für Philosophie an der Universität von Girona.

Das Gespräch führte Jaime Campoamor