Säuberungen in Belarus?
19. November 2004Mit der Parlamentswahl im Oktober hat Alexander Lukaschenko seine Macht gefestigt, ein Referendum abgehalten, das ihm auch eine dritte Amtszeit ermöglichen wird. Gleichzeitig wird der Druck auf die Menschen im Land immer größer, nur noch wenige haben den Mut, sich offen zu äußern. Jetzt will das Regime offenbar auch die letzten freien gesellschaftlichen Organisationen, ob nun politische Organisationen oder Hilfsorganisationen, schließen. Betroffen von dieser Entwicklung ist auch die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung, die sich in den vergangenen Jahren um einen zivilgesellschaftlichen Dialog in Weißrussland bemühte.
Endstation Flughafen
Am Flughafen der weißrussischen Hauptstadt Minsk war Endstation für Helmuth Kurth, den Leiter der Außenstelle der Friedrich-Ebert-Stiftung in Weißrussland. Die Behörden erklärten ihm, er stünde auf einer Liste mit Personen, die weißrussischen Boden nicht betreten dürften - trotz gültigen Visums und obwohl er erst einige Tage zuvor in dem Land war. 24 Stunden auf dem Flughafen folgten, unter anderem in einer Abschiebezelle. Telefonisch erklärte Kurth gegenüber der Deutschen Welle, er habe bereits in den letzten Monaten beobachten müssen, dass die Arbeit immer schwieriger wurde. „Ich hatte das Gefühl, dass wir wesentlich stärker beobachtet wurden, dass die Leute mehr und mehr Bedenken haben, sich frei zu äußern", so Kurth. Schon im September hatte Premier Lukaschenko der Stiftung vorgeworfen, die Opposition zu unterstützen. Doch Kurth glaubt, dass letztlich seine kritischen Äußerungen über den Ausgang der Wahlen Mitte Oktober den Ausschlag für den Entzug des Visums gaben.
Säuberungen wie in Tschetschenien?
Internationale Beobachter in Minsk und Nichtregierungs-Organisationen sehen darin nur einen weiteren Höhepunkt von Lukaschenkos Kampf gegen kritische Bürgerrechts- und sogar Hilfsorganisationen. So hat auch der Verein "Kinder von Tschernobyl" mit dem Druck von Regierungsseite zu kämpfen, sagt deren Vorsitzender Gennadij Gruschewoj. Der Verein unterstützt seit 15 Jahren Familien in ganz Weißrussland. "Nach den Wahlen ähnelt die Situation den in Tschetschenien durchgeführten Säuberungen.“ Solch eine Säuberung beginne jetzt in Belarus. Denn gemeinnützige Organisationen hätten gezeigt, dass sie beharrlich, bewusst und zielgerichtet in Opposition zum Regime stehen. Deshalb wolle jetzt der Staat, dass diese Organisationen, die die Gesellschaft beeinflussen können, verschwinden. Lukaschenkos Ziel sei ein totalitärer Staat, in dem allein er auf die Menschen Einfluss nehmen könne, so Gruschewoj.
Um das zu erreichen, setzt die Macht vor allem administrative und wirtschaftliche Mittel ein: Zum Beispiel ständige Kontrollen der Steuerbehörden, bei denen irgendwann ein Grund gefunden wird, die Organisation oder deren Mitglieder mit so hohen Geldstrafen zu belegen, dass sie schließen müssen. Oder über die Lizenzierung: In Weißrussland benötigt jede Organisation eine Lizenz für ihre Arbeit. Diese kann aber auch wieder entzogen werden. Doch entscheidend, so Beobachter, werde in den nächsten Monaten der dritte Weg sein: Gesellschaften zu schließen, weil sie keine juristische Adresse vorweisen können. Die muss sich in einem Bürogebäude befinden. Doch fast alle Gebäude gehören dem Staat, der die Eintragung verweigern kann.
Die Menschen haben Angst
Gennadij Gruschewoj geht davon aus, dass im nächsten Jahr viele unabhängige Organisationen entweder ihre Unabhängigkeit verlieren oder leise eingehen werden: „Sie werden geschlossen, verlieren ihre juristische Adresse oder um zu überleben, werden sie auf einen sehr kleinen Maßstab beschränkt." Auch sein Verein, der die erste unabhängige Hilfsorganisation im Land war und Zehntausenden Kindern Ferien im Ausland ermöglichte, sieht sich bedroht. Die Organisation ist sehr populär und hat vor allem auf dem Land Einfluss. Außerdem erhält die Hilfsorganisation Spenden aus dem Ausland. Premier Lukaschenko sieht darin Propaganda des westlichen Feindes. Daher sollte der Verein schon vor einigen Jahren geschlossen werden. Doch damals war der Aufschrei in der Bevölkerung groß. Heute ist das anders. Die Menschen hätten Angst, vor allem um Ihre Arbeit und hielten sich daher mit Kritik zurück, erklärt Gruschewoj: „Man kann sie oder ihre Kinder auf der Straße schlagen oder sie erhalten eine so hohe Strafe, dass sie ihre Wohnungen verkaufen müssen. Das ist so ein großer Faktor, dass die Menschen Angst haben."
So steht auch für die Friedrich-Ebert-Stiftung die weitere Arbeit in Weißrussland in Frage. Denn um einen Austausch zu fördern, müsse es einen gewissen Freiraum in der Gesellschaft geben können. Allerdings steht für Leiter Helmuth Kurth auch fest, dass sich Weißrussland irgendwann in Richtung Demokratie entwickeln wird. Die Frage ist nur - wann.
Christiane Hoffmann, Bonn
DW-RADIO / Russisch, 08.11.2004