Kriegswitwen schützen Mangroven auf Sri Lanka
5. Juni 2019Bis zu den Knien steht Ushanthini Jesukumar im schlammigen Wasser der Mangroven-Lagune vor ihrem Haus. Ihr Gesicht ist angespannt. Hochkonzentriert, ohne zu sehen, was ihre Hände tun, wühlt sie in dem trüben Wasser. Ein paar Sekunden später lacht sie triumphierend auf und watet zurück zum Ufer. Sie zeigt, was sich in ihrer fest verschlossenen Faust verbirgt: Eine durchsichtig schimmernde Garnele, kaum mehr als einen Zentimeter lang, windet sich auf ihrer Handfläche.
So wie für viele Frauen im Dorf Anphoniyarpura und im gesamten Distrikt Mannar im Norden Sri Lankas, ist der Garnelen- und Fischfang auch die Haupteinnahmequelle für die 35-jährige Ushanthini.
Auf dem Markt bekommt man für ein Kilogramm Garnelen um die 350 Rupien - rund 2 US-Dollar oder 1,75 Euro. Doch es ist harte Arbeit, solche Mengen zu fangen, und für die Fischerfrauen so gut wie unmöglich, genügend Geld zu verdienen, um ihre Familien zu ernähren. Gerade Witwen sind besonders betroffen, weil sie die Einzigen in der Familie sind, die Geld verdienen. Die meisten von ihnen haben ihre Männer während des 25-jährigen Bürgerkriegs verloren, der weite Teile des Nordens verwüstete und 2009 offiziell für beendet erklärt wurde.
Das Dorf von Ushanthini ist zwischen 2006 und 2007 wiederholt unter Beschuss geraten. Damals hatte sie ihren Mann und ihren Bruder verloren und blieb mit drei kleinen Söhnen, alle unter fünf Jahre alt, zurück. Als Witwe blieb ihr keine andere Wahl, als wieder bei ihren Eltern einzuziehen und sich auf deren finanzielle Unterstützung zu verlassen.
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Arbeit zu finden, kann ein Kampf sein, so Ushantini, denn althergebrachte, tradierte Geschlechterrollen machen es den Frauen auf Sri Lanka sehr schwer. Typischerweise sollen sie die Arbeiten rund um Haus, Hof und Küche erledigen. "Wir Witwen erfahren extrem viel Widerstand, wenn wir einer Erwerbsarbeit außerhalb des Hauses nachgehen", klagt Ushanthini. "Die Menschen reden dann schlecht über uns."
Aber die Frauen haben sich nicht abschrecken lassen. Der Garnelenfang ist auch gesellschaftlich akzeptiert, denn dafür müssen sie nicht ihr Dorf verlassen, die Frauen können in unmittelbarer Nähe ihrer Häuser bleiben.
Ein kostbares Ökosystem verschwindet langsam
Doch die Mangroven-Lagunen, oft als Kinderstube von Fischen und Garnelen bezeichnet, weil sie deren Brutplätze sind, sind bedroht. Ein gemeinsamer, globaler Bericht der Umweltschutzorganisationen World Wide Fund for Nature (WWF) und International Union for Conservation of Nature (IUCN) kommt zu dem Ergebnis: "Der Verlust der Mangroven schreitet drei bis fünf Mal so schnell voran, wie der Verlust der Wälder. Über ein Viertel der weltweiten Mangrovenbestände sind bereits verschwunden."
In Sri Lanka haben intensiver Fischfang, Umweltverschmutzung und die Bebauung der Küsten, vor allem in den Touristenhochburgen, dazu beigetragen, dass es immer weniger Mangroven gibt. Der Verlust ist eine Katastrophe für das Ökosystem und für die Menschen in den Dörfern. Sie verlieren ihre Lebensgrundlage, wenn die Mangroven-Lagunen zerstört werden. Eine wichtige Einkommens- und auch Nahrungsquelle fällt weg.
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Auch für das Klima ist der Verlust der Mangroven ein Problem, denn die Bäume speichern große Mengen Kohlenstoff. Um die 1000 Tonnen pro Hektar sollen es sein. Mit jedem Mangrovenbaum, der gefällt wird, steigt das Risiko, dass klimaschädliche Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen. Eine
Studie des Klimasekretariats des United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) besagt, dass die Menge des Kohlenstoffs, die in allen Mangroven weltweit gespeichert ist, "etwa dem 2,5-fachen der derzeitigen jährlichen globalen Treibhausgasemissionen entspricht."
Mangroven sind außerdem ein guter Schutz gegen Bodenerosion und Naturkatastrophen, wie zum Beispiel Überschwemmungen. Das belegt ein Bericht der IUCN über die Auswirkungen des Tsunamis, der Sri Lanka im Jahr 2004 traf. An den Stellen, wo es nicht mehr viele Mangroven gab, war das Ausmaß der Zerstörung am größten und die Zahl der Todesopfer am höchsten.
Vor diesem Hintergrund hat die Nichtregierungsorganisation Seacology ein landesweites Projekt gestartet. Sri Lanka soll der erste Staat der Welt werden, der seine gesamten Mangrovenbestände nachhaltig schützt. Die aus den USA stammende Organisation wird dabei von der Regierung des Inselstaates und der lokalen Organisation Sudeesa unterstützt.
Umweltschutz als Geschäftsmodell
In dem Projekt lernen die Fischerfrauen zunächst, wie wichtig es ist, die Mangroven zu schützen. Erst dann erhält jede von ihnen einen Mikrokredit von rund 75 Euro. Damit können sie den Grundstein für ein eigenes Einkommen legen und die Mangroven-Lagunen in ihrer Nähe schützen. Sudeesa unterstützt auf diese Weise momentan 15.000 Frauen in ganz Sri Lanka, davon 5000 Witwen aus dem einst vom Bürgerkrieg stark betroffenen Norden des Landes.
Wie das genau abläuft, erläutert Dominic Thuram, der Regionalmanager von Sudeesa: "Zunächst wählen wir ein Küstendorf aus. Dann fahren wir hin und besprechen unser Vorhaben mit den Menschen vor Ort. Mit den Interessierten gründen wir eine CBO." Die sogenannten "Community based Organisations" sind Vereinigungen von Frauen, Kooperativen nicht unähnlich. Entscheidungen treffen sie gemeinsam, auch wenn jede Unternehmerin unabhängig bleibt.
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In einem fünftägigen Workshop lernen die Frauen alles über "Mitarbeiterführung, Mangrovenschutz und die Entwicklung eines Geschäftsmodells", so Thuram. "Unsere Ziele sind der Bestandsschutz für bestehende Mangrovenwälder und das Wiederaufforsten degradierter Mangrovengebiete. Gleichzeitig sollen auch die Frauen wirtschaftlich vorankommen."
Jeyasothy Navanesveran, 55 Jahre alt, verlor ihren Sohn im Jahr 2008, als ihr Haus unter Beschuss geriet. Ihr Mann wurde damals schwer verletzt, fünf Jahre später erlag er seinen Verletzungen. Die Witwe hat sich im vergangenen Jahr dem Projekt angeschlossen und ihren Mikrokredit genutzt, um Geflügel anzuschaffen. Jetzt verkauft sie Eier.
Davor war Navanesveran dazu gezwungen, den Familienschmuck zu verkaufen, um sich über Wasser zu halten, und sie war auf die Unterstützung anderer Familienmitglieder angewiesen.
Auf eigenen Beinen zu stehen, "gibt mir viel Kraft und das Gefühl, stark zu sein.”
Auch für den Schutz der Mangroven setzt sich Navanesveran ein. "Sie beschützen unser Dorf", sagt sie. "Sie verhindern Bodenerosion. Und sie sind nötig, damit die Fische sich fortpflanzen können. Außerdem bekommen wir frische Luft. Wir bekommen von den Mangroven die Luft zum Atmen."
Das Leben kehrt in die Lagunen zurück
Die Frauen der CBO-Gruppen kommen einmal im Monat zusammen, um über Geschäftspläne zu sprechen, Gelder an diejenigen zu verteilen, die sich selbstständig machen wollen und um zu besprechen, wie man die Mangroven am besten schützen kann.
Wenn die Treffen vorbei sind, verbringen die Frauen den Rest des Tages mit Müllsammeln in den Lagunen. Die Abfälle stören den natürlichen Gezeitenstrom des Wassers. Dadurch erhöht sich der Salzgehalt in den Lagunen - ein Problem für viele Fische und Wasserpflanzen, die dann sterben. Außerdem helfen die Frauen dort bei der Wiederaufforstung, wo einst Mangroven standen.
In einer Baumschule im Trainingszentrum von Sudeesa in Mannar stehen bereits 17.000 Mangroven-Setzlinge bereit, die in strategisch gewählten Küstenregionen von den Frauen angepflanzt werden sollen.
"Wir gehen davon aus, dass jede CBO 2,5 Hektar Mangroven neu anpflanzen und zusätzlich 8,5 Hektar bereits bestehende Mangrovenwälder schützen kann", so Thuram. Mit Hilfe der CBO-Gruppen will seine Organisation Sudeesa langfristig die gesamte Fläche der Mangroven-Lagunen im Land - 8185 Hektar - schützen.
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Schulbildung für die nächste Generation
Auch Ushanthini hat im Rahmen des Projektes einen Mikrokredit erhalten und das Geld in neue Fischernetze und eine einfache Taucherausrüstung investiert. So kann sie ihren Fang und damit ihr Einkommen erhöhen.
Jetzt, wo sie nicht mehr jede Garnele einzeln mit den bloßen Händen fangen muss, hat sich ihr monatliches Einkommen, das zuvor gegen Null tendierte, auf 100 bis 150 Euro pro Monat erhöht - und das in einem Zeitraum von nur drei Jahren. Mit dem Geld kann sie ihren beiden Söhnen und ihren Nichten eine Schulbildung ermöglichen.
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Außerdem bringt sie auch anderen Frauen im Dorf bei, wie sie ihre Lagune pflegen und bewahren können. "Zuvor wussten wir so gut wie nichts über Mangroven. Aber jetzt haben wir verstanden, wie wichtig sie für uns sind", sagt Ushanthini.
Knöcheltief im Wasser, die Hände schlammig vom Sediment des Flussbetts - so steht Ushanthini da und lässt die Garnele wieder frei. Sie schultert einen vollen Sack mit Müll, den sie heute während der Sammelaktion gefunden hat und macht sich auf den Weg nach Hause.