Sprengt Griechenland den Euroclub?
25. März 2010Für den Euro sind dunkle Wolken aufgezogen, die Währungsunion steht vor ihrer größten Belastungsprobe. Griechenland geht es seit der Finanz- und Wirtschaftskrise so schlecht, dass mache Beobachter sogar ein Auseinanderbrechen der Währungsunion nicht mehr ausschließen. Joachim Starbatty, emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen, hat 1997 gemeinsam mit drei anderen Professoren erfolglos beim Bundesverfassungsgericht gegen den Vertrag von Amsterdam zur Einführung des Euros geklagt. Heute sieht er sich in einigen seiner damaligen Argumente bestätigt: "Als man den Euro begründet hat, sind die Aufnahmekriterien sehr nachlässig interpretiert, teilweise auch gar nicht kontrolliert worden. So sind Länder zusammengekommen, die in ihrer unterschiedlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Auffassung nicht gut zusammenpassen."
Auch Helmut Schlesinger, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank, hat immer darauf hingewiesen, dass alle Euroländer selbst ihre wirtschaftspolitischen Hausaufgaben machen müssen: "Die Währungsunion verlegt das Problem der Anpassung der Volkswirtschaft in die einzelnen Volkswirtschaften zurück. Die Volkswirtschaften müssen sozusagen sich selbst bemühen, einigermaßen im Gleichschritt mit den anderen Partnerländern, im Bezug auf Inflation, Lohnerhöhungen, Solidität der Staatsfinanzen, zu marschieren."
Probleme mit den Spielregeln
Und Professor Peter Hampe, Landesvorsitzender der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung, erklärt, warum diese Anpassung in der Währungsunion so schwer ist: "In der Währungsunion kann ich nicht mehr unterschiedliche Entwicklungen durch eine Änderung des Wechselkurses korrigieren. Diese Anpassung funktioniert nur noch über die nationale binnenwirtschaftliche Finanzpolitik, Lohnpolitik und Sozialpolitik. Das haben am Anfang gar nicht alle Leute verstanden, aber das ist die Konsequenz der Währungsunion. Und wenn sich Länder nicht an diese Spielregeln halten, dann kriegen sie Probleme."
Und die haben Griechenland, Italien, Spanien und Portugal jetzt. Sie haben jahrelang von der Währungsunion profitiert. Sie erlebten dank des Euro einen beachtlichen Aufschwung. Der ist inzwischen zwar wieder abgeflaut – nicht jedoch seine Begleiterscheinungen: Die Löhne stiegen weiterhin stark, während sich die Produktivität nicht wesentlich verbesserte. Die Lohnstückkosten erhöhten sich wesentlich stärker als im übrigen Euroraum. Oder anders ausgedrückt: Die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder hat enorm nachgelassen, die Exporte sanken drastisch, die Importe nahmen zu. Griechenland hatte 2007 ein Leistungsbilanzdefizit von über 14 Prozent seiner Wirtschaftsleistung, in Spanien und Portugal klaffen Löcher von rund zehn Prozent. Eigentlich müssten diese Länder ihre Währung abwerten. Das würde die Exporte auf dem Weltmarkt verbilligen und ausländische Direktinvestitionen anlocken. Doch das geht nicht, denn diese Länder haben keine eigene Währung mehr, sie haben den Euro.
Austritt unwahrscheinlich
"Wenn man die Entwicklung der vergangenen Jahre sieht, dann sind die Abwertungssätze doch erheblich", sagt Professor Joachim Starbatty. "Italien müsste um 40 Prozent abwerten, Spanien um 30 Prozent, Griechenland liegt irgendwo dazwischen." Doch das Wechselkursventil ist verstopft. "Wäre es für einzelne Länder sinnvoll, aus dem Euro-Verbund auszutreten und ihre Wirtschaft durch eine Abwertung wieder auf die Beine zu stellen?", fragt sich Jürgen Matthes vom Institut der deutschen Wirtschaft - um sich gleich selbst die Antwort zu geben: "Das wäre eine Einbahnstraßenspekulation. Denn für jeden wäre absehbar, was passiert. Jeder wird versuchen, davon zu profitieren. Es würde massiv Geld aus diesen Ländern abgezogen werden, um es nach der Abwertung wieder zurückzutauschen und zu profitieren." Was noch katastrophalere Folgen für diese Länder hätte als ein Verbleib im Währungsverbund.
Der Euroclub ist also nicht nur eine Währungsgemeinschaft, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft. Eine Einbahnstraße. Einmal drin, immer drin. Denn ein Ausstieg hätte katastrophale Folgen. Doch was könnte den südeuropäischen Wackelkandidaten helfen? Sie müssen sich selbst aus dem Sumpf ziehen, sagen Fachleute, und zwar durch eiserne lohnpolitische und finanzpolitische Disziplin. "Jetzt müsste man das nachholen, was bisher hätte gemacht werden müssen", sagt Joachim Starbatty. "Und das ist natürlich schwierig in einer Krise. Wir sehen ja, dass in Griechenland ja schon Aufruhr in den Straßen war. Wenn wirklich Leistungen des Staates gekürzt werden, um wieder konkurrenzfähig zu werden, um die Schulden abzubauen, dann kann man sich vorstellen, dass das zu erheblichen Erschütterungen führt."
Hohe Risikoaufschläge
Wohlgemerkt: Die Finanzkrise, an der sich die ganze Welt infiziert hat, ist nicht etwa der Auslöser dieser Ungleichgewichte in Euroland. Die Fehler wurden viel früher gemacht. Aber die aktuelle Krise erschwert enorm, das zu tun, was eigentlich nötig wäre: nämlich eisern zu sparen und die Löhne an der tatsächlichen Produktivität zu orientieren. In einer Zeit, in der fast alle Regierungen gigantische Konjunkturpakete aufgelegt haben, hätten die südlichen Wackelkandidaten der Währungsunion genau das Gegenteil tun müssen. Doch damit wären sie vorerst noch tiefer in eine Rezession geschlittert. Eine Zwickmühle.
Internationale Anleger spüren das genau. Wenn sie ihr Geld italienischen und spanischen Staatsanleihen anvertrauen, verlangen sie bei der Verzinsung Risikoaufschläge von rund anderthalb Prozentpunkten im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen mit zehnjähriger Laufzeit. Und der griechische Staat muss bis zu drei Prozentpunkte mehr an Zinsen bieten, um seine Schuldtitel unters Volk zu bringen. Das klingt erst einmal nach nicht sehr viel – aber es summiert sich sehr schnell auf riesige Beträge. Schließlich geht es hier um die Schulden ganzer Staaten.
Einmal drin, immer drin
Allein aus diesen Zinsdifferenzen, die man auch "Spreads" nennt, glauben viele Beobachter ableiten zu können, dass die Europäische Währungsunion bald auseinanderbrechen wird. Aber nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Denn schaut man sich die Zinsaufschläge an, die zum Beispiel Kalifornien, Michigan, Massachusetts, Maryland oder New York gegenüber zehnjährigen US-Treasuries zu zahlen haben, dann ergeben sich ebenfalls Zinsspreads von anderthalb bis drei Prozentpunkten. Trotzdem käme der kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger vermutlich niemals auf die Idee, aus dem Dollarraum auszutreten und eine eigene Währung einzuführen.
Mit anderen Worten: Trotz aller Ungleichgewichte und Spannungen bleibt der Euro weiterhin eine stabile und attraktive Währung. Das im Zuge der Schuldenkrise Griechenlands debattierte Szenario eines Ausscheidens aus der Euro-Zone ist auch laut der Europäischen Zentralbank höchst unwahrscheinlich. Ein solcher Schritt sei zwar technisch möglich, räumte EZB-Rechtsberater Phoebus Athanassiou in einem Arbeitspapier ein. Die Wahrscheinlichkeit sei jedoch aus rechtlichen und praktischen Erwägungen nahezu null.
Autor: Rolf Wenkel
Redaktion: Martin Muno